Systemisches-ABC-ORTHEY-V02-2021-07-26

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ inhalt stand: 09.04.2021 – v 01 fragen f funktion g gefühle gelassenheit geschichten gesellschaft grenzen gruppe h haltung hypothesen humor i identität improvisation intervention irritation k kommunikation (soziale) kommunikationssysteme komplexität konflikt konstruktivismus/konstruktion kontext kontingenz kunst einführung a anschlussfähigkeit autopoiesis autonomie b balance beobachtung (systemische) beratung bescheidenheit blinder fleck c coaching code d demut diagnosen differenz differenzierung distanz e emotionen entscheidungen evolution _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 5

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ einführung: ein abc für systemisches denken und handeln kaum eine visitenkarte, keine weiterbildung, kein „einschlägiges“ buch ohne das „systemische“ etikett. wer heute als berater*in, trainer*in oder gruppenleiter*in nicht „systemisch“ arbeitet, kann kaum „up-to-date“ sein. alle erstverdächtig professionellen – einschließlich des autors, versteht sich - führen „systemisch“ jedenfalls seit nunmehr bereits geraumer zeit im munde, im titel, auf der homepage oder auf der visitenkarte. gelegentlich scheint es bei näherem hinhören allerdings schon auszureichen, dass alles doch wohl irgendwie zusammenhängt. das ist zu einer der gängigsten banalisierungen des sogenannten „systemischen“ geworden. und wer diese zusammenhänge nicht ganz aus dem blick verliert – und wer tut das nicht als professionelle/r gruppenleiter*in oder als berater*in, die oder der was auf sich hält -, der- oder diejenige nimmt für sich „systemisches“ denken und arbeiten in anspruch. gelegentlich sind vereinzelt einlassungen zu vernehmen, die glauben machen wollen, die zeit des „systemischen“ sei bereits abgelaufen. ich vermute jedoch dadurch einen systemisch raffiniert arrangierten attraktivitätsschub. denn nun kann (→) systemisches denken gegen derlei niederträchtige unterstellungen offen verteidigt werden und damit einen wichtigen schritt zum heroischen unsterblichkeitsstatus vollziehen. damit sich niemand mehr entziehen kann. bleibt allerdings zu hoffen, dass sich damit auch eine ablösung vom bloßen modischen und von einem dem systemischen unangemessenen absolutheitsanspruch vollzieht. das wort, das jahrzehntelang zunächst getuschelt, dann in den professionellen diskursen wohlbehütet und für inklusions- und exklusionsprozesse zur professionellen community genutzt wurde, sickert nun zunehmend in den alltagssprachgebrauch ein. das macht hoffnung - und lässt angesichts oberflächlichen gebrauchs auch manchmal verzweifeln. dass es angesichts der schrecklichen missbrauchsfälle nicht nur persönliche muster und verfehlungen zu bedenken gibt, sondern auch systemische, dass es in der coronakrise auch systemisch bedeutungsvolle aspekte zu bedenken gilt, das kann für mögliche differenzierungen der perspektiven stehen (das wäre ja schon mal was!), aber es könnte auch für ablenkungen auf ein terrain stehen, auf das weiteres hinschauen verhindert werden soll. wenn „systemisch“ zu einem „erklärungsprinzip“ verkommt, also einer erklärung, die keiner weiteren erklärung mehr bedarf, dann wäre das tragisch (wiewohl systemisch interessant). _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 7

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ um nicht auf dem niveau des modischen trends und des beliebigen relativismus zu bleiben, biete ich hier einige begriffliche zugänge zum systemischen denken an. im folgenden entwickle ich anhand von (schlüssel-) begriffen ein „abc systemischen denkens und handelns“. damit werden die aus meiner sicht relevanten theoriehintergründe in einer für die „praxis“ angemessen form zusammengefasst. „nichts ist praktischer als eine gute theorie.“ so soll kurt lewin gesagt haben. für systemische berater*innen, trainer*innen und coaches geht es allerdings manchmal um differenzen, die, damit sie wirksam werden können, eben nicht praxisnah sind (vgl. groth 2017, s. 161). in diesem sinne soll der theorieanteil dieses abc praktisch und nicht notwendigerweise praxisnah sein. ich habe zu diesem zwecke entgegen der üblichen praxis von zusammenfassungen nicht auf die originalsprache von zentralen, zum teil „klassischen“ referenten verzichtet, um auch einen einblick in das „wording“ systemtheoretischen und systemischen denkens zu ermöglichen. und ich habe zudem auch mich selbst zur sprache gebracht mit meinem verstehen, meinen deutungen und mit meiner praxis. in meiner sprache. (→) sprache ist eine systembildende form – und die art und form der sprache vermittelt wichtige orientierungen über das „system“. in sprache konstruieren wir unsere wirklichkeiten individuell und sozial-interaktiv, indem wir uns erzählen, wie wir die welt – hier die systemische – sehen und: wie wir sie uns erklären. „systemisches denken = systemtheoretisches erklären“ – so überschreibt fritz b. simon (2008, s. 11) seine definition systemischen denkens. es „verwendet erklärungen, die sich aus der systemtheorie ableiten lassen“ (ebd., s. 11). statt eindimensional kausaler sind das zirkuläre erklärungen und statt isolierter ausschnitte oder objekte werden relationen beobachtet, beschrieben und erklärt. mittels sprache. sprache entsteht aus dem alphabet. sie - leserin und leser - können es nutzen, neu buchstabieren, damit lesen und schreiben, es erweitern und verändern – und dabei ihre eigene systemische sprache entwickeln. ich erläutere in der folge zunächst das entsprechende stichwort – mal prägnant kurz, mal länger, mal klärend, mal zum nachdenken anregend - und nehme dann jeweils stellung zur pragmatisch – und ja jetzt auch: auf praxisnähe - ausgerichteten frage: was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? „abc“ beschreibt meine sichtweisen und meine interpretationen des dieses „systemischen denkens“ – andere denken es anders. auch die theorie und die praxis, _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 8

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ deren zentrales postulat die beobachterabhängigkeit ist, erscheint – natürlich – beobachterabhängig. ich habe hier die für mich brauchbaren elemente unterschiedlicher systemischer und systemtheoretischer herkunft beschrieben – so wie ich sie verstanden habe, wie ich sie verstehe, reflektiere, interpretiere, deute und nutze. dieses verstehen, reflektieren, interpretieren, deuten und nutzen hat sich über die zeit verändert (offenbar hat sich die selbstbeobachtung des beobachters entwickelt). die entwicklung meiner persönlichen systemischen geschichte (→ autor) spiegelt sich in den unterschiedlichen zugängen, sprachformen und niveaus dieses abcs. die geschichte begann anfang der 1990er jahre und war inspiriert von der eingehenden beschäftigung mit der luhmannschen systemtheorie und den anfängen eigener beratungs- und trainingspraxis. und sie reicht bis heute. das zeigen auch die hier verwendeten und weiterverarbeiteten texte, die innerhalb dieser zeitspanne (30 jahre!) entstanden, oft mehrere entwicklungsstufen durchliefen, um dann neu durchbuchstabiert zu werden im abc. viele dieser beobachtungen haben ein- und ausgang gefunden in und aus meiner dissertation (orthey 1999) und meiner habilitationsschrift (orthey 2006) und haben sich durch weitere meiner texte hierher gewälzt. insofern liegt mit diesem abc auch ein systemisches sammelsurium vor – das sammelsurium meiner persönlichen systemischen geschichte. ich habe mich deshalb auch für die erhaltung der stilistischen unterschiedlichkeiten entschieden, um eine aus meiner sicht bedeutungsvolle ressource systemischen denken auch in diesem abc vorzuhalten: die vielfalt. ich habe manch sperriges sprachlich sperrig gehalten, manches auch „entsperrt“ und auf verständlichkeit hin durchgebürstet, anderes in lockerer sprache hinzugefügt. der „joker systemtheorie“ (baecker 2000) vermag durch diese sprachliche vielfalt überraschende möglichkeiten und manchmal auch eine „neue verzweigung“ (baecker 2002, s. 84) eröffnen (→ systemtheorie). meine (→) beobachtungen können im günstigsten falle (lesende) beobachter*innen anregen, ihr eigenes verständnis des „systemischen“ zu schärfen. damit die vielfalt des systemischen denkens und handelns sich – auch sprachlich - weiter entwickeln kann. wenn diese wirkung oder auch weiterführende nebenwirkungen eintreten, dann ist dieser text brauchbar. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 9

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ anschlussfähigkeit in (→) operational geschlossenen (→), autopoietisch sich reproduzierenden systemen muss es einerseits anschlussmöglichkeiten geben. andererseits müssen die operationen anschlussfähig sein, es muss erwartungsleitende wahrscheinlichkeiten geben. die positiven werte der unterschiedlichen (→) codes (also z.b. das wahre, das recht) stehen für die „anschlussfähigkeit“. anschlussfähigkeit qualifiziert bestimmte möglichkeiten, damit es sinn-voll weitergehen kann mit der systemreproduktion. und zwar als auswahl aus allen unterschiedlichen möglichkeiten, wie es auch noch anders weitergehen könnte. an eine operation ist also über unterschiedliche anschlussfähigkeiten eine größere zahl von (folge-) operationen anschließbar. an die operation der zahlung sind weitere zahlungen anschließbar, an die der kommunikation weitere kommunikationen und an lernen ist heutzutage (zunehmend häufiger) mehr lernen anschließbar. dies deutet darauf hin, dass unterschiedliche anschlussfähigkeiten selektionsprozesse erfordern, um weitere operationen anschließen zu können. es muss entschieden werden, welche zahlung als nächstes erfolgt bzw. welche kommunikation oder welcher lernprozess angeschlossen wird. die hierzu notwendigen selektionsprozesse sind jeweils in der aktuell anliegenden sinnhaftigkeit des systems geerdet. bestimmte optionen können als „sinnlos“ ausgeschlossen werden, andere sind sinn-voll „anschlussfähig“. damit ist gewährleistet, dass nicht permanent von vorne angefangen werden muss. das bedeutet einen zeitgewinn, denn es kommt nicht mehr alles in betracht. zudem gewinnen die operationen eines systems eine gewisse kompaktheit, indem sich z.b. wahrheiten (im wissenschaftssystem) einander angleichen. die (→) selektion im sinne einer anschlussfähigkeit für operationen erfolgt auf der basis des zwecks des systems. ein ökonomisches system selektiert im sinne von gewinnmaximierung, ein erziehungssystem im sinne von lernen und verhaltensentwicklung, ein bildungssystem im sinne von subjektiven ermöglichungsspielräumen, ein politisches system im sinne von machterhaltung und ein ökologisches im sinne der bewahrung natürlicher ressourcen und lebensbedingungen. der zweck qualifiziert die tendenz zur systemerhaltung und -stabilisierung in einer bestimmten weise. er bestimmt die wirkungen, die ein system anstrebt. die zweckerfüllung zur erhaltung des systembestandes ist ein selektionskriterium, dass die anschlussfähigkeiten von operationen engführt. der auf dieser basis ausdifferenzierte (→) sinn bildet die grundlage für all jenes, was angeschlossen und was ausgeschlossen _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 11

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ werden kann: geldvermehrung macht sinn im wirtschaftssystem und damit all jenes, was dies unterstützen kann. für geldverbrennung ist keine anschlussfähigkeit gegeben. erfolgt sie dennoch, ist der kollaps und das verschwinden des systems die folge. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? zunächst einmal bedeutet dies, mit dem system zu arbeiten und nicht gegen es. es heißt, zu erkunden, was anschlussfähig ist und was eben (momentan noch) nicht. wenn nicht bewusst mit irritationsimpulsen bzw. „harten schnitten“ gearbeitet werden soll, bedeutet anschlussfähigkeit, interventionen so zu konzipieren, dass sie vom intervenierten personalen, sozialen oder organisationalen system angenommen, akzeptiert, genutzt und weiterverarbeitet werden können. damit kommt der konzeption von interventionen erhebliche bedeutung zu, sollen sie doch einerseits anschlussfähig, andererseits aber auch herausfordernd sein und einen gewissen neuigkeitswert oder reiz enthalten. interventionist*innen fragen sich also in diesem sinne: ist das, was ich vorhabe und wie ich es – z.b. sprachlich oder methodisch – vorhabe, vom intervenierten system verstehbar, verarbeitbar, nutzbar – ist also anschlussfähigkeit gegeben? und dann: ist das auch nützlich und hilfreich, indem es gleichzeitig eine herausforderung für weiterentwicklung und lernen eröffnet? zurück zum inhalt autopoiesis der begriff der autopoiesis wird meist auf den chilenischen biologen umberto maturana zurückgeführt und kann nur unvollständig mit „selbstschöpfung“ übersetzt werden - das missverständnis der „selbsterschöpfung aus dem nichts“ läge zu nahe (vgl. maturana 1985, s. 157ff und s. 170ff und maturana 1994, s. 36). angemessener kann der begriff als beschreibung für die auf fortsetzung der eigenen reproduktion gerichtete selbstbezügliche dynamik eines systems verstanden werden. der begriff „“autopoiese“ (nach dem griechischen autos und poiein für selbstgestaltung: autopoiesis)“ soll ausdrücken, „wie sich systeme als produkt ihrer eigenen operationen realisieren" (maturana 1994, s. 36). autopoiesis ist damit ein prinzip der evolutionären systemerhaltung und -entwicklung aus der je eigenen konstitution heraus. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 12

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ autopoiesis besagt – so niklas luhmanns präzisierung – „nicht, dass das system allein aus sich heraus, aus eigener kraft, ohne jeden beitrag aus der umwelt existiert. vielmehr geht es nur darum, dass die einheit des systems und mit ihr alle elemente, aus denen das system besteht, durch das system selbst produziert werden“ (luhmann 1992a, s. 30). wenn ein system autopoietisch „tickt“, kann es - unter den bedingungen seiner (→) operationalen geschlossenheit - seine elemente immer wieder selbst neu herstellen. es besitzt also diesbezüglich interne (→) anschlussfähigkeit. in diesem sinne organisiert sich das system selbst. autopoiesis qualifiziert als inneres prinzip des prozessierens des systems die form der (→) selbstorganisation - es handelt sich damit um eine „autopoietische“ selbstorganisationsdynamik: das system (re-) produziert sich die elemente, aus denen es besteht, mit hilfe der elemente, aus denen es besteht - und so weiter ... dieser an der eigenen reproduktion als zweck orientierte prozess ist strukturdeterminiert. das heißt, dass die jeweils aktuelle (→) struktur eines systems die möglichkeiten und grenzen der selbstveränderung bestimmt. dies gilt für personale systeme, für soziale systeme (→ systemarten) wie auch für deren spezialform der (→) organisationen, die in ihren entscheidungen auf ihre eigenen entscheidungen bezug nehmen. operationen psychischer systeme sind dabei gedanken, operationen sozialer systeme kommunikationen und operationen von organisationen kommunikationsbasierte entscheidungen. durch solche eigenzurechnungen unterscheiden sich systeme von ihrer (→) umwelt. diese autopoietische form der selbstorganisation unterscheidet also systeme als systeme bzw. organisationen als organisationen - wirkt insofern identitätsaufbauend, indem selbstgezogene grenzen beobachtet werden. das system „organisiert sich selbst“ und damit auch sein „selbst“, indem es sich durch seine kontinuierende reproduktion permanent selbst von seiner umwelt unterscheidet. autopoiesis ist in diesem sinne auch ein ständiger prozess der selbstvergewisserung. all das bedeutet mit der hier angelegten steuerungsperspektive, dass eine (→) steuerung von außen nicht möglich ist - es sei denn um den preis der zerstörung der autopoietischen qualität und damit der identität des systems. beeinflusst werden kann die autopoietische selbstorganisationsprozess des systems nur durch verfügbarmachen von zugleich irritierenden wie anschlussfähigen sinnangeboten in/durch systeme der relevanten umwelt des jeweiligen systems, z.b. durch verfügbarmachung von ressourcen oder neuen wissens oder durch interventionen in formen der beratung. dadurch wird die _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 13

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ möglichkeit der selbstorganisation der unterscheidungen des systems beeinflusst – allerdings unter dem vorbehalt der deutungshoheit des intervenierten systems. das macht damit, was es will. es wird möglich, was sonst nicht möglich geworden wären. mehr aber auch nicht. die richtung der selbstorganisation bleibt unbestimmbar. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? die autopoietischen selbstorganisationsmöglichkeiten können steuernd beeinflusst (nicht jedoch kontrolliert) werden, indem interventionen darauf abstellen, systeme so mit veränderungswirksamen impulsen auszustatten, dass selbstorganisation anders weitergeht als ohne diese zusätzlichen (anschlussfähigen!) möglichkeiten. (→) steuerung kann autopoietische selbstorganisationsdynamik bezug nimmt - und damit auch ihr mögliches „misslingen“ mit ins kalkül einbezogen wird. steuerung kann als steuerung nur verstanden werden, wenn „gelingen“, insofern diese wenn nur auf sie sie fremdsteuerungsansprüche aufgibt. steuerung kann nur (anregung zur) selbststeuerung als autopoietische selbstorganisation bedeuten. dazu muss der zu setzende (pädagogische oder beraterische) impuls anschlussfähig sein. das kann er nur sein, wenn die interventionist*innen die innere logik des intervenierten systems annähernd verstehen. die entwicklung dieses verständnisses und die konzeption des veränderungswirksamen impulses wird dabei in der regel umso angemessener sein, je mehr das zu intervenierende system selbst in diesen prozess mit einbezogenen wird. systemisch denken und handeln ist nur stimmig möglich, wenn die interventionist*innen das prinzip der autopoiesis anerkennen und damit jeglichen anspruch der „fremdbeglückung“ und instruierbarkeit von außen aufgegeben haben. diese sichtweise kann zu einem hohen interesse am intervenierten system und seiner inneren logik führen. auch wenn diese nicht gefällt, kann sie doch als nützlich im sinne der überlebensfähigkeit angesehen werden. zudem verstehen sich systemisch denkende und handelnde interventionist*innen selbst im autopoietischen sinne. das heißt, dass sie viel neugierde dafür aufbringen, warum sie selbst so ticken wie sie ticken, welche strukturen und muster hinter diesem spezifischen ticken stecken und was sie brauchen, um mit den zumutungen anders tickender systeme im sinne ihrer (→) neutralität gut und professionell zurecht zu kommen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 14

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ zurück zum inhalt autonomie autonomie bedeutet wörtlich „selbst-gesetz“. im gegensatz dazu steht das bild vom fremd-gesetz. „dabei handelt es sich natürlich um das, was wir kontrolle nennen. diese zwei bilder, autonomie und kontrolle, führen einen ständigen tanz auf. das eine bild vertritt erzeugung, innere regulierung, bestätigung der eigenen identität: also bestimmung von innen her. das andere steht für verbrauch, input und output, bestätigung der identität durch andere: also bestimmung von außen her.“ (varela 1987, s. 129) in einem wörtlichen sinne meint autonomie „die eigengesetzlichkeit der operationsweise des systems, die nun präzisiert werden kann als autopoiese, als tiefenstruktur der selbststeuerung des systems. im gegensatz zum begriff der autopoiese ist autonomie aber nicht auf den innenhorizont eines systems beschränkt. autonomie soll gerade beide seiten, innenhorizont und außenhorizont, übergreifen und den zusammenhang von selbstreferenz und fremdreferenz betonen. ein autonomes system ist mithin ein system, das auf der grundlage autopoietischer selbststeuerung spezifische, durch seine leitdifferenz und seinen operationsmodus vorgezeichnete umweltbeziehungen unterhält.“ (willke 1987, s. 341) lebende systeme sind in ihrer (→) autopoiesis autonom. sie regulieren sich selbst, sie erzeugen und erhalten sich selbst und sind damit nicht verfügbar für instruktionen von außen. dass heißt nicht, dass sie nicht reagieren auf interventionen und instruktionen, aber eben in einer autonomen art und weise. sie wählen in ihrer autonomie diejenige wirkung, die für sie passt, die nützlich oder aus ihrer sicht stimmig und brauchbar ist. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? nicht-verfügbarkeit für instruierbarkeit anzunehmen, bedeutet, dass die konzeption der intervention in ein system nur unter einbeziehung von dessen innen- und außengerichteter autonomie sinnvoll möglich ist. dadurch kann die intervention sogar sehr wirkungsvoll werden, weil sie in der eigenzurechnung des systems als ergebnis und erfolg der eigenen autonomie gesehen wird. „betroffene zu beteiligten machen“ heißt es gerne in change-prozessen. autonomie zu respektieren und zu nutzen heißt allerdings, es _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 15

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ gar nicht so weit kommen zu fremdzuschreibung) entstehen, weil bereits von anfang an alle lassen, dass „betroffene“ (in der eigen- und relevanten systemelemente (personen, teams, organisationseinheiten) unter respektierung ihrer jeweiligen autonomie beteiligt waren. autonomie anzuerkennen bedeutet mit blick auf berater, trainer, coaches als systemische interventionist*innen zuallererst: (→) bescheidenheit und (→) gelassenheit gegenüber veränderungsansprüchen. zurück zum inhalt balance in einer differenzorientierten theorie, also der systemtheorie, von „balance“ zu sprechen, erscheint womöglich überraschend. „balance“ soll hier die ausgewogenheit von differenzen bezeichnen, also z.b. zwischen anschlussfähigkeit und irritation für das system. denn beides ist wichtig. schlägt das pendel einseitig aus, geht es weiter wie bisher, oder aber die zumutung ist so groß, dass abwehr und ablehnung die folge sind. in beiden fällen gibt es keine weiterführende veränderung. und weil pädagogische und beraterische interventionist*innen veränderungen ermöglichen wollen, ist „balance halten“ oder auch eben, differenzen (wieder) in die balance bringen, für sie eine zentrale leistung. das heißt nicht, differenzen zu vermeiden, denn diese braucht es für veränderung notwendigerweise. es kann auch bedeuten, mit unbalancierten ungleichgewichtszuständen zu arbeiten, um (→) irritationen zugänglich zu machen und damit neues zu eröffnen. auch „unbalanced transformations“ (heitger/doujak 2002) zu setzen, routinen zu brechen und radikal zu unterbrechen, kann durchaus teil sinnvoller interventionsarchitekturen sein. es kann „harte schnitte“ im sinne von temporär hilfreich und nützlich sein, z.b. um innovationen wirkungsvoll zu setzen oder organisationale identität grundsätzlich neu zu denken. letztlich braucht es aber integration in die personalen, kommunikationsbezogenen oder organisationalen sinnbestände. und damit braucht es letztlich eine balance im sinne eines für die person, den interaktionszusammenhang oder die organisationale einheit stimmigen zusammenhanges zwischen altem und neuen. „differenzen (wieder) in die balance bringen“ ist damit für die interventionist*innen eine wichtige leistung in beratungs- und lernprozessen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 16

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? in einem systemischen sinne kann „balance“ konkret bezogen werden auf: ➢ die eigene person der interventionst*innen, im sinne eines „mit sich selbst im gleichgewicht sein“, ➢ die intervenierten personen (mitarbeiter*innen, lernende, klient*innen) und deren individuelles gleichgewicht, das beim lernen und insbesondere zum abschluss eines lernprozesses wichtig ist, ➢ die beziehungsebene im sinne eines ausgewogenen und stimmigen verhältnisses von nähe und distanz (z.b. in teams), ➢ die ausgewogene und angemessene aufbereitung und dosierung der sachinhalte der intervention (z.b. des „lernstoffes“ in seminaren), ➢ die organisationalen realitäten und deren verhältnis von ordnung/wahrung einerseits und wandel und veränderung andererseits, ➢ die jeweilige kultur und das verhältnis von unterschiedlichen „konversationen“ (maturana/verden-zöller 2005, s. 10), erzählungen und einredungen im system – also was und wie mit- und übereinander gesprochen wird, ➢ die angemessene berücksichtigung und gestaltung der umwelt, des „kleinen globe“ des lern- und beratungsprozesses im sinne einer gleichwie anregenden wie auch stabilen, sicherheit gebenden lernumgebung, ➢ im themenzentriert-interaktionellen sinne („tzi“, vgl. cohn 1975, s. 11) auf das verhältnis und (un-) gleichgewicht dieser unterschiedlichen sechs elemente zu- und miteinander (person, beziehung, sachinhalt, organisation, kultur und umwelt, → pentagrammatik). solche balancen, die notwendigerweise immer auch temporäre ungleichgewichtszustände beinhalten, sind garant für einen lebendigen und vielfältigen lern- und veränderungsprozess. zuallererst bedeutet „balancearbeit“ für leiter*innen und berater*innen, das geschehen im lern- und veränderungsprozessen, mit der brille der „balance“ zu beobachten und zu deuten, d.h. also konkret, auch die frage mitlaufen zu lassen, was es für eine gute und nützliche balance braucht – und eben auch: was der blinde fleck der gegenwärtigen (vermeintlichen?) balance ist, was sie ggf. auch verhindert. und dann temporär begrenzt: diese balance auch zu irritieren. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 17

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ „alles was gesagt wird, wird von einem beobachter zu einem beobachter (der er selbst sein kann) gesagt.“ (simon 2018, s. 13, hervorhebungen durch frank orthey). sofern also nicht ich selbst die von mir versteckten ostereier suche (und womöglich finde), sondern ein anderer beobachter, dann wird es spannend (und kompliziert), denn neben dem, was sie tun und wobei sie sich beobachten (ostereier verstecken oder finden – das ist beobachtung erster ordnung) beobachten sie sich zudem beim beobachten (also wie sie sich beim ostereierverstecken gegenseitig beobachten – das ist beobachtung zweiter ordnung). diese beobachtung „erster ordnung“ beschäftigt sich mit dem zu beobachtenden – seinem gegenstand. was ist es? was sind seine elemente, ereignisse, eigenschaften, relationen? was zeichnet es aus? wie geht es (z.b. ostereierverstecken)? usw. dazu trifft sie unterscheidungen, die es erlauben, ein netzwerk weiterer unterscheidungen aufzubauen. das beobachten kann etwas anderes beobachten, nicht sich selbst, nicht seine eigene anfangsunterscheidung. diese anfangsunterscheidung ist ihr (→) „blinder fleck“. wenn ich mich entscheide, auf der basis der anfangsunterscheidung „wahr/falsch“ zu beobachten, dann kann ich nicht beobachten, ob diese unterscheidung wahr bzw. falsch ist. wenn also keine operation der beobachtung sich selbst beobachten kann, dann braucht es, um zu sehen, was dieser beobachter nicht sehen kann, eine spezielle form der beobachtung, die „beobachtung zweiter ordnung“. das bedeutet, dass die beobachtung des beobachters - die beobachtung zweiter ordnung - neue unterscheidungen benötigt, sonst ist sie nicht möglich. die beobachtung zweiter ordnung orientiert sich an der leitfrage: „wie wird beobachtet?“ es wird also womöglich beobachtet, nach welchem muster die ostereier (oder wahlweise: die informationen, die wahren ziele des change- prozesses usw.) versteckt werden. wenn das versteckende system durch das beobachtende (beratungs-) system das eigene muster (also z.b. erst mal hintenrum zum nächsten baum zu laufen, um die beobachtenden mitarbeiter*innen zu verunsichern) erkannt hat, dann kann es etwas ändern und die eigene handlung (hin zu mehr angemessenheit und nützlichkeit) ändern – und sich selbst fortan anders (beim beobachten) beobachten, sprich: mit einem reduzierten blinden fleck operieren. womöglich werden dann künftig sogar die (gemeinsam) zu versteckenden ostereier gemeinsam gefärbt (→ autonomie). _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 19

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? die umstellung auf beobachtung zweiter ordnung ist ein wichtiger schritt im hinblick auf mögliche wachstums- und veränderungsprozesse, denn sie erweitert die reflexionshorizonte des systems: ein teilnehmer in einer gruppencoachingsitzung bewertet in der falldarstellung sein unternehmen durchgängig mit der unterscheidung „richtig/falsch“, einflussmöglichkeiten gleich mit. durch ein feedback zur wirkung dieser schilderung seine vorgesetzten wertet konsequent seine und ab er erkennt er, mit welchen modellen, mit welchen mustern und grundannahmen er beobachtet – und was er damit ausblendet und nicht sieht. er kommt seinen vereinfachungen und seiner defizitorientierung auf die schliche und hat damit einen ansatzpunkt, diese zu verändern - ermöglicht durch beobachtungen zweiter ordnung, die ihm die teilnehmer*innen der coachinggruppe via feedback zugänglich gemacht haben. pädagogische kommunikationen in beratungsprozessen oder in lerngruppen sind meist durch beobachtung zweiter ordnung gekennzeichnet. auch bei der diagnose und entwicklung von organisationen ist beobachtung 2. ordnung unverzichtbar (vgl. grossmann, bauer, scala 2015, s. 29). bei prozessen der konzeptentwicklung bzw. –evaluierung kann es sich auch um „beobachtung dritter ordnung“ handeln, wenn es darum geht, mit welchen modellen und mustern beobachtungen zweiter ordnung möglich werden sollen bzw. möglich geworden sind. leitfragen dafür sind: wie kann eine brauchbare beobachtung der beobachtung ermöglicht werden? oder: was zeigen die muster der beobachtung zweiter ordnung über das beobachtungssystem, beispielsweise einer organisation oder eines wissenschaftlichen erkenntnissystems? solche fragen (der beobachtung der beobachtenden beobachtung) sind zudem in reflexiv angelegten formen aufgehoben, also beispielsweise in lehrsupervisionen oder in der supervision von coaches, berater- oder trainer*innen. damit wird die kompetenz kultiviert, sich selbst als teil dessen zu sehen, was in welcher art und weise beobachtet wird. als beobachtender berater bin ich, weil ich beobachte wie ich beobachte, teil dessen, was der fall ist (ludwig wittgenstein im tractatus logico-philosophicus: „die welt ist alles, was der fall ist.“). insofern ist eine tiefe achtsamkeit (wie das heute leider etwas zu inflationär genannt wird) sich selbst gegenüber für professionelle beobachter*innen wichtig. das ist das, was c. otto scharmer im rahmen seiner „theorie u“ (scharmer _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 20

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ 2019) meint, wenn er schreibt und auffordert: „beobachten, beobachten, beobachten.“ (ebd., s. 39) zurück zum inhalt (systemische) beratung im „glossar der gegenwart“ (bröckling/krasmann/lemke 2004), in dem konturen der gegenwart anhand zeitgenössischer „regierungskünste“ (foucault) rekonstruiert werden, taucht beratung (natürlich!) auch auf. das liegt an der hohen attraktivität dieser form angesichts der ihr zugeschriebenen optionen, unsicherheiten zu absorbieren - und dies in einer form, die der selbstbestimmung des individuums gerecht wird. die form der beratung, wie sie heute verstanden wird, korrespondiert insofern mit den selbstbestimmungs- und selbstverwirklichungsansprüchen der „subjekte“. das ist sicher ein anteil an der hohen (→) anschlussfähigkeit: die individuen können wählen, was sie von der beratung mit- und annehmen wollen – deshalb wählen sie die beratung. „beratung strukturiert die selbstreflexion, liefert informationen und deutungsvorschläge und kann zur lösung hinführen – doch all dies bereitet entscheidungen lediglich vor, getroffen werden müssen sie von den einzelnen selbst.“ (duttweiler 2004, s. 26) verschärften nichtsdestoweniger individualisierung und sozialen homogenisierung“ (ebd., s. 27) bei. „dass beratung immer nur als vorschlag, nie als vorschrift daherkommt, ändert nichts an der unabweisbaren (und auch: deshalb!) trägt beratung „zur zumutung, permanent an der eigenen verbesserung zu arbeiten und die selbstführung bei bedarf nach maßgabe und mit unterstützung des expertenwissens neu zu justieren. da das optimum nie eintreten kann, ist beratung immer angezeigt, und wer sich weigert, macht sich verdächtig: ob als politiker, managerin oder beziehungspartner – nichts ist verwerflicher (und beratungsbedürftiger?) als beratungsresistenz.“ (ebd., s. 28) beratung wird hier als überbegriff für interventionsformen in systeme verstanden, die auf die initiierung personaler und/oder sozialer bzw. organisationaler lern- und entwicklungsprozesse abstellen. sie wird als eine spezifische pädagogische form der kommunikation verstanden, die bei artikuliertem beratungsbedarf – also auf aufrage – des zu beratenden systems stattfindet. „pädagogisch“ ist die form der kommunikation _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 21

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ deshalb, weil es um die initiierung und steuerung von lern- und veränderungsprozessen geht. beratung ist – jedenfalls so wie sie hier verstanden wird - diejenige interventionsform, die am ehesten eine systemische perspektive impliziert. denn im beratungsprozess, der sich ja immer auf das zu beratende system bezieht, werden beobachtungen des (klienten-) systems anliegenorientiert bearbeitet. dies geschieht in einer art, die den gesamten systemischen kontext (also elemente, ereignisse, beziehungen, störungen, organisationale und andere rahmenbedingungen usw.) im blick hat und die versucht, diesen „von innen heraus“ zur produktiven bearbeitung der jeweiligen herausforderung zu erschließen. wenn das problem der (→) steuerung als problem der autopoietischen selbstorganisationsdynamik von systemen beobachtet wird, dann ist beratung eine form, die diese dynamik durch die stimulierung von selbststeuerungsanreizen anregt. beratung macht dem jeweils intervenierten system eine außensicht zugänglich, die selbstbestimmt für lernen und entwicklung genutzt werden kann. beratung ist einerseits eine form zur wirkungsvollen reduzierung von komplexität, andererseits macht sie dem beratenen system auch neue komplexität zugänglich, die es zur veränderung anregen kann. dies wirkt womöglich widersprüchlich, bedeutet jedoch eine systemisch gesehen sinnvolle ambivalenz. beratung wirkt selektiv und entlastet zugleich das system vom selektionsdruck, weil die beratung diesen druck nach außen (in das beratungssystem) verlagert und dies über einen expertenstatus des beraters/der beraterin legitimiert. die ängste und der druck des abteilungsleiters angesichts des anstehenden personalabbaus werden aus dem aktionssystem in das beratungssystem verlagert und dort – unter der beratung eines kompetenten coaches - im hinblick auf ausgewählte handlungsmöglichkeiten bearbeitet. über diese selektionsleistungen macht beratung auch neuen komplexitätsaufbau anschlussfähig, der sonst nicht möglich gewesen wäre. beratung entlastet und versorgt mit neuen legitimierten belastungen. es geht anders weiter als vorher, weil ein anderes „aktionsfähiges wissen“ (argyris 1997) und anderer sinn zugänglich geworden ist und dies transferfähig im hinblick auf handlungen bearbeitet wurde. beratung kann auf unterschiedliche systemarten bezogen werden, und zwar auf: ➢ personale systeme, ➢ soziale (kommunikations-) systeme _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 22

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ➢ und auf die organisation. auch wenn beratung fachlich angelegt ist – gelegentlich wird zwischen fach- und prozessberatung unterschieden -, ist sie in einem systemischen sinne als anregung zur selbststeuerung zu konzipieren - und kommt daher notwendigerweise als „beratung ohne ratschlag“ (radatz 2000), also ohne jegliche form der außengesteuerten instruierung aus. denn: „auch ratschläge sind schläge.“ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? grundsätzlich heißt es, dass das „funktionieren“ der beratung aus der aktuellen konstitution des durch beratung intervenierten systems heraus entwickelt wird. im „funktionieren“ der beratung spiegelt sich insofern günstigstenfalls die funktionslogik des intervenierten systems. um dies zu unterstützen und zu ermöglichen, nutzt die systemische beratung ein „generalisierungsfähiges, zur korrektur von betriebsblindheit ausgebildetes spezialistenwissen“ (baecker 1993, s.225ff). systemische beratung steigt mit diesem spezialistenwissen, das ein interventionswissen ist, ins spiel des zu beratenden systems ein. sie verwendet - das system befragend - große sorgfalt auf eine verstehende rekonstruktion des „falls“ bzw. anliegens, seiner funktion und hintergründe. dies alles geschieht nicht sehr „straight“, sondern eher im umwegigen und umtriebigen stil der fernseh-kommissarlegende inspektor colombo. dieser agiert - vordergründig selbst irritiert und überfordert - wie ein schwamm. es sucht nicht, er findet. er taucht in das milieu ein und wartet auf das, was er mitbekommt. denn er weiß - wie systemische berater*innen auch - noch nicht, was wichtig, was kritisch, was relevant ist. wenn dann erste relevanzfilter für die selektion wichtigen und unwichtigen wissens zur problemlösung entstehen, dann war colombo schon mehrfach am ort des geschehens und hat interveniert - wie systemische berater*innen auch. konsequent und zum teil auch ungerichtet fragend, hat er wie seine beraterkolleg*innen auch, bereits spuren im system hinterlassen: irritation oder auch mal verärgerung und verunsicherung. bereits in dieser phase der beratung ahnt das zu beratene system etwas davon, wie es sich selbst helfen könnte (hier fallen wir aus der colombo-analogie heraus: denn bei ihm ahnt das system, das es durchschaut wird). denn es wird irritiert. die systemische beratung interveniert daraufhin, dass das beratene system via wahrgenommener irritationszumutungen das eigene spiel erkennt und beginnt, damit anders umzugehen als bisher. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 23

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ das bedeutet, dass beratung das system mit der möglichkeit ausstattet, zu sich selbst in distanz zu gehen und darauf zu reflektieren, also die unterscheidungen zu beobachten, auf deren grundlage die ereignisse (auf die sich die beratung bezieht) zustande gekommen sind. das ermöglicht klarheiten und andere, neue unterscheidungen, es bedeutet aber auch (→) irritation. diese irritationsfolgen entstehen unter anderem auch aus dem (→) nichtwissen des beraters/der beraterin – bezogen auf das intervenierte system. berater*innen – wollen sie die früchte der irritation als lernimpuls im intervenierten system ernten können – sind gut beraten, mit einem gut genährten nichtwissen in die beratungssituation hineinzugehen, sonst wird die beratungsinteraktion fad, gleichförmig und unlebendig bleiben. denn der dadurch notwendige abgleich gegenseitigen nichtwissens in kommunikativen prozessen (er-) nährt das beratungssystem, indem entwürfe zum anliegen, auf das sich die beratung bezieht, entwickelt und kommunikativ ausprobiert werden können. zu viel wissen auf beraterseite würde dies verunmöglichen – es käme keine (beratungs-) systembildung zustande. die interaktion bliebe steril – ähnlich wie gelegentlich die lehrer-schüler- beziehung. erst das nichtwissen des beraters/der beraterin macht klärungen über nichtwissen und wissen dadurch möglich, dass sie nötig werden. das nichtwissen wirkt dabei in zweifacher hinsicht. einerseits fordert es heraus, klarheit in form von wissen kommunikativ neu zu generieren, andererseits irritiert es, weil es mit einem systemfremden status konfrontiert. und erst dadurch kann es impulsgebend dafür sein, dass neues, bisher unbekanntes wissen entsteht. die systemisch charmante nebenwirkung des nichtwissens ist insofern seine irritationswirkung. irritation „zwingt“ das system in (→) distanz zu seiner eigenen selbstbeschreibung. und diese distanz ist die notwendige grundlage für denkmöglichkeit alternativer optionen und damit für (selbst-) veränderungen. systemische berater*innen sind „störer“ und sie agieren manchmal auch selbst wie „gestörte“. dieser bestätigt beispielsweise die kommunikationsregeln eines systems nicht einfach, sondern er verletzt sie, um auf diese weise neue unterscheidungen, beschreibungen, positionierungen und konstruktionen zu ermöglichen. dirk baecker bezeichnet das hier gemeinte mit dem begriff „erratisch“. damit wäre aus sicht dieser argumentation die fähigkeit des systemischen beraters (wohl dann eher eines: erraters) bezeichnet, „erwartungen zu unterbrechen, das heißt, sie zu enttäuschen und andere an ihre stelle zu setzen. man tut etwas, womit zuvor niemand gerechnet hat, bietet aber _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 24

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ genau damit neue anschlüsse“ (baecker in: baecker/kluge 2003, s. 73). durch die irritationsfolgen der über erratisches verhalten „erzeugten“ störung - als verletzung des gewohnten, des üblichen und etablierten - machen berater*innen dem zu beratenden system andere vorstellungen über die eigenen wirklichkeitskonstruktionen und ihre handlungen zugänglich. dies selbstbeschreibungen der organisation und „zugänglich-machen“ geschieht über „zielgerichtete kommunikationen“, also über solche interventionen, die eigenständigkeit und selbststeuerung des intervenierten systems anerkennen, aber zugleich bestimmte resonanzen des systems auf die intervention mit ins kalkül einbeziehen. das intervenierte system kann aus der (irritierenden) differenz zwischen der eigenen und der fremden sicht informationen ableiten, die zu solchen entwicklungsimpulsen führen, die wieder ein schöpferisches kreatives und veränderungsrelevantes verhalten ermöglichen. das steigert die perspektivenvielfalt und die problemlösungskapazitäten im hinblick auf mögliche handlungsoptionen. die systemische beratung ist besonders wirkungsvoll, wenn die funktionslogik und die eigendynamik des systems selbst in der intervention vorkommt. systemische beratung arrangiert die hierfür zentrale koppelung von klientensystem und beratersystem, indem das beratungssystem mit rückkoppelungsschleifen ausgestattet wird. der diagnose- und hypothesengestützten intervention folgt eine beobachtete resonanz im system, die als information genutzt wird, um daraus hypothesen zu bilden, die wiederum grundlage neuer interventionen werden, die wiederum reaktionen im system erzeugen, welche als information im hinblick auf die (gemeinsame) überprüfung der hypothesen und auf folgeinterventionen verwendung finden usw. die dadurch immer weiter mögliche einbeziehung der funktionslogik und eigendynamik des systems in interventionsarchitektur und -design erhöht die anschlussmöglichkeit der intervention - auch wenn sie grundsätzlich eine differenzerfahrung vermittelt. zusammenfassend: die irritation, die beratung hinterlässt, bringt das beratene system in distanz zu seiner eigenen selbstbeschreibung - und wem dies zu akademisch ist: die beratung „zwingt“ das system (sich selbst zu zwingen), sich anders zu sehen als bisher, indem sie dem system zeigt, wie die beratung es sieht. und gegen diese zumutung wehrt sich das system meist mit veränderung. wenn ihm das gelingt, frohlockt der berater. aber er frohlockt im stillen, um die melodie des organisiert selbstorganisiert in gang geratenen systems nicht zu stören. und sie natürlich auch. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 25

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ für c. otto scharmer, der in seiner „theorie u“ (scharmer 2019) die auffassung vertritt, dass die form dem bewusstsein folgt, ist der wesenskern systemischen denkens: „das system dazu bringen, sich selbst zu sehen“ (ebd., s. 33). das kann (systemische) beratung ermöglichen. zurück zum inhalt bescheidenheit systemisch denken, beraten, leiten bedeutet auch, es maßvoll zu tun. „nicht zu viel“ ist insofern ein zentrales systemisches prinzip, das sich in der bescheidenheit spiegelt. diese soll verstanden sein als haltung, die auf maßvolle erwartungen abzielt. nicht verstanden werden soll die kategorie im sinne von unterwürfigkeit oder strategisch eingefärbter zurücknahme der eigenen person oder wirkung. bescheidenheit bestünde für systemische interventionist*innen darin, genügsam zu sein: ➢ sich selbst gegenüber, ➢ bezüglich der erwartungen an das intervenierte system und seine veränderungskräfte, ➢ bezüglich der erwartungen an die wirkung bzw. den erfolg der arbeit – insbesondere was die eigenen anteile daran angeht, ➢ und bezüglich der zeitlichen dimension der wirkungen der arbeit. in diesem sinne heißt bescheidenheit auch: nicht zu schnell. alles hat und braucht seine (→) zeit. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? bescheiden zu sein, bedeutet vor allem, realistisch zu bleiben bezüglich der erwartungen an das, was interventionen auszulösen vermögen. unbescheiden und unangemessen wäre es anzunehmen, die teilnehmer*innen eines trainings würde 100 % dessen, was ihnen angeboten wird, mitnehmen und „lernen“. realistisch – und im verhältnis dazu eher bescheiden – wäre es wohl anzunehmen, dass ggf. für den ein oder die andere teilnehmer*in 10 % des angebotenen „stoffs“ nachhaltig veränderungswirksam werden könnten (konjunktiv!). sich diesen lernerfolg in der professionellen rolle als leiter*in oder trainer*in zuzuschreiben, wäre wohl unangemessen, blendet es doch wichtige(re) andere wirkfaktoren des lernens aus (wie z.b. die lernumgebung, die innere situation des _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 26

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ lernenden, beziehungsqualität und gruppendynamik im lernsystem usw.). die vorkenntnisse, lernzugang, seinen/ihren „lerntypus“, die der nutzen einer bescheidenen und genügsamen herangehensweise besteht darin, auf dem teppich zu bleiben und sich selbst wie auch andere vor den enttäuschungen unangemessener euphorie zu schützen. (→) gelassenheit, (→) demut zurück zum inhalt blinder fleck in der psychologie wird – modellhaft beispielsweise im johari-fenster – mit diesem blick der teil des selbst bezeichnet, der von der person bei sich selbst nicht wahrgenommen werden kann. er kann durch wahrnehmungen anderer über die form des feedbacks reduziert werden. in der luhmannschen systemtheorie wird mit dem begriff die (→) paradoxie (der einheit der differenz) der (→) beobachtung bezeichnet. die besteht darin, dass der beobachter sich nicht selbst beim beobachten beobachten kann. die rettung (der vernunft?) führt in der systemtheorie in der regel über die kybernetik zweiter ordnung, also über die umstellung auf die beobachtung der beobachtung, auch „beobachtung zweiter ordnung“. dieser sind auch viele interventionen von beratung, leiten und steuerung in lernprozessen zuzurechnen. diese sind als (→) beobachtungen zweiter ordnung darauf angelegt, blinde flecke zu identifizieren, sie ins intervenierte system zurückzuspiegeln und formen des umgangs damit zugänglich zu machen. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? systemisches denken, beraten und leiten kann als permanente jagd nach blinden flecken verstanden werden – nicht zuletzt (und oft: zuerst) diejenige nach den eigenen. das braucht professionelle formen der beobachtung der beobachtung, z.b. lehrsupervision oder die beratung der berater*innen. oder aber die (virtuelle) distanzierung von sich selbst, den perspektivwechsel, der es ermöglicht, sich selbst bei der konstruktion seines bildes der wirklichkeit zu beobachten und so den zu grunde liegenden konstruktionsprinzipien auf die spur zu kommen. das sind oft eigene innere _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 27

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ code der code stellt einen binären schematismus dar. durch diese rigide zweiwertigkeit erfolgt eine drastische reduktion von möglichkeiten, denn die unendliche anzahl bestimmter optionen wird auf zwei reduziert, wobei die negation einer seite der differenz ausreicht, um auf die gegenseite zu wechseln: wenn ich recht negiere, bekomme ich unrecht. die verbindung der beiden gegenwerte ist unmittelbarer als diejenige mit den werten anderer (→) unterscheidungen. „das wahre ist unmittelbarer mit dem unwahren als mit dem recht oder dem schönen oder anderem verbunden.“ (baraldi/corsi/esposito 1998, s. 34) binäre unterscheidungen haben in ihren jeweiligen anwendungsfeldern universelle reichweite, denn sie sind für jede kommunikation zuständig. in ausdifferenzierten funktionssystemen ist jede kommunikation auf den spezifischen code zurückzuführen: das wissenschaftssystem beobachtet alle seine kommunikationen mittels des codes „wahr/unwahr“, das rechtssystem reproduziert sich anhand der unterscheidung von recht und unrecht und im wirtschaftssystem lässt sich alles, was geschieht, auf den code „zahlung/nicht-zahlung“ zurückführen. „die codes sind also unterscheidungen, mit denen ein system die eigenen operationen beobachtet; sie bestimmen die einheit des systems. sie ermöglichen es dem system wiederzuerkennen, welche operationen zu einer reproduktion beitragen und welche nicht. dem wissenschaftssystem gehören alle und nur die kommunikationen an, die sich am code wahr/unwahr orientieren, (...) jedes system behandelt alle seine kommunikationen ausschließlich mit den werten des codes: das rechtliche urteil oder die ästhetische schönheit einer kommunikation sind für die wissenschaftliche wahrheit unbedeutend und umgekehrt. jede am code orientierte operation zieht als operation zugleich eine grenze zwischen innen und außen (...).“ (ebd., s. 36) codes schaffen dabei auch paradoxien: mit der unterscheidung wahr/unwahr kann nicht entschieden werden, ob eben diese unterscheidung wahr oder unwahr ist. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? an ihren codes werdet ihr sie erkennen! so könnte der nutzen dieser zentralen, indes etwas sperrigen begrifflichkeit systemtheoretischen denkens beschreiben werden. anhand der beobachtungen der zugrundeliegenden codes kann die systemlogik identifiziert werden. wenn also in der konzeptionsphase eines bildungsprojektes nur kommunikationen beobachtbar sind, die auf die unterscheidung von zahlung und _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 30

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? es bedeutet: immer wieder alles dazu zu tun, um sich selbst demut, (→) bescheidenheit und (→) gelassenheit zu wahren. im prozess zurückhaltend, nicht euphorisch, klar und nicht übertrieben zu agieren. illusionsbildungen bei sich selbst und in den intervenierten systemen zu vermeiden. das kann mut machen. in aller bescheidenheit, versteht sich. demütig bleiben heißt auch, sich den (→) mut zu bewahren, auf dem boden, bei sich selbst und bei der nicht-kalkulierbarkeit des systemischen geschehens bleiben zu können. zurück zum inhalt diagnosen zu recht hat heinz kersting (1991, s. 116) auf die problematik der diagnosebildung durch diejenigen interventionist*innen hingewiesen, die sich einreden, etwas erkannt zu haben, das dem/der ratsuchenden noch nicht bekannt ist, was er oder sie nicht wahr haben will oder wofür sie oder er blind ist. das bedürfnis, dem/der ratsuchenden diese „diagnose“ - oder „deutung“ oder „auffassung“ - zur verfügung zu stellen, entspringt meist wohl eher dem bedürfnis, sich selber seiner „wahrheit“ – als „diagnose“ codiert – zu vergewissern, um handlungsfähig zu bleiben. dies kann für berater*innen eine wichtige funktion sein (für die es sicher auch indikationen gibt), die resonanz bei den ratsuchenden bleibt indes ungewiss. sicher ist hier (→) irritation eine resonanz- reflexartige ablehnung – genährt aus dem möglichkeit, eine andere abgrenzungsbedürfnis der zumutung, „durchschaut worden“ zu sein. eine andere möglichkeit ist es, abhängigkeiten zu verstärken, indem symbolisiert wird, wer der „durchblicker“ ist und in der lage ist, „die wahrheit“ zu erkennen. diese anderen möglichen resonanzen sind kein grundsätzliches plädoyer dafür, auf diagnosebildung ist und deren anbieten im beratungs- oder lernprozess aus leiter*innensicht zu verzichten, aber es sind regulatoren, davon eher nur mit aller gebotenen zurückhaltung und (→) bescheidenheit gebrauch zu machen – und insbesondere dabei die benannten möglichen „risiken und nebenwirkung“ mit zu (be-) denken. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 32

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? „diagnosen bilden“ bedeutet: wirklichkeiten (re-) konstruieren und versprachlichen - und sie damit als beobachtungs- und deutungsschablone und im hinblick auf anschlusskommunikationen verfügbar zu halten. insofern ist es wichtig, dass im beratungs- oder lernprozess gemeinsame diagnosen gefunden werden. damit wird auch eine gemeinsame konstruktion und definition des problems erschaffen, das angeblich zur lösung oder bearbeitung ansteht. zudem wird auch eine gemeinsame sprache dafür erfunden, die eine wichtige funktion zur entwicklung der beziehungsgestaltung hat. die nachhaltigkeit solch gemeinsamer diagnosen kann dadurch verstärkt werden, dass diese mit alternativen erfahrungen gekoppelt werden können – wenn sich also der ratsuchende oder die lernende in der diagnose so erlebt, wie es der diagnose entspricht. wenn also beispielsweise die reflexion einer coachingsituation durch prozessreflexion oder feedback zeigt, dass in der situation der diagnosebildung spiegelungsphänomene beobachtbar waren, die elemente des problems im hier-und-jetzt des lernprozesses abbildeten (z.b. die diagnose „geschlechterdiskrimierung“ auch in der fallbearbeitung deutlich wird). das wirkt häufig irritierend und sehr nachhaltig, weil die abstraktheit des diagnosekonstruktes in einer konkreten selbsterfahrung geerdet werden kann (indem beispielsweise erschrocken erkannt wird, dass frauen in der anliegenschilderung als „tussies“, „zicken“ und bestenfalls „mädels“ bezeichnet wurden). irritierend können solche gemeinsamen diagnosen auch dann werden, wenn anschließend die der jeweiligen diagnose zugrunde liegenden unterscheidungen und annahmen reflektiert werden. dann bekommen diagnosen bildungswert im sinne von erkenntnis darüber, auf welcher grundlage das beratungs- oder lernsystem bzw. daran beteiligte personen zu wirklichkeitskonstruktionen kommen. das ermöglicht lernprozesse zweiter ordnung, weil erkenntnisse über musterbildung generiert werden können. wirkungsvoll im sinne irritierender interventionen können auch seltsame, schräge oder übertriebene diagnosen sein. sie lösen bei den lernenden häufig ein (→) oszillieren zwischen autonomie und abhängigkeit aus und machen gelegentlich eher paradoxe reaktionen im sinne der abgrenzung von der diagnose durch eine trefflichere selbstdiagnose wahrscheinlich. in einer solchen konzeption hat die diagnose oft auch konfrontierende wirkung. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 33

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ auch das gezielte ignorieren von klientendiagnosen kann irritierende wirkungen verursachen, die andere reflexionshorizonte in den lernprozess einblenden, z.b.: wieso ignoriert mich der berater/die leiterin? usw. insgesamt wird (hoffentlich) bis zu dieser stelle klar, „dass systemische diagnosen keine statusbildungen familiärer von systemzuständen -konstruktionen (z.b. oder konstellationen) sind, sondern dynamische muster reflektieren, die im verlauf erhoben, analysiert und rückgemeldet werden“ (wirth/kleve 2021, s. 77). der begriff der (→) „hypothese“ hat indes weniger schließenden charakter und setzt weniger pathologisierende zuschreibungen frei wie derjenige der „diagnose“. zurück zum inhalt differenz ... ist ein unterschied, der einen unterschied macht. so kann kurzerhand in freier anlehnung an george spencer-browns „gesetze der form“ (spencer-brown 2004) geklärt, und damit unterschieden und bezeichnet werden. damit wurde mittels einer unterscheidung etwas von etwas anderem unterschieden, also eine differenz konstituiert. unterscheiden ist nach fritz b. simon (2018, s. 14) jede operation, „durch die ein raum, zustand oder inhalt (= eine welt) geteilt wird“. das geschieht durch (→) beobachtung. im anfangssatz wird der unterschied unterschieden (benannt, sprich beobachtet) und nach dem komma in einer zweiten unterscheidung weiter differenziert: „der einen unterschied macht“. damit gehört die differenz zur unterscheidung „identität/differenz“ (vgl. baraldi/corsi/esposito 1998, s. 71). beobachtung braucht (als grundbegriff der systemtheorie) unterscheidungen, um etwas von der welt zu sehen zu bekommen und es zu bezeichnen, es also abzutrennen, einen unterschied zu machen, der einen unterschied (von der welt) macht, um eine differenz zu markieren. differenz ist ein erkenntnistheoretischer grundbegriff der (→) systemtheorie, die auch als differenztheorie bezeichnet werden kann. frei nach dem motto: „differenzen bilden!“ verstanden einerseits als aufforderung und andererseits im sinne von: sie haben bildungswert. ohne unterscheidungen oder differenzen läuft nichts. die welt wäre nicht erschaffen (unterschieden) worden ohne die erste unterscheidung zwischen tag und nacht, die menschen nicht aus dem paradies vertrieben worden ohne die unterscheidung gut/böse. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 34

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ der sündenfall zeigt allerdings auch, dass es die zentrale energie menschlicher, sozialer und gesellschaftlicher weiterentwicklung ist, neue, noch nicht da gewesene differenzen zu bilden (vgl. orthey 1999). ob das denn immer zum guten gereicht, liegt letztlich an der frage, welche unterscheidung dem „guten“ zu grunde liegt und darf insofern angezweifelt werden. die rede von der „differenz“ ist eng mit dem (→) sinnbegriff verbunden. aus unterschieden, die unterschiede machen, können sinnsysteme entstehen. das geschieht insofern, als dass nach einer anfangsunterscheidung (anhand einer leitdifferenz) immer weiter unterschieden wird, sodass sich etwas zusammenbraut, dass (für bestimmte systeme) sinn macht und brauchbar wird (- eine dynamik, die tragischerweise von meinungsmachenden durchschaut ist und in der festigung sogenannter fake news im netz solange mit immer neuen unterscheidungen genährt wird, bis die erste unterscheidung nicht mehr in frage gestellt wird). es entstehen sprachspiele, die heutzutage gerne „narrative“ genannt werden. viele von ihnen lassen es lohnenswert erscheinen, sie mal differenztheoretisch auszuleuchten. das wäre wohl systemisch interessant. wichtige differenzen in der systemtheorie sind im sinne des sinnbegriffes die differenz von aktualität und potentialität sowie diejenige von (→) system und umwelt. mittels dieser differenzen lässt sich die welt unterscheiden (system-umwelt) bzw. erklären (aktualität- potentialität). was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? die unterscheidung „system-umwelt“ ist häufig für klienten klärend, denn sie ermöglicht es, genau zu sein. was gehört zu welchem system? mit welcher (relevanten) umwelt? was gehört zu einem anderen system, und damit zur umwelt usw. das führt häufig dazu, dass klienten klar sehen, sich nicht mehr selber jeden schuh anziehen und themen da lassen, wo sie (funktional) hingehören. auch die differenz von aktualität und potentialität ist oft klärend, wenn es in den köpfen und bäuchen (sprich: rational und emotional) mal wieder völlig durcheinandergeht. „was ist der fall?“ ist die frage nach der aktualität. und welche möglichkeiten gibt es angesichts dieser aktualität? und welche nicht? das sind fragen nach der (→) anschlussfähigkeit. differenzen können insofern ordnung stiften. und wenn denn tatsächlich „differenzen bilden!“ gilt, dann ist es die funktion systemischer interventionist*innen, neue, bisher unbekannte differenzen zugänglich zu machen, um die welt, das leben oder das arbeiten anders deuten zu können als bisher. das tun _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 35

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ „wirtschaft“. je stärker ein system funktional ausdifferenziert ist, je höher also seine eigenkomplexität ist, desto eher ist es in der lage, auf die komplexität der umwelt zu reagieren. größer werdende organisationen differenzieren in diesem sinne funktionseinheiten aus, um angemessener auf anforderungen der umwelt, z.b. der märkte oder kunden, reagieren zu können. diese komplexität erhöht im inneren des systems die anforderungen nach koordinierung und synchronisierung. wenn sehr große (organisationale) systeme an die grenzen funktionaler differenzierung geraten, weil die erforderlichen formen der koordinierung und synchronisierung zeitlich nicht mehr angemessen zur beschleunigten umwelt- (sprich meist: markt-) dynamik passen, differenzieren sie (oft beratungsgestützt) neue mechanismen aus. derzeit können in vielen organisationen bemühungen beobachtet werden, auf der basis neuer unterscheidungen (stabil/flexibel, anpassungsfähig/nicht anpassungsfähig) zu alternativen formen zu kommen, die die anpassungsfähigkeit erhöhen und entstandene organisationale erstarrungen und routinen unterlaufen. diese formen werden häufig „agil“ unterschieden. agilität ist ein ausdifferenzierter unterschied, der einen unterschied macht. aber wozu? der vollzug dieser differenzierungen und ihrer funktionalen folgen wird in (→) operationen realisiert. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? diagnostisch kann es hilfreich sein, zu fragen, mit welchem funktionsbezug eine organisationseinheit ausgestattet ist bzw. welche funktion sie angemessener und exklusiv bedient. denn (→) „sinn“ macht differenzierung nur, wenn ihr eine funktionalität in großorganisationen im verhältnis zur (relevanten!) umwelt zu grunde liegt. verselbständigen sich nicht selten funktionalitäten und verlieren den umweltbezug, reproduzieren und erhalten sich ausschließlich mit blick auf sich selbst (und entwickeln manchmal wirkungsvolle routinen der „besitzstandswahrung“). manche nennen das organisationsintern „wasserkopf“. dessen blinder fleck ist der aus dem blick geratene umweltbezug des gesamtsystems (also meist: der markt). systemische beratung kann unterstützen, diese eigendynamik vom ursprünglichen funktionsbezug abgekoppelter differenzierung zu entlarven und in ihren ursachen zu entziffern und den funktionsbezug neu zu justieren. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 37

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ zudem kann umgekehrt in (organisations-) beratungsprozessen herausgearbeitet werden, welche funktionalitäten überhaupt relevant und zu bedienen sind und ob sie angemessen abgesichert sind oder ggf. neue (zentrale oder dezentrale) systembildungen brauchen. bezogen auf das setting von lern- und entwicklungsprozessen ist es hilfreich, wenn dieses der komplexität des intervenierten systems, also z.b. einer organisationsabteilung, angemessen ist. günstigstenfalls spiegelt die differenzierung des designs des lern- oder interventionsprozesses die differenzierung und damit die komplexität des systems wider und erhöht damit die anschlussfähigkeit und brauchbarkeit für das system. das heißt beispielsweise konkret: wenn ein abteilungsteam funktionale subteams ausdifferenziert hat, dann macht es sinn, mit diesen subsystemen zu arbeiten bzw. gemeinsam mit ihnen fragen der koordinierung und synchronisierung zu bearbeiten. zurück zum inhalt distanz „systeme gewinnen (...) distanz zu informationen (und eventuell: zu sich selbst), wenn sie die unterscheidungen, die sie als differenzen benutzen, sich als einheit zugänglich machen können.“ (luhmann 1993, s. 597) dieser satz aus luhmanns komplexer theoriearchitektur lässt sich auch für den bereich der intervention übersetzen. sich „differenz als einheit“ zugänglich zu machen, benötigt eine form von reflexion, die eine fassung der differenz mit einer übergeordneten kategorie ermöglicht. damit dies gelingen kann, muss ich mich von der zu beobachtenden unterscheidung mit ihren zwei seiten so weit entfernen, dass ich sie insgesamt in den blick nehmen und neu bezeichnen kann. dann erkenne ich – als (→) beobachter zweiter ordnung – das mit der unterscheidung insgesamt bezeichnete thema. wenn ich – in hinreichender distanz - beide seiten der unterscheidung „unten/oben“ in den blick nehmen kann, erkenne ich „höhe“. wenn der klient erkennt, dass seine richtig/falsch-unterscheidungen für das bedürfnis nach „objektiver wahrheit“ steht und er sich weiter distanziert, kann er womöglich sogar das mentale modell erkennen, das hinter diesem bedürfnis steht. das kann zum beispiel „defizitorientierung“ sein. solche prozesse der distanzierung sind auch solche der zeitlichen distanzierung. distanz entsteht mit blick auf die unterscheidung anfang/ende. und diese unterscheidung lässt sich aus der distanz als (→) „zeit“ bezeichnen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 38

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? (→) beobachtung braucht distanz (sonst sieht sie nichts). genauere beobachtung von details braucht weniger abstand, die beobachtung von zusammenhängen und relationen, von modellen und mustern mehr. systemische interventionist*innen sind insofern distanzgeber, wenn sie andere beobachtungspositionen einnehmen als das intervenierte system. sie sind distanzvermesser und distanzjustierer, wenn sie beobachtungspositionen so einrichten, dass sie vom intervenierten system auch erreicht und genutzt werden können, sie sind dies, wenn sie zeitliche abfolgen und rhythmen z.b. von coachingsitzungen planen - und sie sind dies auch, wenn sie das nähe- und distanzverhältnis zwischen klienten- und beratungssystem gestalten. das heißt, dass interventionist*innen selbst distanz brauchen, um distanzen zugänglich zu machen: zu sich selbst, zum klientensystem, zum thema, zur organisation. da sie sich selbst dazu in distanz begeben, erkennen sie auch, wenn und wann (→) nähe angemessener ist. mit aller distanz sind sie auch distanzhalter. „das ist die kunst des abstands, von der hier die rede ist. es ist die kunst, die mit der distanz, mit der differenz, mit dem unterschied beginnt und sich von dort aus die verhältnisse anschaut, um sich dann in ihnen und mit ihnen zu entscheiden.“ (baecker 2008, s. 633) zurück zum inhalt emotionen „wenn du die emotion wissen willst, dann schau auf die handlung, und wenn du die handlung wissen willst, dann schau auf die emotion.“ (maturana/verden-zöllner 2005, s. 181) (→ gefühle) zurück zum inhalt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 39

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ entscheidungen „von entscheidungen soll immer dann gesprochen werden, wenn und soweit die sinngebung einer handlung auf eine an sie selbst gerichtete erwartung reagiert.“ (luhmann 1993, s. 400) das bedeutet zunächst, dass handeln auf entscheidungen beruht – wenn nicht für den handelnden, so doch für einen beobachter, der das unterstellt. wenn jemand immer das gleiche tut, also routinisiert handelt, wird oft gemutmaßt, dass dies auf einer einmal getroffenen entscheidung basiert, die damit der handlung (→) sinn hinterlegt. entscheidungen machen also sinn. deshalb wird auch so viel entscheidungsunterstützung gebraucht in beratungs-, supervisions- und coachingprozessen. jedenfalls ist das die unterstellung, die nahrung von allerlei gesellschaftsdiagnosen bekommt, die auf möglichkeitszuwachs und selektivitätsnotständen basieren. da müssen entscheidungen her. gute, sinnvolle entscheidungen. meistens sollen sie auch noch schnell sein. wenn diese unterstellung mit der alltagssprachlichen definition von entscheidungen als „wahl zwischen alternativen“ zusammengeführt wird, ergibt sich daraus eine bestechende und entlastende logik: das, was ich getan habe, wurde einer prüfoperation unterzogen und macht damit sinn – mehr sinn, als wenn ich nicht darüber nachdacht und nicht bewusst entschieden hätte. meine handlung war nicht beliebig, sondern bewusst entschieden: ich habe mir gut überlegt, was zu tun sei und habe entschieden, die salzige suppe zu reklamieren. das machte für mich sinn. nun verhält sich der kellner aber unübersehbar unfreundlich, ich bekomme keine neue suppe, aber die rechnung vorgelegt. ich zweifle an der richtigkeit meiner entscheidung und überprüfe deren sinnbasis. hätte ich nicht anders entscheiden sollen? entscheidungen bleiben also eine ambivalente angelegenheit: sie schaffen handlungssicherheit (beim handelnden und beim beobachtenden) durch die unterstellung einer besseren sinnfestigkeit (es wird reflexion unterstellt), sie produzieren aber auch das gefühl, dass es anders entschieden doch womöglich anders/besser hätte ausgehen können. das macht ihren personalen, kommunikativen und organisationalen charme aus: es muss nicht immer alles neu entschieden werden. gleichzeitig produziert das vorhalten von vorentschiedenen routinen, die manchmal auch entscheidungsroutinen sind, immer auch anlässe der infragestellung der angemessenheit und richtigkeit der _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 40

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ entscheidungen. entscheidungen hinterlegen also der wahl aus alternativen einen sinn, sie stiften aber gleichzeitig auch dazu an, diesen zu hinterfragen. das allein ist schon anstrengend, wenn es jedoch in sozialen kontexten aufgehoben wird, dann wird es gelegentlich sehr aufregend. und dauert seine zeit. die gruppendynamische intervention „entscheiden sie zunächst bitte, wie sie hier entscheiden wollen“ führt in die paradoxie. ein entscheidungsverfahren ein entscheidungsverfahren entschieden zu haben, ist … mindestens nervig. wenn es dann geklappt hat nach drei tagen superanstrengender gruppendynamik, wird es meist nicht mehr gebraucht. es funktioniert alles wie von selbst – ganz ohne geheime stimmabgabe mit 2/3 oder anderer mehrheit nebst reintegrationsverfahren für die entstandene entscheiden, zuvor ohne zu minderheit. eine geteilte vertrauensbasierte personale, soziale und inhaltliche ortskenntnis sind mehr als das, was ein noch so ausgefeiltes entscheidungsverfahren an handlungssicherheit und sinn zu bieten hat. diese funktion von entscheidungen als sinngebungsuntersteller und die damit einhergehende ambivalenz (gleichzeitig sind sie nämlich auch sinngebungskiller) im blick zu haben, das ist die aller erste konsequenz für systemische interventionist*innen. und natürlich auch, gemeinsam mit dem intervenierten system zu prüfen, welche funktion und welchen nutzen es denn hat, dass derart begeistert nach entscheidungen gesucht werden muss ... und wovon damit abgelenkt wird. und wozu. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? ‚richtigen’ entscheidungen, sondern nur möglichkeiten des „es gibt damit keine differenzmachenden eintritts in die zirkuläre bestimmung von entscheidung und zukunft, möglichkeiten des „symmetriebruchs“ und der einrichtung von irreversibilität (...) und deshalb mag es sich empfehlen, entscheidungen im probierstil zu entwerfen, sie unter revisionsvorbehalt zu stellen, sie an lernmöglichkeiten auszurichten oder sie so zu wählen, dass sie mehr wahlmöglichkeiten erzeugen als vernichten.“ (luhmann 1991, n 3) ole reuter, in die jahre gekommener unternehmensberater sagt dazu in sten nadolnys roman „er oder ich“: „entscheidungen empfinde ich fast immer verfrüht oder, wenn sie bereits getroffen wurden, als falsch. aber die eigene unentschiedenheit aushalten zu können, gerade das prädestiniert für den beraterberuf.“ (nadolny 1999, s. 11/12) _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 41

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ konserviert wird und sich strukturen und prozesse nachhaltig und stabil anpassen und tatsächlich weiterentwickeln. manche veränderungs- und lerneuphoriker*innen wären heutzutage wohl gut beraten, die (über-) dosierung der variation zugunsten einer brise stabilisierender selektion herunterzusetzen. variation ist eine abweichung von bestehenden strukturen. damit es dazu kommen kann, braucht das system eine (→) störung aus der umwelt, die als (→) irritation für die bestehenden strukturen wirkt und zu strukturellen veränderungen anlass gibt. wenn ein solcher kommunikativer misserfolg, den ein interner beobachter als „problem“ oder „fehler“ im verhältnis zwischen system und umwelt ausmacht, dazu führt, dass das system darauf mit selbstveränderung, also mit selbstgewählter und selektierter veränderung reagiert, dann kann in diesem sinne von einer aus sich selbst heraus entwickelten evolution gesprochen werden. die braucht jedoch immer eine instabilität der umwelt, die noch nicht mit derjenigen des systems synchronisiert ist, die aber (→) anschlussfähigkeit für die (→) autopoiesis des systems besitzt. dann kann (nicht muss) sie eine variation auslösen, die als nützlich selektiert und strukturell konserviert wird. wegen des kriteriums der anschlussfähigkeit hat evolutionär gedachte und konzipierte entwicklung den besonderen systemischen charme der akzeptanz und der dauerhaftigkeit der gewählten veränderung, weil sie die selbststeuerungsstrukturen verändert - und nicht den output. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? es heißt zuallererst: mit dem system gehen, seine oszillatoren betätigen, beobachten, was davon anschlussfähig und brauchbar zur selbstveränderung wird, weiterintervenieren, beobachten – und der selektionsrichtung des intervenierten systems vertrauen. es heißt auch, gleichzeitig mechanismen, die die drei funktionen (variation, selektion und stabilisierung) erfüllen, zu animieren und anzuregen. denn es gilt, dass die evolution dadurch beschleunigt wird, dass solche mechanismen unterschiedlich wirken. konkret: anregung zur selbstveränderung durch zugänglichmachen von brauchbaren störungen, selektionsmechanismen fördern – also keine wilde veränderungs- oder lernhektik, sondern von und manchmal gleichzeitig fordern fördern auch - - entscheidungsprozessen. und zugleich anregen und entwickeln von strukturen und prozessen, die in der lage sind, gewählte veränderungen zu stabilisieren und zu konservieren. oft wird viel in die veränderungsaktivierende irritation investiert. menschen, teams oder organisation bleiben dann – natürlich unter dem deckmantel von (→) _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 43

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ autonomie selbstbestimmung allein mit selektions- und oft und – stabilisierungsnotwendigkeiten, die sie nicht bedienen können. die variation verpufft, gesehen, aber ungenutzt. schade eigentlich für den ganzen aufwand. übrigens heißt das für interventionist*innen vor allem auch: (→) zeit lassen und zeit geben für das, was veränderung braucht, um zu tragfähiger evolution zu werden. die natur bietet einige beispiel für die zeitlichkeit „evolutionärer“ veränderung. selegiert wird natürlich im falle verpuffender veränderungen und innovation trotzdem: aber für statuserhalt und gegen variation. dabei wird meist etwas mitkonserviert, was für folgeevolutionen hinderlich werden kann. es kann gelernt werden, wie mit störenden variationen so umgegangen wird, so dass sie letztlich wirkungslos verpuffen. in vielen organisationen ist das ein gerne genommenes und viel gesehenes modell. andererseits führt das gerade auch kein wunder angesichts der beratergetränkt durchlittenen veränderungshypes des „wind of change“. paradoxerweise in einer zeit, die von veränderungssemantiken zu leben scheint, zu neuen, oft dauerhaften verhärtungen. obwohl oberflächlich betrachtet alles flexibel und „durchgechangt“ daherkommt. der oft gehörte satz „für uns wird sich nichts verändern“ oder auch die aussage „ich habe viel gelernt“ sollte berater und trainer*innen aufmerksam machen. er könnte auf ein muster vermeintlicher selektion und stabilisierung hinweisen, das aber durch ein tieferliegendes metamuster gesteuert wird, das darauf hinausläuft, dass alles so bleiben kann – und muss! – wie es ist. auch wenn sich die visitenkarte, das organigramm oder eine formale struktur geändert hat. wirkliche evolution umfasst somit notwendigerweise auch diejenigen selektions- und stabilisierungsmechanismen, die dafür zuständig sind, evolution zu steuern. luhmann: „die form der evolution (variation/selektion) ist mithin eine form zweiter stufe, eine aus formen gebildete form.“ (luhmann 1997a, s. 474) förderlich für die anregung und begleitung evolutionärer prozesse ist dabei, das jeweils intervenierte system zu umfassenden selbstbeschreibungen und feedbacks zu stimulieren. damit es sich einerseits vergewissern kann, was wie, in welcher art und weise variiert, es andererseits weiß, was zur selektion ansteht, bzw. wie weit diese mit welchem evolutionären nutzen gediehen ist und was es noch braucht, um den jeweiligen zustand zu stabilisieren. zurück zum inhalt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 44

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ fragen fragen können ratsuchende oder lernende zu solchen auseinandersetzungen anzuregen, die neue wirklichkeitskonstruktionen sinnvoll bzw. nötig machen. fragen unterbrechen dabei den etablierten kreislauf von reaktionen auf der basis gefestigter vorannahmen dadurch, dass sie es ratsuchenden oder lernenden ermöglichen, eigene konstruktionen und deutungen (neu) kennen zu lernen, diese mitzuteilen, zu überprüfen oder sie in frage zu stellen. heinz kersting vertrat bereits früh die auffassung, dass berater*innen häufiger nach dem „wozu“ oder „wie“ fragen werden statt nach dem „warum“. „die warumfrage stellen die ratsuchenden in unseren breiten, da sie in einer schuldkultur und nicht in einer vertragskultur aufgewachsen sind, ohnehin häufig genug ...“ (kersting 1991, s. 117f) „wozu-fragen“ haben hingegen dadurch irritationspotenziale (→ irritation), dass sie neue sichtweisen provozieren: „wozu brauchen sie ihr problem denn eigentlich? was profitieren sie davon? welchen gewinn haben sie davon?“ oder mit „wie-fragen“: „wie schaffen sie es, dass sie ihr problem so ungehindert genießen können? wie heißt das spiel, das da gespielt wird und nach welchen spielregeln funktioniert es?“ auch fragen nach dem interesse an erfolg oder misserfolg des beratungs- oder lernprozesses oder fragen nach dem, was auf gar keinen fall als ergebnis dieses prozesses herauskommen kann, sind insofern irritierend, als dass sie zur auseinandersetzung mit einer überraschenden perspektive anregen (oder auch: „zwingen“), die durch ihre ungewöhnlichkeit zugleich auch zur auseinandersetzung reizt: „was könnten sie denn ganz konkret alles tun, damit ihr problem sich weiter verschlimmert?“ auch zukunfts-fragen - „was hat sich nach abschluss des lehrgangs in zwei jahren konkret verändert in ihrer praxis als führungskraft?“ – oder wunder-fragen – „stellen sie sich vor, es geschieht heute nacht ein wunder und ihr problem ist morgen früh weg. woran würden sie es bemerken?“ – stellen ebenso hilfreiche unterstützungen zur auseinandersetzung mit den eigenen wirklichkeitskonstruktionen dar, wie scheinbar sehr einfache fragen: „was meinen sie mit dem, was sie eben gesagt haben? können sie ein beispiel geben? wie ist das für sie? kennen sie dieses gefühl aus anderen situationen ihrem leben?“ (kersting 1991, s. 118/199) auch fragen nach beschreibungen bzw. konkretisierende fragen eröffnen häufig dadurch neue klarheiten, in _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 45

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ➢ anpassungsfunktionen des status quo: „welchen zweck erfüllt die augenblickliche situation? was ist ihr nutzen? was sollte sich nicht verändern?“ ➢ wirkungen einzelner optionen oder veränderungen - durch hypothetische fragen: „wie würde die situation in ihrer abteilung sich in einem monat entwickelt haben, wenn sie möglichkeit a (alternativ: b oder c) erfolgreich umgesetzt haben?“ ➢ einschätzungen und diagnosen zum lern- und beratungsprozess - durch meta- fragen: „wie würden sie unsere kommunikation momentan beschreiben?“ besondere bedeutung kommt im hier fokussierten kontext der irritierenden interventionen zur anregung von lernprozessen den zirkulären fragen (simon/rech-simon 2000, königswieser/exner 1999, s. 35f) zu. mit hilfe dieser aus der systemischen familientherapie entlehnten fragetechnik können leiter*innen oder beraterinnen* „einerseits deutungen hervorheben, um hypothesen bilden zu können, andererseits zielt das zirkuläre fragen auf eine veränderung der bisherigen sichtweisen und deutungsmodelle ab“ in einem teamentwicklungsprozess reihum gefragt wird, wie die mitglieder die beziehungen (kersting 1991, s. 119). wenn beispielsweise innerhalb des teams sehen, kann dadurch ein linear-kausales deutungsmodell zugunsten einer zirkulär-systemischen sichtweise aufgegeben werden, indem die teammitglieder sich aufeinander bezogen erfahren (ebd.). im gegensatz zu direkten fragen oder gar konfrontationen, bieten zirkuläre fragen auch den schutz des umweges über einen anderen, um tabus, phantasien oder mythen anzusprechen. dadurch haben die antworten auf zirkuläre fragen auch die funktion der selbstirritation, weil sie möglicherweise informationen und sichtweisen ins geschehen einführen, die neue sinndeutungen verlangen, weil alte bewährte muster nicht mehr „funktionieren“. dadurch, dass zirkuläre fragen muster und stabilisierungen wieder verflüssigen, können bei einzelpersonen und bei gruppen und teams lernprozesse zwischen stabilität und irritation, zwischen faktizität und reflexivität bzw. zwischen ordnung und unordnung in gang gesetzt werden. auch lösungsorientierte, querdenkerischen fragen (varga von kibed/sparrer 2003, s. 122ff) können solche oszillationsprozesse (→ oszillieren) auslösen. denn angesichts des wunsches nach veränderung stellt sich ja zuallererst die frage, aus welchen gründen die erwünschte erfolgreiche veränderung nicht schon eingetreten ist bzw. welche nichtveränderungsmuster dazu geführt haben, den zustand zu verfestigen und das problem zu stabilisieren, statt es zu lösen. da fallen dem inneren „querdenker“, den es _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 47

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ gab, lange bevor der begriff politisch funktionalisiert wurde, von matthias varga von kibed und insa sparrer schon einige paradoxe fragen ein: „wodurch können wir besonders zuverlässig erreichen, dass das problem nicht gelöst wird? welche ressourcen zur verhinderung einer lösung haben wir bisher nicht ausreichend berücksichtigt? (...) wie können wir ihn oder sie besser dazu motivieren, die problemlösung wirkungsvoll verhindern zu helfen?“ (ebd., s. 112/113). das irritiert – und führt dadurch weiter zu den mustern der veränderungsverhinderung. fragen, insbesondere zirkuläre oder paradoxe fragen sind mechanismen der selbstvergewisserung und zugleich der selbstinfragestellung. die fähigkeit konserviert zu haben, immer weiter fragen bezogen auf system und relevante umwelt stellen zu können, wäre ein wichtiger indikator für ein „lernendes system“ (vgl. orthey 2006) im sinne der ausbildung und aufrechterhaltung seiner responsiven fähigkeiten. und inwiefern genau? zurück zum inhalt funktion „man könnte formulieren: die funktion der funktion ist die funktion – um deutlich zu machen, dass es sich um eine form handelt, die universell und also auch selbstreferentiell praktiziert werden kann.“ (luhmann 1997a, s. 1125) wird diese selbstbezüglichkeit ernst genommen, ist zu fragen, welche funktion dieser satz mit bezug auf was, z.b. die theorie niklas luhmanns hat. eine universelle funktion ist das offenbar, die ein vergleichsverfahren ermöglicht, das darauf angelegt ist, zu beobachten, was andere nicht beobachten (können). so wäre die antwort. oder – auf die frage der funktion dieses satzes für die community, die sich um diese theorie gebildet hat: sich sprachlich abzugrenzen zwischen den zuschreibungen des schwerverdaulichen tief- und des tautologischen schwach-sinns ... „funktion“ als zentralbegriff einer theorie funktionaler differenzierung ist ein systemisch höchst praktischer und brauchbarer begriff. niklas luhmann verwendet ihn in seiner theorie zunächst, um die beobachtung des gesamtsystems, dem ein teilsystem angehört, zu beschreiben: wirtschaft ist teil des gesamtsystems gesellschaft. ihre (gesellschaftliche) funktion besteht darin, unter den bedingungen von knappheit _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 48

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ versorgung sicherzustellen. ihre leistungen bestehen hingegen darin, bedürfnisse von menschen und anderen subsystemen der gesellschaft zu befriedigen. mit leistung ist damit im unterschied zur funktion die beobachtung anderer systeme gemeint. drittens gibt es als begriff für die beobachtung des eigenen systems noch den begriff der reflexion. der begriff „staat“ dient der selbstbeschreibung des politischen systems (reflexion), dessen gesellschaftliche funktion es aber ist, kollektiv bindende entscheidungen zu treffen (vgl. luhmann 1997a, s. 757f). für was also – mit bezug worauf? um das mal so zu vereinfachen … was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? die funktion dieser o.g. vereinfachung könnte darin bestehen, komplexität zu reduzieren oder aber die fähigkeit des autors zu verdeutlichen, zunächst unverständliches nach langem spiel endlich doch mal auf den punkt zu bringen – oder aber seine unwissenheit zu kaschieren. insofern ist die frage nach der funktion für das system eine systemisch sehr interessante. noch dazu für solche beobachter*innen, die außerhalb stehen und damit funktionen beobachten oder aber auch mutmaßen können, die das system nicht zu sehen bekäme. dass es die funktion einer vielzahl von veränderungsprojekten und des immer neuen engagements immer wieder neuer teurer berater*innen sein könnte, wirkungsvoll veränderung zu verhindern, das wäre eine funktion(szuschreibung), die wohl aus dem inneren des systems nur recht selten zu hören ist. dass es die funktion von widerstand und ablehnung sein kann, aufmerksamkeit und günstigstenfalls nähe und anerkennung zu bekommen, ist eine nicht selten diagnostizierte funktion abweichenden verhaltens unter den heute oft zu beobachtenden organisationalen bedingungen zunehmender kälte, härte, verrohung und ausbeutung. die frage, die mit der verwendung des funktionsbegriffes seriöser weise einhergeht, ist: mit bezug auf was? im systemtheoretischen denken ist die funktion der funktion klassischerweise die steigerung und stabilisierung der selbsterhaltungsfähigkeit des gesamtsystems. funktionale subsysteme werden eben deshalb ausdifferenziert. das ist auch in einem erweiterten systemischen begriffsverständnis eine hilfreiche justierung der verwendung des funktionsbegriffes, der zu interessanteren und weiterführenderen erkenntnissen führt als die bloße bewertung eines verhaltens. zugespitzt: wenn der missbrauch von kindern als abscheulich, grausam und menschenverachtend bewertet wird, ist damit vieles, meist alles gesagt. wenn es darum geht, wie gesellschaft, rechtssystem, familie, _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 49

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ therapeut*innen oder partner*innen darauf angemessen reagieren sollen, dann ist die frage nach der funktion dieses verhaltens weiterführend. denn dieser grauenvolle akt muss die lösung für irgendein problem sein – und in diesem sinne eine funktion haben. es wird nur dann gelingen, nachhaltig veränderungswirksam zu agieren - gesellschaftlich, rechtlich, therapeutisch, kommunikativ -, wenn es gelingt, die funktion der lösung „kindesmissbrauch“ für das system mensch (kinderschänder) - bzw. ggf. auch für systeme seiner umwelt - herauszuarbeiten. für systemisches denken und handeln bedeutet eine orientierung am erforschen der funktion eine erweiterung von hypothesen und möglichkeiten - im hinblick auf diagnose und auch im hinblick auf die angemessene gestaltung von interventionen. zurück zum inhalt gefühle was gefühlsmäßig vielen therapeut*innen, erwachsenenbildner*innen und berater*innen schon lange klar war, das wird jetzt von den neurobiologen bestätigt: „wie auch immer das resultat rationalen abwägens lauten mag, es unterliegt der letztentscheidung des limbischen systems, denn es muss emotional akzeptabel sein. der eine freund wird mir dies, der andere jenes raten; wem ich glaube und folge, wird letztlich emotional entschieden und zwar im rahmen all meiner bisherigen erfahrungen. unser verstand kann als ein stab von experten angesehen werden, dessen sich das verhaltenssteuernde limbische system bedient.“ (roth 2003, s. 527) die forschungsergebnisse der gehirnforschung belegen, dass menschen in ihrer rationalität letztlich von ihren, dieser rationalität vorgeschalteten gefühlen geleitet und gesteuert werden. gefühle können insofern vieles ermöglichen und sie können – insbesondere, wenn sie negativ ausgeprägt sind - auch vieles blockieren. das hab‘ ich so im gefühl. rein emotional, versteht sich. der biologe und systemdenker humberto maturana meint, dass „die emotion die handlung bestimmt und dass, biologisch gesprochen, emotionen dynamische körperliche bereitstellungen zu handlungen sind, die in jedem moment die handlung abgegeben, die eine bewegung oder ein verhalten ist“. daraus folgt, dass es die emotion ist, „mit der sich eine bestimmte geste ereignet oder empfangen wird, die diese geste zu einer einladung oder zu einer drohung macht“ (maturana/verden-zöller 2005, s. 20/21). wenn wir also _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 50

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ derart emotionsgesteuert sind, dann müssen wir auf die gefühle schauen, die wir erleben und wahrnehmen bzw. genaugenommen auf das, was uns in unseren gefühlen bewegt – und was wir verlegenheitshalber „emotionen“ nennen, um über diese aspekte unseres gehirns und unseres geistes zu sprechen (vgl. ledoux 2011, s. 18). „emotionen sind eher etwas, was uns zustößt, als etwas, dessen eintreten wir uns wünschen.“ (ledoux 2011, s. 22). wir können uns lediglich mit erlebnissen bzw. mit situationen versorgen, die das entstehen erwünschter emotionen wahrscheinlicher zu machen scheinen. deshalb gehen wir ins kino oder zum fußballspiel, essen gut und trinken gelegentlich zu viel. wenn emotionen – so nennen wir ja auch gerne heutzutage „große gefühle“ - denn wie gewünscht oder auch unerwünscht auftreten, dann werden sie „zu mächtigen motivatoren künftigen verhaltens. sie bestimmen ebenso den kurs des handelns von einem moment zum nächsten, wie sie die segel für langfristige ziele setzen.“ (ebd.) manchmal bringen sie uns auch in schwierigkeiten oder machen uns krank und schaden uns. zum beispiel wenn ärger zu zorn und zorn zu hass wird – oder lust zur sucht. sie steuern uns jedenfalls ziemlich wirkungsvoll, machen uns gute oder ungute gefühle. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? gefühle haben insofern einen bedeutenden einfluss auf lernvorgänge und entwicklungsprozesse. negative gefühle wie angst, unlust oder sorge beeinträchtigen die verarbeitung und verankerung des lerninhaltes. auch lernen unter stress mindert den erfolg. gefühle entstehen in einem teil des gehirns, der limbisches system genannt wird. er hat die aufgabe, eintreffende informationen zu bewerten, ihre relevanz zu prüfen und damit eine adäquate reaktion des menschen auf den entsprechenden reiz sicherzustellen. mit dieser bewertung ist eine emotionale einfärbung der informationen verbunden. eine positive - emotionale - besetzung des lerninhaltes ist für das - rationale - behalten wichtig. daher wird ein lernstoff besonders gut aufgenommen, wenn er mit positiven gefühlen verbunden ist. interventionist*innen, die die anregung von lern- und entwicklungsprozessen im schilde führen, sind insofern gut beraten, wenn sie ➢ sich selbst in einem positiven gefühlszustand halten (denn dieser überträgt sich auf klient*innen, teilnehmer*innen und lernende), _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 51

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ➢ die entwicklung positiver gefühlszustände, z.b. durch gestaltung von kontext und umgebung oder durch ein angemessenes nähe- und distanzverhältnis fördern, ➢ gezielt gefühle ansprechen und interventionen daraufhin konzipieren und anlegen, dass diese möglichst auch emotionalisieren, ➢ gute, positive gefühle ermöglichen. denn: „verstand und vernunft brauchen gefühle zu ihrer durchsetzung.“ (roth 2003, s. 527) zurück zum inhalt gelassenheit justiert ähnlich wie (→) haltung des gelassenheit interventionisten. nicht im sinne von gleichgültigkeit, sondern im sinne von „zulassen“: zulassen der selbstorganisation des intervenierten systems. gelassenheit gilt von jeher (→) bescheidenheit die als element kluger lebensführung (z.b. in der philosophie der stoa). sie ermöglicht ein „gezieltes lassen“ (also kein planloses laufenlassen), das von einer inneren ruhe und dem (→) vertrauen genährt wird, dass es gelingen kann, wenn es gelingen soll. gelassenheit beinhaltet aufgeschlossenheit, interesse und (→) respekt für das, was immer auch geschieht. sie verhindert planlosen aktivismus. sie braucht (prozess-) geduld – veränderungsprozessen. je unterschiedlichen eigen- und systemzeiten in lern- und für die was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? gelassenheit verhindert eine überforderung des intervenierten systems z.b. durch ansprüche an lern- oder veränderungserfolge. sie vermittelt meist auch diejenige souveränität, die veränderungsprozesse in einer gemengelage von unsicherheiten an begleitender sicherheitsanmutung brauchen (z.b. durch die ausgestrahlte ruhe). sie vermittelt vertrauen und toleranz der – gelassen akzeptierten – abweichung gegenüber (wenn jemand z.b. nicht mitmachen oder „mitspielen“ will). sie sorgt für ruhe in bewegten und bewegenden zeiten. zurück zum inhalt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 52

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ geschichten „geschichten sind in einzigartiger weise verwendbar, um komplexe interaktions- und beziehungsmuster sowie deren veränderung zu beschreiben. ihr vorteil ist, dass sie eine zeitliche dimension und eine dramaturgie aufweisen. sie liefern insofern muster der beschreibung und umdeutung, die vielfältige identifikationen ermöglichen.“ (simon/rech- simon 2000, s. 283) diese qualität macht womöglich auch die geschichten der organisation in der methode des „story telling” (frenzel/sottong/müller 2004) für das (wissens-) management attraktiv. denn geschichten geben situationen, ereignissen, elementen und deren beziehungen eine sprachliche gestalt, die kommunikation insofern fördert, als dass sie zur auseinandersetzung mit deren verstehen anregt. dies betrifft personen und es betrifft kommunikationen. die geschichte, die ich bei der abschlussveranstaltung im rahmen einer organisationsberatung über ein kleines gallisches dorf und seine helden erzählte, war auf die anregung von kommunikativer auseinandersetzung mit der in der geschichte „verpackten“ internen konstitution des intervenierten systems, einer softwareentwicklungsabteilung, angelegt. dazu musste die geschichte einerseits anschlussfähiges an die sinn- und deutungsbestände im intervenierten system enthalten, sie musste wiedererkennbares anbieten, andererseits musste sie gleichzeitig irritationspotenziale aufweisen, um kommunikativ attraktiv zu werden. die geschichte reduziert dabei die komplexität des intervenierten systems, indem die synchrone strukturebene des „hier-und-jetzt“ mit der diachronen strukturebene des zeitlichen ablaufes zu einem muster verwoben wird (kersting 1991, s. 120). dadurch, dass geschichten mit den inneren landkarten der zu beratenden verglichen werden, regen sie diese dazu an, ihre sicht (oder besser: ihre geschichte) der welt aus- oder umzudeuten. im geschilderten fall der organisationsberatung stellt die geschichte gewohnte und im laufe der beratung eingehend diagnostizierte und reflektierte zusammenhänge zudem in einen anderen rahmen (klein bonum, beraterix und andere). diese metaphorische verfremdung erleichterte es den beratenen, sich zu identifizieren und zu neukonstruktionen zu kommen. waren zuvor im beratungsprozess die gleichen inhalte – thesenartig und theorieorientiert formuliert und in umlauf gebracht – impulse, die widerstände von organisationsmitgliedern aktivierten, so wurden diese – nunmehr als geschichte aufbereitet – nachdenklich benickt, schmunzelnd akzeptiert und gar _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 53

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ➢ geschichten helfen, ereignisse und ideen zu konservieren und bei bedarf wieder zu erinnern. geschichten werden dabei nicht notwendigerweise nur von den berater*innen und interventionist*innen erfunden und erzählt, sondern sie können auch im rahmen von lernsettings von den teilnehmenden erfunden, erzählt und gedeutet werden. die wiedergabe von wirklichkeitswahrnehmungen der betrieblichen organisation durch geschichten bietet einen schutz an, der es erleichtert, schwieriges, verborgenes und unangenehmes anzusprechen und es phantasievoll zu verfremden. es steht dann der deutungsarbeit – meist im sinne der suche nach hintergründen, funktionen, mustern, routinen und mechanismen – zur verfügung. dem erzählen der geschichte sein dank. auch fragen, die sich angesichts einer bestimmten konstruktionsweise der geschichte, einer bestimmten gewählten sprache der geschichte, bestimmter stark hervorgehobener oder auch gänzlich ausgeblendeter themen stellen, werden durch die formgebung „geschichte“ zugänglich. denn diese form ist selektiv. was wird von der organisation interessante berichtet, wenn ihre geschichte erzählt werden soll? das ist eine fragestellung und das ergebnis verspricht qualitativ deutlich andere einblicke in die organisation wie z.b. eine power point präsentation. organisationsgeschichten erzählen zu lassen, ist ein äußerst anregendes verfahren, das z.b. aufschluss über die mythen der organisation, über die hintergründigen bindungsmotive, die mikropolitischen spiele und andere besonderheiten ihrer tiefenstruktur ermöglichen kann. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? angesichts dieser reizvollen leistungserwartungen für lern- und veränderungen hat die berater*innenszene das „geschichten erzählen“ geschwind zum sprachspiel des „storymanagement“ fordert manager*innen und berater*innen auf, genau hinzuhören, welche geschichten in den unternehmen erzählt (loebbert 2003) gemacht. dies werden und leitet sie an, narrativ zu intervenieren und selbst gute geschichten zu erzählen. das storymanagement nähert sich aus vier perspektiven einem verständnis der „organisatorischen basisgeschichten“ an, die zudem für den erfolg narrativer interventionen stehen – und die für interventionen im sinne der förderung „lernender systeme“ (orthey 2006) mit narrativen erzählformen anschlussfähig sind. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 55

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ➢ erstens geht es aus einer hermeneutischer sicht um das sinnverstehen. denn bevor sich irgendetwas verändert, muss klar sein, welche geschichten organisational handlungsleitend sind. ➢ zweites geht es aus einer systemischer perspektive darum, mit anderen, neuen, alternativen geschichten neue erlebnisräume zu schaffen. auf diese weise sollen über irritationen und störungen alternative sinnangebote zugänglich gemacht werden. ➢ mit einer dritten, strukturellen sichtweise werden diejenigen normen und werte erkundet, die sich in den geschichten verdichtet haben. ➢ schließlich werden viertens über eine rhetorische perspektive neue geschichten entwickelt, die das management erzählen kann, um so die sinnbasis der unternehmung nachhaltig zu verändern. oszillationsprozesse (→ oszillieren) werden durch „geschichten erzählen“ insbesondere bei personen und in sozialen interaktionszusammenhängen in organisationen in gang gesetzt. diese bewegen sich zwischen aneignung und ablehnung, wobei die aneignungsoption (für die sinngehalte der geschichte) dadurch erleichtert wird, dass geschichten ein oszillieren zwischen fiktion und „wirklichkeit“ anregen und vor allem: es ermöglichen. das meint, dass es im „zweifelsfalle“ möglich ist, sich auf die fiktionsoption zurückzuziehen, ohne zugleich die geschichte in ihrer ganzheit in frage stellen zu müssen. das erhöht die aneignungswahrscheinlichkeit, weil es einen selektiv zu handhabenden schutz- bzw. ausweichmechanismus bereitstellt – und dies, ohne dafür negative sanktionen befürchten zu müssen. mit geschichten können – und: müssen – wir machen, was wir wollen. auch wenn wir irritiert sind – oder gerade dann. dadurch werden geschichten attraktive interventionsformen für konzepte lernender systeme. sie reduzieren die komplexität und kontingenz von deren konstituiertheit in einer anschlussfähigen und zugleich anregenden – irritierenden! - form, sich damit reflexiv auseinander zu setzen. dies betrifft personen und die sozialen kommunikationssysteme und es kann sich auch organisational und kulturell auswirken. geschichten wirken dabei insbesondere durch ihren deutungsoffenheit im hinblick auf vielfältige möglichkeiten der fremd- und selbstbeschreibung. sie regen damit auch die zur dynamisierung des systems zentrale fähigkeit an, sich mit den potenziellen möglichkeiten des „es könnte indem es vom schrecken der auch anders sein“ zu beschäftigen. und dies, _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 56

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ unerklärliches, wie es sich beispielsweise momentan in manchen kreisen zu den themen bildung, integration, interkulturalität, klimapolitik oder pandemie zeigt. das wird der bedeutung gesellschaftlicher bedingungen für die reproduktions- und die störungsverarbeitungsfähigkeit von systemen nicht gerecht. es macht sehr wohl einen unterschied, welchen stellenwert lernen in einer gesellschaft hat, wenn ich mich um lernen von einzelpersonen oder gruppen bemühe, und es macht auch unterschiede, welche nähe-distanzverhältnisse in unterschiedlichen gesellschaften verfestigt sind, wenn ich mit interkulturellen teams oder organisationen arbeite. dass rund 74 millionen amerikaner für den abgewählten präsidenten stimmten, ist ein sachverhalt, der nicht nur etwas über die gesellschaft sagt, sondern auch bedeutungsvoll für deren organisationen ist. der blick auf die gesellschaft und ihre jeweilig präferierten oder auch ihre zurück- oder ausgeblendeten sinndimensionen kann einsichtsgewinne für die interventionist*innen ermöglichen, die die angemessenheit von diagnose und intervention befördern. die auswirkungen wirken gelegentlich banal, aber auch erschreckend: in einem workshop mit deutschen und chinesen im rahmen eines joint venture in den 1990-er jahren wunderten sich die deutschen kollegen zwei tage lang über die nicht enden wollende geduld und das offenbar vorbehaltlose lächelnde abnicken ihrer chinesischen kollegen zu allen vorschlägen. bis die gesellschaftlich-kulturellen hintergründe aufgeklärt wurden – und die ernüchterung sich breit machte, dass damit weder zustimmung noch verbindlichkeit im „deutschen“ verständnis zu erwarten sein würden. daraus entstanden im interaktionssystem des teams sehr intensive kommunikationen, die zu einem angemesseneren verständnis der gesellschaftlichen hintergründe führten - und zur ablösung dieser anspruchsvollen situation von personalen begründungszuschreibungen. dadurch, dass die beteiligten wussten, in wessen gesellschaft sie sich mit ihrer gesellschaft befanden, war das meiste gewonnen. zurück zum inhalt grenzen systeme arbeiten sich an der grenze zu ihrer (→) umwelt ab. dort generieren und zeigen sie ihre (→) identität. „die grenze des systems ist nichts anderes als die art und konkretion seiner operationen, die das system individualisieren. sie ist die form des _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 58

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ systems, deren andere seite damit zur umwelt wird.“ (luhmann 1997a, s. 75/76) oder anders: an der grenze werdet ihr sie erkennen. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? wenn es tatsächlich um veränderung gehen soll und beispielsweise nicht um zusätzliche grenzbefestigungen, dann ist die jeweilige grenze von besonderer bedeutung, denn sie müsste ja durch das system verändert werden. es müsste sich also zunächst einmal der eigenen grenzen gewahr werden, z.b. in der kommunikation über die eigene kommunikation – luhmann spricht manchmal von einem re-entry der unterscheidung in sich selbst. was zeichnet die kommunikation in einer organisation, in einem team aus, welche themen sind besonders stark vertreten, welche nicht, welche (→) funktionen für das system bedient die (→) kommunikation, welche sprache findet verwendung, welche (→) geschichten werden erzählt usw. systemische interventionist*innen sind damit notwendigerweise grenzgänger*innen. sie forschen und intervenieren an grenzen, sie thematisieren diese, irritieren und stören ihren ihre befestigungen, setzen verlauf und im hinblick auf mögliche grenzveränderungen – und arbeiten sich dabei notwendigerweise immer auch selbst an den eigenen grenzen ab. impulse vergessen sollten sie nicht, dass der verlust von grenzen einem identitätsverlust gleichkommt, auch wenn es manchmal zunächst anders wirkt, weil das territorium räumlich (wieder-) vereinigt daherkommt. die eigentlichen grenzen werden in den kommunikationen generiert – und da kann es vorkommen, dass symbolträchtig (und oftmals umjubelt) eingerissene grenzen später umso stärker wiedererrichtet und manifestiert werden. das gilt nicht nur für gesellschaftlich-politische systeme, in denen grenzkontrollen wieder eingeführt werden. auch jahrzehnte nach (vermeintlich) erfolgreicher fusion von unternehmen erhalten sich in der internen kommunikation die (und untertönig ursprünglichen herkunftsorganisationen abwertend) als „die „…“ und die „…“ (also so in etwa wie: die „ossis“ und die „wessis“). manchmal führt das auch zur formalen trennung und der wiederrichtung von grenzen - gerne verallgemeinert und deren (verstärkter!) befestigung. nebst der das image schädigenden folgen. wer erinnert sich noch an daimlerchrysler? deshalb: an grenzen auf grenzüberschreitungen und -verletzungen achten, um existenzbedrohliche identitätskrisen zu vermeiden. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 59

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ warum es an grenzen so schön ist sätze für grenzgänger*innen (cid:36) die grenze ist derjenige ort eines systems, von dem aus man gleichzeitig reinschauen und rausschauen kann: es gibt dort einblicke und ausblicke zugleich. (cid:36) die grenze ist ein sicherer und ein unsicherer ort. sie bietet schutz einerseits, und andererseits die allererste angriffsfläche für einbrüche. (cid:36) an der grenze sind die fluchtwege am kürzesten: man kommt am schnellsten rein, aber auch am schnellsten raus – jedenfalls sofern grenzkontrollen und – befestigungen dies nicht erschweren oder verhindern. (cid:36) die grenze ist der ort der übergänge: von innen nach außen, vom alten zum neuen, von bekannten zum unbekannten. (cid:36) die grenze begrenzt und sie lädt deshalb zur grenzüberschreitung ein, manchmal auch zur entgrenzung. (cid:36) an grenzen werden entscheidungen getroffen. (cid:36) an grenzen werden veränderungen zuallererst nach außen sichtbar. (cid:36) wenn die grenze an einer stelle beschädigt wird, ist das eine verletzung des derart geschützten systems, häufig bedeutet es veränderung, manchmal den zusammenbruch. (cid:36) grenzen faszinieren durch die gleichzeitigkeit von stabilität und veränderungsmöglichkeit. (cid:36) an grenzen ist viel zu holen: von außen nach innen und von innen nach außen. (cid:36) grenzen markieren unterschiede. an der grenze sind sie am ehesten zu sehen und zu spüren. (cid:36) grenzen reizen in ihren ambivalenzen zur annäherung, zum abtasten, manchmal auch zur grenzverletzung. (cid:36) grenzen machen neugierig. (cid:36) die grenze ist der ort der auseinandersetzung. (cid:36) an grenzen kann vieles gelernt und vieles verändert werden. (cid:36) das grenzgebiet ist gefährlich. man kann dort gefangen genommen werden und verletzungen erleiden. gelegentlich gibt es auch grenzopfer. (cid:36) grenzen machen oft angst. sie sind deshalb meist gut gesichert. (cid:36) grenzen kann man verletzen und man kann dort auch verletzt werden. (cid:36) grenzen müssen gewahrt und geschützt werden, um identität zu erhalten. (cid:36) wenn das innen schon nicht zugänglich wird, kann man sich ja zumindest mal an der grenze umschauen. (cid:36) an der grenze ist das system zu spüren. hier stößt es immer wieder an – im (→) innen und außen, zwischen selbstreferenz und oszillieren zwischen fremdreferenz. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 60

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ 1. systemische interventionist*innen behalten möglichst ganzheitlich die relevante umwelten im blick. dazu gehören neben gesellschaftlichen und organisationalen zugehörigkeiten und abgrenzungen auch gruppen. insbesondere dann, wenn mit und in gruppen gearbeitet wird, aber eben auch dann, wenn mit einzelpersonen gearbeitet wird, die sich unterschiedlichen gruppen zugehörig fühlen. das kann systemisch gesehen bedeutungsvoll sein, weil über gruppenzugehörigkeit auch personale identität generiert wird. es ist ein unterschied, der einen unterschied macht, ob jemand einer freizeitsportgruppe, einer örtlichen aktivistengruppe gegen genmanipulation oder einer selbsthilfegruppe angehört – vorausgesetzt natürlich, es handelt sich hierbei überhaupt um „gruppen“ im hier gemeinten sinne. 2. bei der arbeit in gruppen ist es zentral, die jeweilig besonderen dynamiken der spezifischen gruppe wahrzunehmen und angemessen im hinblick auf die setzung solcher interventionen zu deuten, die die arbeitsfähigkeit der gruppe fördern. systemische gruppenleiter*innen fragen sich zum beispiel: was – wie viele und welche strukturen, irritationen, prozesserfahrungen - brauchen einzelne/braucht „die gruppe“, um klärungsprozesse zu rollen, machtverhältnissen, vereinbarungen oder entscheidungsverfahren nachhaltig zu gestalten? was zeichnet die kommunikationen aus? was macht sie besonders? was wird ausgeblendet? sie beobachten dazu sehr genau, halten sich mit schnellen hypothesenbildungen zurück und arbeiten geduldig und mit großem vertrauen in die kräfte der gruppenselbstorganisation. sie verstehen sich auch als leiter*in als teil der gruppe. 3. systemische interventionist*innen achten darauf, nicht die kategorie gruppe mit dem system gruppe zu verwechseln (vgl. schattenhofer 2009, s. 18/19). oftmals ist „gruppe“ eine sprachliche kategorie, um soziale gemeinsamkeiten zu bezeichnen, z.b. die gruppe der softwareentwickler in einem unternehmen oder diejenige der atomstromgegner oder der friday-for-future-demonstrant*innen. solchen gruppenkategorien fehlt oft das merkmal der inneren bezogenheit der mitglieder, der geteilten bindung und der rückbezüglichkeit der kommunikationen. dies gilt gelegentlich auch für gruppen in seminarsettings, die nur im kopf der mitglieder existieren – und dies nur zwei oder drei tage. solche gruppen eignen sich weder als forschungsgruppen noch für gruppendynamisch konzipierte interventionen, die auf langfristige wirkungen hin angelegt sind. die gruppe wird diese gar nicht mehr ernten und nutzen können, weil es sie längst nicht mehr gibt. es sah nur in den köpfen der _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 62

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ mitglieder und womöglich der gruppenleitung mal kurz so aus, als gebe es hier eine gruppe. kurz darauf war sie aber wieder weg – für immer. schade eigentlich. besonders um die menschen, die dieser illusion zum opfer gefallen sind. zurück zum inhalt haltung (der interventionist*innen) das ist die zentrale bezugsgröße für systemisches denken und handeln. es geht bei dem, was auf basis des systemischen abcs geschieht, vor allem um diejenigen, die es in ihrer haltung in gestaltende interventionen übersetzen. das ist systemisch auch theoretisch interessant und bedeutungsvoll, weil wissen ebenfalls nur ein beobachterabhängiges konstrukt und keinesfalls eine objektive größe ist. wir, die wir in der praxis mit diesem wissen (→ nicht-wissen) arbeiten, machen es dadurch erst je spezifischen interpretation von) „wissen“, günstigstenfalls zu einem zu (einer lebendigen „wissen in aktion“ (argyris 1997). wir nennen wissen zu unseren zwecken gerne auch „erkenntnisse“. wenn ich „erkenne“, beobachte ich „ein adäquates verhalten in einem bestimmten bereich“ – so humberto maturana (maturana/pörksen 2002, s. 68). erkennen ist damit nicht die repräsentation einer „an sich“ existierenden wirklichkeit, sondern die zuschreibung einer bedeutung an wissen. wir schreiben einem bestimmten system wissen zu und bewerten dessen handlungen als indiz kognitiver operationen, weil wir sie für angemessen und passend halten - als berater*in schätzen wir diese zuschreibungen durchaus. wir werden für wissend, erkennend, für professionell gehalten. das tut gut (und frau/man tut das, was einem gut tut gerne). gut tut aber auch die aphoristische „erkenntnis“ maturanas aus der beobachterabhängigkeit allen wissens: „leben ist erkennen. und erkennen ist leben.“ (maturana/pörksen 2002, s. 68) systemisch zu denken, zu beraten und zu leiten, hieße also nicht notwendigerweise, viel systemtheoretisches wissen präsent zu halten, sondern eher wohl, es immer wieder neu erkunden und erfinden wollend: zu leben. und es dadurch immer wieder: neu zu erkennen. wenn ohne beobachter*in nichts geht, dann ist er – und sie natürlich auch – für das, was geht, von entscheidender bedeutung. wie jemand beobachten kann, das hängt ab von den basisunterscheidungen der beobachtung. das heißt, dass das ergebnis einer (→) _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 63

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ beobachtung mit der unterscheidung zahlung/nichtzahlung ein anderes ist als das mit der unterscheidung wissen/nichtwissen (davon wissen viele leiter*innen, die unter dem ökonomischen druck von organisationen arbeiten, ein – oft nicht freudvolles - lied je anderes aus- bzw. zumindest zurückgeblendet. was anzustimmen). es wird beobachter*innen mit dem ergebnis der beobachtung machen können, hängt zudem von ihrer je emotionalen situation ab. das ist eine zentrale erkenntnis der neueren hirnforschung (→ gefühle). sowohl die basisunterscheidung der beobachtung wie auch die für die bearbeitung wichtige emotional anliegende situation zeigen an, dass eine nutzung des systemischen als bloßes „tool“ nur sehr eingeschränkt wirkungsvoll sein kann. erst wenn es in den vorrat von leitunterscheidungen der interventionist*innen und in deren emotionshaushalt eingearbeitet ist, wird es wirken können. kurzum: „systemisch“ denken, beraten und leiten wird dann wirken und „brauchbar“ („viabel“) werden, wenn haltung und grundeinstellung systemisch angelegt sind. dadurch können person, professionelle rolle und gestaltende aktivitäten als interventionist*in systemisch integriert werden. bloße werkzeugorientierte verzweckungen sind ebenso wie pädagogische machbarkeitsutopien ausgeschlossen. eine zentrale schlüsselgröße der wirkung ist der interventionist/die interventionistin in seiner/ihrer haltung – er oder sie ist teil des systemischen raumes. und wie dieser eingerichtet werden kann – hell, dunkel, modern, traditionell, verspielt, spartanisch oder überladen - hängt ab von denjenigen, die den impuls für die einrichtung des raumes setzen. am beispiel: wenn ich innerlich eher defizitorientiert daherkomme, wird eine ressourcenvolle ausgestaltung des dialogischen raumes über einige scheinaktivitäten kaum hinauskommen – auch wenn ich über entsprechendes wissen und methodenkompetenz verfüge. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? wer systemisch arbeiten will, arbeitet vor allem an sich selbst. sie oder er kommt immer wieder den eigenen mustern, justierungen, glaubenssätzen, grundannahmen und „baustellen“ auf die spur. damit sie und er weiß, was da – auch noch – wirkt. allem wissen zum trotz. eine solche haltung ist getragen von (→) bescheidenheit, (→) demut, (→) gelassenheit, neugierde, der nutzung des (eigenen) (→) nicht-wissens als ressource, von (→) neutralität gegenüber unterschiedlichen einflüssen und personen, von wertschätzung und _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 64

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ respekt mit distanz und lösungsorientierung. der (→) zweifel hält sie lebendig. und ein bisschen (→) verrücktheit vertrauensvollen ressourcen- einer und von schadet auch nicht. durch unsere haltung wird – in je unterschiedlicher ausprägung und sichtbarkeit – unser (systemisches) wissen lebendig. wir machen es zu „wissen in aktion“ (argyris 1997). das ist die → kunst. zurück zum inhalt hypothesen bilden! das kann als aufforderung für systemische interventionist*innen gelesen werden, hypothesen zu bilden, aber auch in der bedeutung, dass hypothesen bildungswert haben. hypothesen als annahmen, denen mögliche gültigkeit unterstellt wird, sind für beraterisches arbeiten dann hilfreich, wenn sie komplexität und diffusität reduzieren und dadurch neue blickwinkel eröffnen. hypothesen, auf die sich berater*innen einschießen und festlegen (lassen), sind meist hinderlich, weil sie schließend wirken (→ diagnose). „keine wenn gilt intervention ohne hypothese“, dann sind hypothesen und erklärungsversuche, zusammenhänge ressourcen- herstellen, (→) die die lösungsorientiert personale, soziale und/oder organisationale dynamiken beschreiben und verknüpfen, die das thema hinter dem thema oder den versteckten sinn zu (er-) fassen versuchen - und die auch schräg oder unkonventionell daherkommen. für berater*innen haben „schräge“ hypothesen oft den besonderen wert der gezielten selbstirritation bezogen auf die eigenen (lieblings-) wirklichkeitskonstruktionsgewohnheiten, die sich auch in beraterhypothesen abbilden. hypothesen sind wirklichkeitserfindungen auf probe. sie werden in anschlag gebracht, um überprüft werden zu können. damit hat die kommunikation – das ist die formale funktion der hypothese – einen ausgangspunkt. dabei ist häufig die qualität der hypothese nicht von besonders weitreichender bedeutung, sie muss nur so beschaffen sein, dass anschlusskommunikationen wahrscheinlich werden, die dann (neuen) „sinn machen“. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 65

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? wenn es um das erfinden von möglichkeiten für „bekömmlichere wirklichkeiten“ (simon/weber 2006, s. 47ff) geht, dann dürfen hypothesen auch gelegentlich die grenzen der bekömmlichkeit überschreiten. es sind ja – vorläufig – nur hypothesen. gelegentlich lässt sich auch aus der klient*innenresonanz auf grenzwertige oder – überschreitende hypothesen neues, bekömmlicheres entwickeln. hilfreich ist es, hypothesen auf vielfalt hin anzulegen, bzw. vielfältige hypothesen zu entwickeln. damit das kriterium der komplexitätsreduzierung erhalten bleibt, bietet es sich an, die hypothesen nach den jeweils beteiligten systemen und/oder systemelementen zu strukturieren, also z.b. hypothesen zu den beteiligten personen und ihren dynamiken, den teamdynamiken und der organisationsdynamik zu gliedern – oder die logik der (→) pentagrammatik zu nutzen, damit aus der vielfalt der potentiell erklärenden zugänge eine neue vielfalt von deutungsperspektiven und handlungsmöglichkeiten entwickelt werden kann. das einblenden von mehreren unterschiedlichen hypothesen kann in seiner (irritations-) wirkung hilfreich sein – z.b. bezogen auf allzu fixe (selbst-) diagnosen. damit wird oft deutlich, wie unterschiedlich das geschehen gedeutet werden kann: handelt es sich um einen konkurrenzkonflikt oder um eine nicht erwiderte heimliche liebe? dies führt häufig zur öffnung, die dann hilfreich sein kann, wenn sich der protagonist bzw. die berater*innen bereits innerlich auf eine diagnose „eingeschossen“ haben. (→ durch hypothesenbildung können sehr unterschiedliche oszillationsprozesse oszillieren) angeregt werden. sie sind meist auf einzelpersonen bzw. auf gruppen – z.b. in gruppendynamischen lernsettings - zentriert und regen zur auseinandersetzung zwischen aneignung und ablehnung möglicher wirklichkeiten und ihrer deutungen an. zurück zum inhalt humor lernen ohne humor ist witzlos. lachen entlastet und ermöglicht dadurch emotionale distanzierung. dabei kann es selbst als (→) irritation wirken, wenn es eine festgefahrene ernsthaftigkeit durchbricht und aus der tragik mit geringem aufwand komik macht. wer über sich und sein lernen lachen kann, der oder diejenige leidet weniger und genießt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 66

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ mehr (vgl. simon/rech-simon 2000, s. 284 und kersting 1991, s. 124ff). denn lachen ist einerseits eine form der distanzierung, andererseits entspannt es. zudem hat es – als „herzhaftes lachen“ – eine körperliche resonanzebene. wenn wir uns vor lachen schütteln, dann wenden wir uns von der angespanntheit zur entspanntheit. das ist regressiv, aber: „die erfahrung der regression kann lernen ermöglichen.“ (kersting 1991, s.125) was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? einerseits erscheint die intrapersonale, andererseits die interpersonale, die kommunikative komponente für systemisches denken und handeln charmant. die intrapersonale erklärt heinz kersting (1991) mit der struktur eines witzes, der aus zwei teilen besteht: dem festlegen des kontextes und der pointe. diese gewinnt ihren überraschungseffekt dadurch, dass der kontext plötzlich umgekehrt wird. so wie im witz, den ich (mehrfach) von dirk baecker abgeschrieben habe. es ist ein beobachterwitz: „ein blinder kommt in ein kaufhaus und wirbelt seinen blindenhund über seinem kopf herum. ob dieses tierquälerischen tuns wird er zur rede gestellt. worauf er antwortet: „man wird sich doch wohl noch mal umsehen können.““ durch diese pointe wird unwirkliches und scheinbar wirkliches nebeneinandergestellt. die regeln der wirklichkeiten über die angemessene und funktionsgemäße verwendung von blindenhunden werden durch die pointe irritiert. zuvor unvereinbares erhält in einem anderen kontext einen neuen treffenden sinn. wenn das gelingt, zeigt unser lachen an, dass der witz gezündet hat. es entspringt der irritation unserer sicher geglaubten wirklichkeitskonstruktionen (hier über blindenhunde und ihre funktion). diese wird an der pointe gebrochen und zerbröselt im lachanfall (manchmal auch im wein- oder wutanfall, wenn geschmacksnerven irritiert wurden). in dieser intrapersonalen wirkung zeigt die funktionslogik des witzes vieles über die funktionslogik der irritation. warum sollten systemische interventionisten dann gerade den witz verpönen? die zweite - interpersonale - von kersting (1991, s. 125f) angesprochene komponente besteht darin, dass humor in der regel mit anderen menschen geteilt wird. darum versuche ich mir auch (leider meist erfolglos) witze zu merken. um sie weiter zu erzählen und um gemeinsam lachen zu können. denn lachen bringt menschen in kontakt. und es ist schön, freude zu teilen, andere seiten in der regression sehen zu lassen und zu sehen. und schließlich sind ja auch die konstruktionen, die aus dem humor entstehen – _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 67

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ mit einer bestimmen systemlogik – sinn-voll. die „wahrheit“ im humor ist zudem oft leichter zu nehmen wie diejenige, die mit hohen und ernsten ansprüchen an sich selbst daherkommt. nicht nur karnevalist*innen nicken hier zustimmend. derart irritiert, kann es nur lachend enden – mit heinz kersting (1991, s. 126): „am ende allen konstruierens steht: schallendes gelächter beim zusammenbrechen der konstruktionen. alexis sorbas tanzt den sirtaki.“ zurück zum inhalt identität alice im wunderland „wer bist denn du?“ sagte die raupe. „ich weiß es selbst kaum“, sagte alice, „ich muss seit dem aufstehen heute früh wohl mehrere male vertauscht worden sein.“ „wie meinst du das?“ fragte die raupe streng. „erkläre dich!“ „ich fürchte, ich kann mich nicht erklären“, sagte alice, „denn ich bin gar nicht ich, sehen sie.“ „ich sehe es nicht.“ sagte die raupe. identität entsteht an der grenze (→ grenzen). das ist die grenze zwischen (→) system und (→) umwelt, an der sich das system „bildet“. es bildet sich, es „wird“ und individualisiert sich im differenzverhältnis von identität und differenz. dieses werden beinhaltet schon eine beobachterperspektive. wenn etwas als „identität“ beobachtet wird, dann ist das die eine seite einer form, die sich auf der anderen seite unterscheidet. (→) unterscheidungen – und deren generalisierung. es gewinnt form, besonderheit, unverwechselbarkeit, indem es sich identität gewinnt ein system aus seinen unterscheidet und diese unterscheidungen sachlich, sozial und zeitlich sinnhaft konserviert. ich bin auch morgen noch ich, jedenfalls so weit, dass ich wiedererkannt werde. von mir selbst morgens im spiegel und von anderen (günstigstenfalls) auch. das habe ich meiner biografie zu verdanken, in der ich geworden bin, wie ich bin. das steht fest – fast jedenfalls. wer weiß, wie ich geworden bin, weiß, wer ich bin. und er/sie weiß, _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 68

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ was von mir zu erwarten ist. ziemlich sicher jedenfalls. identitäten haben in diesem sinne die funktion, erwartungen zu organisieren. deshalb ist auch die konstruktion von „corporate identities“ so beliebt in organisationen. damit wenigstens irgendetwas erwartbar bleibt. und dies als einheit beobachtet werden kann. im gegensatz zur „einheit“, die für ein system von außen beobachtet wird, verweist „identität“ darauf, dass der beobachter das system selbst ist. die identität eines systems entsteht nur in der reflexion des systems auf die eigene einheit (vgl. baraldi u.a.1998, s. 72ff). sie kann konserviert werden, damit sie nicht täglich neu er- und gefunden werden muss. unschärfen bleiben bezüglich der erwartbarkeit: womöglich ist mir zuzutrauen, dass ich auch ein romanschreiber, ein kirchenmusiker oder ein hobbyrennfahrer bin. dass ich opernarien von mir gebe, ist nicht erwartbar. das habe ich biografisch anders organisiert und vermittele es auch nicht. identität als reflexive selbstvergewisserung von personen, sozialen und organisationalen systemen unterliegt dabei einer crux. diese besteht darin, dass die identitätskonstruktionen immer nur retrospektiv erzeugt werden können, sich jedoch prospektiv bewähren müssen. so ist die blütezeit mit ihrer fertigstellung oft schon vorbei. dann, wenn ich in bestimmten hinsichten endlich weiß, wer ich bin, bin ich das häufig schon nicht mehr. genaugenommen weiß ich die meiste zeit nur, wer ich war.“ (schimank 1988, s. 63). was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? systemische interventionist*innen tun gut daran, zu wissen, mit wem sie es zu tun haben. und was dahintersteckt, dass ihre klienten sind, wie sie sind. und auch die klient*innen tun gut daran, davon eine gewisse ahnung zu haben. denn wenn schon etwas „brauchbar“ sein soll nach einem lern- und entwicklungsprozess, dann muss die passung zur identität des jeweiligen systems – vor allem: für dieses „selbst“ – stimmen. wenn (→) lernen insbesondere arbeit an der eigenen identität ist, dann braucht es darüber möglichst viel klarheit. insofern ist es zentral, bei den intervenierten systemen reflexionsprozesse zu fördern, die klarheit über das eigene sein und werden zugänglich machen – und die manchmal dann auch andere, veränderte (neue) selbstbeschreibungen zulassen. das kann bei personen durch formen der biografiearbeit unterstützt werden, bei teams und in organisationen durch prozess- und kulturanalysen. bei personen bieten sich zudem persönlichkeitsdiagnostische instrumente an, z.b. das modell dann riemann/thomann (vgl. thomann/schulz von thun 1988/2003) oder auch _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 69

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ persönlichkeitstests. dabei geht es nicht darum, zu klären, wie jemand „ist“, sondern darum, anhand der selbst- und fremdeinschätzungen bzw. der testergebnisse die eigene identität, sprich die stärken, ressourcen und (riskante) lücken reflexiv zu klären und zu schärfen. diese reflexiven akte der selbstvergewisserung dienen dabei nicht einer therapeutischen (selbst-) verliebtheit der interventionist*innen oder klient*innen, sondern der verbesserung der passung von entwicklungs-, veränderungs-, lernvorhaben oder aktuellen herausforderungen im privaten und beruflichen kontext zur jeweils spezifischen konfiguration der identität. die heute gerne etwas überstrapazierte nachhaltigkeit ist nur zu erwarten, wenn lern- und veränderungsvorhaben etwas mit der jeweiligen identität zu tun haben oder zu tun bekommen. dann bekommt die identität was zu tun. zurück zum inhalt improvisation improvisation meint nicht das weglassen von (→) planung. auch systemische lern- und veränderungsprozesse werden gut geplant – als landkarten für den weg, der folgt. auf diesem weg ist gelegentlich improvisation erforderlich – und oft auch hilfreich. denn improvisation arbeitet mit dem aktuell anliegenden geschehen im hinblick auf ein bestimmtes ziel. dazu greift sie das auf, was ist und verarbeitet dies in einer mischung aus spontanität und kreativität. damit kann improvisierendes intervenieren viel improvisieren …“). das übersieht die chance, unmittelbarer auf das systemische geschehen bezug nehmen wie geplantes handeln es kann. improvisation wird gelegentlich im sinne von „planlosigkeit“ abgewertet („da musste sie improvisierend unmittelbare anschlussfähigkeit an das, was geschieht, herzustellen. „was immer passiert, es ist das richtige.“ dieser satz aus der open-space-methodik kann als leitsatz für improvisateure gelten, die als solche aktiv werden, wenn das, was passiert in einem trainings-, beratungs- oder lernprozess, nicht zu dem passt, was geplant war oder theoretisch „richtig“ und passend erscheint. manchmal folgt dieses geschehen einer veränderung von organisationalen oder anderen rahmenbedingungen, einer veränderung von emotionalität, von beziehungsqualität oder auch von inhaltlichkeit. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 70

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ es passiert etwas, was nicht passt. und das ist - womöglich eben deshalb - genau das interventionisten nur oft mit dem „makel“ des richtige. es unvorhersehbaren behaftet, das es ihm zumutet, den geplanten bzw. den ist aus sicht des eingeschlagenen weg zu verlassen. improvisation bedeutet angesichts solcher unvorhergesehenen situationen, spontan und kreativ zu agieren und zugleich mit der unvorhersehbarkeit ressourcenhaft umzugehen und sie nicht als bedrohung oder unerwünschte störung zu sehen. oft ist eben das unvorhersehbare eine systemisch wichtige information und ressource, weil es z.b. widerstände oder bisher unbekanntes zeigt oder energien weckt, die zuvor versteckt waren. improvisation dient dazu, die ressourcen der unvorhergesehenen situation zu heben und zu nutzen. was improvisation zudem charmant für einen systemischen zugang erscheinen lässt, ist diese grundlegende regel von improvisationsschauspielern: „lass deinen mitspieler gut aussehen.“ dies meint auch die mitspielerin, versteht sich. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? wer systemisch arbeiten will, arbeitet vor allem an sich selbst. und das heißt: auch an den eigenen unsicherheiten, die z.b. dann auftauchen, wenn unvorhersehbares geschieht. sich darauf gut einzustellen ist eine dauerbaustelle systemischer interventionist*innen, die mit wachsender erfahrung und kompetenz immer wichtiger wird, um die falltüren der routinehaften und schließend wirkenden standardisierungen zu sichern. das bedeutet, sich so ein- und innerlich aufzustellen, dass unvorhersehbares vorhersehbar bleibt. und damit auch mit der (→) gelassenheit in die situation zu gehen, die es braucht, um souverän improvisieren zu können. die kompetenz, improvisieren zu können, profitiert dabei auch von übender vorbereitung: improvisationsschauspieler spielen sich mit improspielen vor auftritten warm. sie erwärmen sich selbst für das unvorhersehbare, indem sie sich gegenseitig mit dem unvorhersehbarem konfrontieren. derart erwärmt, sind sie gut drauf und dann auch schnell gut drin in einer herausfordernden gemengelage von impulsen, die dann aber eher antörnend als erschreckend wirken. systemische interventionist*innen erwärmen sich insofern zuallererst gut für unvorhersehbares. und üben zumindest innerlich reaktionen auf das, was sonst auch noch geschehen könnte. in der situation sind sie innerlich dann gut aufgestellt, wenn sie den regeln der improvisationsschauspieler folgen. zunächst heißt das „ja“ sagen zur unvorhergesehenen _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 71

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ situation und sie als neues nutzbares angebot annehmen. es heißt weiterhin, sich aufmerksam einzulassen, auf alles (selektiv) einzugehen, die impulse aufzunehmen und weiter zu tragen, ohne sich von professionellen glaubenssätzen blockieren zu lassen oder sich zu „verkopfen“. innere stimmen wie „ich weiß nicht“ oder „ich muss erst nachdenken“ sind eher hinderlich, einlassungen wie „toll, interessant, das ist ja mal ganz was neues, spannend“ eher förderlich und spontaneität unterstützend. improvisationsschauspieler spielen meist auf direktem wege, linear, nicht kompliziert oder um viele ecken herum. diese klarheit der reaktionen auf das unvorhersehbare ist nicht nur für den improvisateur wichtig, sondern auch für die dabeiseienden, denn diese sind oft ebenfalls verwirrt durch die neuigkeit des nicht-vorhergesehenen. konzentration auf das, was wesentlich erscheint, das weglassen von nebensächlichem und eine klare einfache struktur sind hier die beziehung, dann das hilfreich. improvisationsschauspieler*innen bauen beispielsweise erst den ort auf, dann „problem“ und dann die problemlösung. um gut weiterimprovisieren zu können, ist es auch für systemische interventionist*innen hilfreich, sich von eigenen lösungsideen und –vorstellungen zu lösen, keine eigenen ideen zu verfolgen, sondern im hier-und-jetzt zu bleiben und sich von im klientensystem oder bei sich selbst auftauchenden assoziationen leiten zu lassen (vgl. berg/flume/ritscher/orthey/tilemann/wehner 2002). damit die ressourcen des nicht- vorhersehbaren auch wirken können! das gelingt im (→) vertrauen, dass es schon das richtige ist, was da passiert. zurück zum inhalt intervention „intervention“ wird mit königswieser/exner/pelikan (1995, s. 53) als eine „zielgerichtete kommunikation“ verstanden. das heißt, dass in der konzeption und realisierung der intervention eine bestimmte wirkung in das kalkül der intervention miteinbezogen wird, es heißt aber zugleich, die (→) autonomie des intervenierten systems zu respektieren. (→) steuerung als absichtsvolle und richtungs- und wirkungsbezogen intendierte intervention wird hier als nicht-triviale intervention (→ nicht-trivialität) verstanden. das ist die absage an ein „triviales“, eindimensionales ursache-wirkung-denken. nicht mehr: wenn-dann! sondern: wenn-dann? „für interventionen heißt das, diese können immer _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 72

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ nur hypothetisch ins relative system-dunkel erfolgen und müssen aufgrund ihrer - auch nur begrenzt erfassbaren - folgen für das system schritt für schritt überprüft und modifiziert werden. das heißt natürlich auch: einfach-universelle erfolgsrezepte für veränderungen sind für komplexe systeme nicht möglich, sondern nur iterative, interventionen.“ maßgeschneiderte theoriegeleitete - und dennoch riskante - (königswieser/exner/pelikan 1995, s. 55) wenn die zielgerichtete kommunikation einer intervention die ausstattung des systems (→) irritation anstrebt, bedeutet dies erstens verarbeitender (→) mit zu komplexitätsreduzierung. es wird ein bestimmter vergangener zustand durch ein interventionsereignis und seine systeminternen folgen durch einen neuen, veränderten ersetzt. das bedeutet eine neue (wiewohl veränderte) gegenwärtige klarheit - komplexität reduziert. erscheint auch komplexitätserzeugung, weil der neue zustand im verhältnis zum „alten“ verarbeitet im komplexen gefüge der vergangenen werden muss. seine beziehungen intervention gleichzeitig zweitens diese ist systemereignisse und zukünftiger möglicher systementwicklungen müssen geklärt werden. das bedeutet, dass intervention (z.b. durch beratung) als angenommene und beabsichtigte selektion bzw. reduzierung von komplexität immer auch gleichzeitig die ausweitung von komplexität bedeutet. es werden möglichkeiten eröffnet, die es vorher nicht gab, mit der option, dass welche dabei sind, um die erzeugte komplexität auch wieder zu reduzieren. dies rückt die form der intervention (z.b. „beratung“ oder „lernen“) in den blick: je besser das intervenierte system mit der form der intervention komplexitätsreduzierend weiterarbeiten kann, desto produktiver ist die irritation zur weiterentwicklung des systems. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? die ableitbare imperativische formel dieser paradoxie lautet: steuere deine interventionen stets so, dass du die anzahl der möglichkeiten erweiterst, damit sie sich reduzieren können. vor diesen hintergründen können mit „systemischen interventionen“ solche zielgerichteten kommunikationen benannt werden, die sich der prekären ausgangsbedingungen des versuchs der wirkungsvollen einflussnahme bewusst sind (königswieser/exner 1999, s. 17). sie bleiben kaum auf ihren erfolg hin kalkulierbar, sind dennoch gut durchdachte und konzipierte experimente mit steuerungsabsicht aber ohne steuerungssicherheit – und _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 73

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ punkt: „irritation ist (...) ein systemzustand, der zur fortsetzung der autopoietischen operationen des systems anregt, dabei aber, als bloße irritation, zunächst offen lässt, ob dazu strukturen geändert werden müssen oder nicht; ob also über weitere irritationen lernprozesse eingeleitet werden oder ob das system sich darauf verlässt, dass die irritation von selbst verschwinden werde, weil sie nur ein einmaliges ereignis war.“ (luhmann 1997a, s. 790) damit ist angezeigt, dass die versorgung mit irritation nicht notwendigerweise zu lernprozessen führt. dies ist (immerhin) nur eine option. insofern ist zu überlegen, wie die option „lernen“ für durch irritationen in unruhe gesetzte psychische und soziale systeme wahrscheinlicher gemacht werden kann. dabei ist zu bedenken, dass systeme angesichts der zumutung der irritation ihre impliziten – und meist bewährten – schutz- und abwehrmechanismen aktualisieren. so „reagieren“ psychische systeme gelegentlich mit lern-widerständen und soziale systeme dichten sich in ihrer organisationsdimension gegen störungen aus ihrer umwelt normativ ab. diese mechanismen sind gleichwohl „überlebensmechanismen“ – sie ermöglichen es diesen systemen, sich selbst in ihren strukturen und programmen „ungestört“ erfolgreich zu reproduzieren. „wer vor diesem hintergrund die lernfähigkeit der organisation fordert, muss in der lage sein, eine routine für die aufhebung von routinen anzugeben und einzurichten. karl weick und frances westley sprechen vom einspielen „kleiner gewinne“, um ausgehend von überschaubaren störungen oder bereits gezähmten irritationen die organisation zu befähigen, die eigenen bereits erbrachten lernleistungen zu überprüfen, partiell zu verlernen und an ihrer stelle neues zu lernen.“ (baecker 2003, s. 182) irritation im hirn? im seinerzeit gerne zum bildungsklassiker erhobenen buch von dietrich schwanitz findet sich folgender satz: so „nimmt das hirn die außenreize nur als irritationen wahr, die erst durch die interne weiterverarbeitung ein identifizierbares profil gewinnen. nur 2 % der hirnkapazität wird auf die direkte außenwahrnehmung verwandt, 98% dienen der internen verarbeitung“. (schwanitz 1999, s. 468) ist auf den selbstreferentiellen charakter derjenigen konstruktionsprozesse damit hingewiesen, die zwar durch die verarbeitung von irritationsreizen der von uns als relevant (selektiv) wahrgenommenen umwelt angestoßen werden, die aber im selbstbezug stattfinden. „das gehirn kann zwar über seine sinnesorgane durch die umwelt erregt werden, diese erregungen enthalten jedoch keine bedeutungshaften und verlässlichen informationen über die umwelt. vielmehr muss das gehirn über den letztlich _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 75

z.b. sind, bedeutungsvoll ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ vergleich und die kombination von sensorischen elementarereignissen bedeutungen erzeugen und diese bedeutungen anhand interner kriterien überprüfen. dies sind die bausteine der wirklichkeit. die wirklichkeit, in der ich lebe, ist damit ein konstrukt des gehirns.“ (roth 1998, s. 19) die konstruktivität des limbischen systems wird über irritationen angeregt. diese gehen über bewusste wahrnehmungen hinaus, denn es wird angenommen, dass auch die unbewussten bewusstseinszustände „vorbewusste wahrnehmungen, unterschwellige perzeptionen, emotionale prozesse des limbischen systems, „vergessene“ gedächtnisinhalte, verinnerlichte körperliche erfahrungen, ein gespür für wesentliches ...“ (siebert 2003, s. 134/135 mit bezug auf roth 2003, s. 218/219). bezüglich der bedeutung der emotionalen und affektiven faktoren kommt gerhard roth zum abschluss seiner groß angelegten untersuchung über „fühlen, denken und handeln“ (roth 2003) zu dem ergebnis, dass vernunft und verstand in die affektive und emotionale natur des menschen eingebettet sind. „die weitgehend unbewusst arbeitenden zentren des limbischen systems bilden sich nicht nur viel früher aus als die bewusst arbeitenden corticalen zentren, sondern sie geben auch den rahmen vor, innerhalb dessen diese arbeiten. das limbische system bewertet alles, was wir tun, nach gut oder lustvoll und damit erstrebenswert bzw. nach schlecht, schmerzhaft oder nachteilig und damit zu vermeiden und speichert die ergebnisse dieser bewertung im emotionalen erfahrungsgedächtnis ab. bewusstsein und einsicht können nur mit „zustimmung“ des limbischen systems in handeln umgesetzt werden.“ (ebd., s. 451/452) dies bedeutet in einem weiteren schritt die einsicht in die begrenztheit der „steuerungsmöglichkeiten“ des bewussten „ichs“ und die folgerung, dass das bewusste ich nicht in der lage ist, „seine emotionalen verhaltensstrukturen zu ändern; dies kann nur über emotional „bewegende“ interaktionen geschehen“ (ebd., s. 451/452). das heißt, dass irritationen nicht notwendigerweise auf das bewusstseinssystem wirken müssen, sondern es macht die annahme wahrscheinlich, dass emotional und affektiv wirksame irritationen bezüglich der neuronalen prozesse, die sie im hinblick auf die veränderung von sinnbeständen auslösen können, besonders nachhaltig sind, weil sie „bewegend“ wirken – oder: weil sie oszillationsprozesse im unbewussten erfahrungsgedächtnis anregen. denn diese sind die voraussetzung (roth 2003, s. 11) dafür, dass bewusste mechanismen „freigeschaltet“ werden können. zuvor haben aber - derart angeregt und irritiert - limbische strukturen bereits entschieden, was zu tun oder zu lassen ist. irritationen müssen insofern die emotionalen und affektiven oszillatoren bewegen, damit überhaupt die wahrscheinlichkeit besteht, dass lernprozesse in gang kommen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 76

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? irritationen sind - in der sprache der von der konstruktivistischen systemischen erwachsenenbildungstheorie interventionstheorie übernommenen neurobiologischen begrifflichkeit - „perturbationen“ eines spezifischen systemzustandes. sie sind damit nicht bloße äußere einwirkungen, die (arnold/siebert 1995) und der der umwelt zuzurechnen sind, sondern sie entstehen aus der systemspezifischen wahrnehmung zwischen selbst- und fremdreferenz. irritationen sind damit „subjektiv“ wahrgenommene – bzw. wenn ihre rezeption unterhalb der bewussten wahrnehmungsschwelle angesiedelt ist: wirksame - (→) störungen. ihre wahrnehmung bzw. wirksamkeit ist also neben dem konzeptionierten reiz abhängig von der inneren bewussten und unbewussten konstituiertheit des intervenierten systems. das macht die frage der „dosierung“ – im sinne von anschlussfähigkeit und wahrscheinlichkeit der intendierten wirkung als „störung“ – so für entsprechende konzeptionelle überlegungen. damit das derart intervenierte system nicht interessant und auch so relevant vorbei und von dannen schlendert, ohne den ambitioniert vorgetragenen störungsreiz überhaupt zu bemerken. im umkehrschluss heißt dies, dass die wirkung der irritation immer dann im beabsichtigten sinne wahrscheinlicher gemacht wird, wenn das zu intervenierende system im prozess der konzeption beteiligt ist und somit auf seine selbstdiagnose zurückgegriffen werden kann. es heißt weiter, dass die dosisfrage am besten vom intervenierten system zu beantworten ist - mit dem potenziellen blinden fleck, dass sich in dieser entscheidung abwehrroutinen gegen irritationen aktualisieren. oder anders: die wirkung gezielter selbstirritation ist durch nichts zu ersetzen. „gut“ dosierte irritation erzeugt (→) differenz. das macht eine (gegen-) bewegung des derart intervenierten systems notwendig. es beginnt sich – manchmal im widerstand – zu bewegen. das heißt: es gerät in die auseinandersetzung zwischen aneignung und ablehnung. dazu muss es sich „neu sortieren“, sinnbestände rekonstruieren und auf anschlussmöglichkeiten abklopfen – es „erfindet sich“ gleichwie neu in seiner sinnhaftigkeit und (→) identität. die konfrontation mit der verdeckten und versteckten, der verschwiegenen, vom blinden fleck verstellten position, die eine irritation zugänglich machen kann, führt zur weiterentwicklung, verhindert den stillstand. alternativentwürfe sind wichtige bedingungen, um weiter zu lernen. insofern ist die irritation, die be- unruhigung, die versorgung mit differenz notwendige voraussetzung, um weiterlernen zu können. will ein system also vermeiden, dass die einredung von sich selbst eine _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 77

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ alternative „einbildung“ braucht, muss es für seine irritation sorgen. es muss seine selbstinfragestellung es durcheinanderbringen, damit es sich selbst anschauen und wieder „in ordnung bringen“ kann. dabei gewinnt es neuen (→) sinn, neues wissen. diese anforderung ist organisieren, muss einrichtungen erfinden, die widersprüchlich, wenn nicht gar paradox, denn in diesem falle laufen zwei programme parallel und gleichzeitig: einerseits das der bewahrung bewährter und erfolgreicher routinen und andererseits das von deren konsequenter infragestellung. da werden es die im vorhergehenden satz („es muss seine selbstinfragestellung organisieren, muss …“) verwendeten „muss“-formulierungen schwer haben. es könnte auch passieren, dass das hirn sich auf einen buchtitel von tommy jaud besinnt und sich denkt: „einen scheiß muss ich!“ diese schwierige konstellation spricht für die nutzung externer ressourcen (z.b. der beratung), um beide programme in ihrer produktivität gegeneinander aktuell halten zu können und sich nicht in der paradoxie zu verfangen oder sich hinreichend erstverwirrt vom acker zu machen. irritation wird hier als voraussetzung für veränderung und für lernen angenommen. irritation ist insofern ein überlebenskonzept. sie schafft ein störendes ungleichgewicht und macht damit auch das zugänglich, was auch biologischen systemen ihr überleben sichert: anreize, sich mit sich selbst und der eigenen anpassungsoptimierenden weiterentwicklung im hinblick auf die relevante umwelt zu beschäftigen und dadurch zu neuen gleichgewichtsformen bezogen auf anpassungs- und entwicklungsroutinen zu kommen. die steigerung von reflexionsanlässen und -anreizen durch irritationen scheint damit der garant fürs überleben – für personale, soziale und organisationale systeme. bewahrt uns also vor den verlockungen vermeintlich großer neuer sicherheiten. wir würden es nicht überleben. ziel des irritationsimpulses und des anschließenden lernprozesses ist eine erweiterung bzw. veränderung der möglichkeiten, sinnbasiert wirklichkeiten zu (re-) konstruieren. es geht darum, durch die irritation den eigenen unterscheidungen auf die schliche zu kommen, sich ihrer (→) blinden flecke zu vergewissern und neue (→) unterscheidungen wählen zu können, um wirklichkeit anders sehen, deuten oder gestalten zu können. „irritation als plan“ - so haben das bardmann u.a. (1991) als buchtitel auf den punkt gebracht - als „störung unbrauchbarer wirklichkeiten“ (kersting 1991, im gleichen band) so zu konzipieren, dass dadurch lernprozesse im hinblick auf die erweiterung des spektrums „brauchbarer wirklichkeiten“ anschlussfähig werden können – darum geht es in _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 78

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ folgekommunikationen, weil aus erfolgreichem verstehen oder auch aus offenkundigem missverstehen antrieb entsteht, die auswahlprocedere zu bestätigen oder sie zu verändern. in der anschlussoperation wird jeweils deutlich, ob die vorhergehende kommunikation erfolgreich war. wenn dies nicht deutlich wird, kann das zur reflexiven kommunikation über kommunikation führen. so reagiert im oben mit jakobs schiefertafel begonnenen beispiel der student frederik auf diese mitteilung mit: „donnerwetter, auch noch mit ausrufezeichen!“ woraufhin frau siebenschwan-p., ehefrau des universitätsdozenten bemerkt: „er will uns damit die wichtigkeit seiner intervention signalisieren. er will uns mitteilen, dass ...“ (fuchs 1993, s. 132) damit wird (als verstehensschleife) eine kommunikation über kommunikation anschließbar, in der sich das soziale system des zitierten privatissimums durch folgekommunikationen weiter differenziert. die möglichkeit des missverstehens ist in dieser dynamik eingeschlossen – sie hält die systemproduktion gar am leben. nach niklas luhmann ist vor diesem hintergrund verstehen sowieso eher unwahrscheinlich: „verstehen ist nur missverstehen ohne miss-.“ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? wenn gelingende kommunikation insofern unwahrscheinlich ist, bedeutet dies auf der mikroebene der interventionsarbeit, austausch- und verständigungsprozesse über unterschiedliche konnotationen anzuregen und – z.b. über rückkoppelungs- und feedbackschleifen – zu strukturieren. hilfreich ist es zudem, wenn die unterscheidungen, die einem bestimmte verstehen zugrunde liegen, offengelegt und mitgeteilt werden („ich sage das jetzt, weil …“). dadurch werden zugänge zum verstehen des (miss-) verstehens geschaffen – eine zentrale basis für arbeitsfähige personen, teams, gruppen und organisationen. die grundlagenarbeit systemischer interventionist*innen steuert die erhöhung der wahrscheinlichkeit für gelingende kommunikation an. wir arbeiten insofern an der steigerung der wahrscheinlichkeit des unwahrscheinlichen. ein zentrales werkzeug dazu ist feedback (vgl. fengler 2017). in arbeitszusammenhängen, die eine feedback-kultur etabliert haben, ist die kommunikation meistens in ordnung. „in ordnung“ im sinne von: verständlich, klar, transparent, nachfragend, prüfend, reflexiv. manchmal waren vorher systemische interventionist*innen am werk. damit kann das jeweilige (kommunikations-) system auch eine gemeinsame sprache (er-) finden. damit verstehen wahrscheinlicher _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 80

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ wird. manche system-spezialsprachen steigern die wahrscheinlichkeit des verstehens im innenbezug. jemand der neu hinzukommt oder die kommunikation von außen beobachtet, hat oft keinen schimmer, ist nicht anschlussfähig, versteht gar nix oder „nur bahnhof“. erst recht keine abteilungsabkürzungen auf visitenkarten oder in kryptischen signaturen. da braucht’s dann erst mal viel kommunikation. zurück zum inhalt (soziale) kommunikationssysteme ich habe mich für diese begriffsverwendung entschieden, um eine einrichtung oder ein unternehmen, die oder das wir insgesamt als ein „soziales system“ verstehen, in seinen kommunikationsbasierten und interaktionellen systembildungen erfassen zu können. dies macht auch insofern „sinn“, als dass neben „personalen“ systemen (→ person) auch soziale systeme „sinnbasiert“ sind – und beide systemarten in dieser basierung voraussetzung und perspektive von lern- und entwicklungsprozessen sind. damit werden mit dieser begrifflichkeit insbesondere die sozialen subsysteme (teams, projekte, gruppen usw.), aber auch interaktionsbasierte systembildungen über diese subsysteme hinaus (z.b. meetings, lehr-/lernprozesse, netzwerke usw.) umfasst. diese begriffliche entscheidung basiert auf folgendem verständnis: aus (→) kommunikation bestehen soziale systeme, nicht aus menschen. so kann eine grundlegende annahme der luhmannschen systemtheorie zusammengefasst werden. aus den unterschieden von information, mitteilung und verstehen entsteht antrieb für die kommunikation – und dadurch wird systembildung betrieben: die langwierige klärung einer vermeintlich unklaren aufgabenstellung in einer seminargruppe oder in einem projektteam führt zu neuen klarheiten darüber, z.b. wie zukünftig mit unklarheiten umgegangen wird, wie mit der seminar- bzw. projektleitung kommuniziert und verhandelt werden kann, wie auseinandersetzung strukturiert und unterschiedliche auffassungen verarbeitet werden usw. es entstehen aus diesem gruppendynamischen prozess systemisch bedeutungsvolle strukturen und prozesse, auf die in den folgenden interaktionen wieder zurückgegriffen werden kann. das kommunikationsgehabe muss nicht immer neu erfunden werden – es ist konserviert und verfestigt den systemzusammenhang z.b. über sprache, regeln, strukturen und prozesse. dadurch _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 81

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ entsteht (→) identität und die abgrenzung des „kommunikationssystems“ zur umwelt wird geschärft. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? für die arbeit mit teams und gruppen (→ gruppe) bedeutet es vor allem, nicht nur die personalen logiken und muster im blick zu haben, sondern auch zu erforschen, welcher inneren logik die kommunikation der gruppe folgt, was der „kommunikative kit“ der bindung in der gruppe ist, wie interaktionen strukturiert werden, welche muster sich etablieren und verfestigen – und was die kommunikation gerade ausblendet. das verstehen – und dann auch das reflektieren und ggf. verändern - der logik der kommunikation kann durch gezielte interventionen unterstützt werden, die von der systemischen (z.b. zirkulären) frage (→ fragen) bis hin zur gruppenprozessanalyse bzw. zur klärung des (team-) rollengefüges reichen. zurück zum inhalt komplexität wenn nicht alle elemente einer einheit miteinander verbunden werden können, wird dieser sachverhalt als komplexität bezeichnet (baraldi/corsi/esposito 1998, s. 93.). oder ist der begriff paradox angelegt. niklas luhmann: schlichter gesagt: wenn wir nicht mehr durchblicken, dann lassen wir schnell durchblicken, dass die situation, der fall, das thema wohl (zu) „komplex“ sei. damit leiten wir bereits eine vereinfachung ein (gelegentlich wird’s leider auch peinlich oder allzu banal). im grunde „die komplexität konstituierende unterscheidung hat damit die form einer paradoxie: komplexität ist die einheit einer vielheit.“ (luhmann 1997a, s. 136) der begriff steht also für zwei verschiedene fassungen – einheit und vielheit – und negiert, dass es sich dabei um verschiedenes handelt. spätestens hier schwant manchem/mancher, dass es beim weiterdenken komplex werden könnte. was wir hier und anderen ortes verlegenheitshalber „komplex“ nennen (und es dabei oft bewenden lassen, weil uns die folgekomplexität erschreckt), braucht seine entfaltung, damit systeme was mit dem anfangen können, was sie als komplexität beschreiben – und oft auch beklagen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 82

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ insofern braucht komplexität (→) selektion. denn es gibt bei dem, was wir mit komplexität bezeichnen, immer mehr möglichkeiten als in sozialen systemen kommunikativ oder bei psychischen systemen als gedanken aktualisiert und verarbeitet werden können. welche dann tatsächlich aktualisiert werden in kommunikationen und/oder als gedanken, das hängt ab vom beobachter bzw. der beobachterin (→ beobachtung) und seiner/ihrer selektion. der vormalige amerikanische präsident donald t. benutzt offenbar andere selektionskriterien als die meisten klimaforscher (und manch andere beobachter*innen auch). die folge sind insofern beobachterabhängig qualitativ sehr unterschiedliche anschlusskommunikationen. berater*innen, trainer*innen, coaches und gruppenleiter*innen sind berufsbedingt mit komplexitäten konfrontiert. meist ist es teil des auftrags, komplexitäten so zu reduzieren, dass die klient*innen besser oder wieder oder zur abwechslung mal ganz anders durchblicken – um dann zu lernen und sich so entwickeln zu können, dass sie mit der komplexität angemessen umgehen können. insofern berater*innen, trainer*innen, coaches und gruppenleiter*innen sind „komplexitätsreduktion heißt selektive professionelle komplexitätsreduzierer*innen. erhaltung strukturen.“ auf (baraldi/corsi/esposito 1998, s. 96) von den strukturen ist es abhängig, wieviel innere eines möglichkeitsbereichs grundlage von komplexität ein system generieren und tolerieren kann. eine systemische grundannahme lautet, dass ein system dann besonders anpassungsfähig und überlebensfähig ist, wenn es die komplexität seiner umwelt im inneren vorhält. deshalb springen so viele berater*innen in den unternehmen herum und auch von anderen unterschiedsmachern, z.b. neulingen, quereinsteigern oder - denkern, wird erwartet, dass sie das system mit dem ausstatten, auf das es eigentlich in der lage sein sollte zu reagieren: mit unruhe, irritation und unsicherheit. auch die ganzen agilitätseinredungen sind komplexitätsreduzierungen, um die umweltdynamik und -komplexität im inneren des systems zu reproduzieren und vorzuhalten. irgendwie logisch: wenn die umwelt immer lebendiger wird (laut einschlägigen beobachter*innen), dann steht es nicht gut um träge keuchende und auf dem letzten loch (aber laut) pfeifende molochorganisationen oder eindrucksvoll qualmende dampfer mit einem bremsweg von vielen seemeilen und einem noch größeren wendekreis. deren strukturen reduzieren zwar die systeminterne komplexität meist sehr wirkungsvoll (indem sie diese in immer komplexere tools und ähnliches überführen) - jedenfalls ist das die einbildung -, aber mit umweltkomplexität hat diese vorgehaltene ausdifferenzierte form der systemeigenen komplexität meist wenig zu _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 83

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ tun. im gegenteil. deshalb jetzt also: agil. „schnellboote statt dampfer“ – so ist der slogan. na ja. es gibt schlimmere vereinfachungen. komplexitätsreduktionsleistungen sind insofern immer nur so brauchbar, wie sie gleichzeitig neue, angemessenere und brauchbarere möglichkeiten der komplexität eröffnen (weshalb auch im falle trump nicht alle hoffnung um die welt fahren gelassen werden musste und auch die heutzutage auf den plätzen anzutreffenden selbsternannten „querdenker“ komplexitätsreduzierungen anbieten, die zeigen, das es andere formen der komplexität und deren akzeptabler reduzierung braucht, als jene, die gerade politisch und gesellschaftlich im angebot sind). was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? insofern ist selektion bzw. die reduzierung von komplexität (z.b. durch beratung als steu- ernde intervention) günstigstenfalls immer auch expansion von komplexität. es werden via passender strukturen möglichkeiten eröffnet, die es vorher nicht gab - mit der option, dass welche dabei sind, die die eben erzeugte komplexität auch wieder reduzieren. undsoweiter. das beratungsgewerk hat dazu professionelle strukturen ausdifferenziert, z.b. coaching- oder organisationsentwicklungsformen. dabei bekommt die komplexität oft darüber eine neue ansicht, indem die beobachter*innen der klientensysteme beim beobachten beobachtet werden, indem also aus einer metaperspektive operiert wird. die die (→) distanz und der perspektivwechsel, den beratungsformate ermöglichen, lassen die komplexität anders wirken und ermöglichen andere formen, damit angemessen (komplex) umzugehen. systemische berater*innen, trainer*innen und coaches machen also komplexität zugänglich, rekonstruieren diese in der regel gemeinsam mit dem klientensystem, vereinfachen mit geeigneten strukturen (z.b. aufstellungsformen), sodass daraus für das klientensystem eine neue, handhabbare, eine brauchbare form der komplexität (auf einem anderen niveau) entsteht. eine weitere gerne genommene möglichkeit in unserem professionellen rahmen ist die temporalisierung von komplexität, die wir genaugenommen ohnehin brauchen und nutzen, damit wir nicht augenblicklich opfer einer überdosis der welt werden. insofern verzeitlichen wir möglichkeiten im nacheinander. das kann auch eine beraterisch hilfreiche form des umgangs mit komplexität sein, indem z.b. wege nachgezeichnet oder entwicklungslinien entworfen, prozesse definiert oder auch indem (→) geschichten erzählt werden - was heute gerne zum (→) storytelling gemacht wird. alle diese formate _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 84

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ stellen ordnung über verzeitlichung her. im nacheinander vereinfacht (z.b. als prozess oder als supply chain), wird dann die entfaltung neuer komplexität (z.b. innerhalb der einzelnen prozessschritte) möglich. zurück zum inhalt konflikt der konflikt ist der parasit der (→) kommunikation. im konflikt verfestigt sich ein widerspruch in der kommunikation so, dass er die ressourcen des systems, in dem er sich entwickelt, absorbiert und blockiert (vgl. baraldi/corsi/esposito 1998, s. 97). es entsteht eine eigenes parasitäres konfliktsystem, in dem es nur noch darum geht, auf den widerspruch mit neuem widerspruch zu reagieren: „ich tue nicht, was du willst, wenn du nicht tust, was ich will.“ es geht also nicht mehr um den vorherigen sachinhalt der kommunikation (also z.b. eine projektaufgabe), sondern um widersprüche in der interaktion, die blockieren. die kommunikation wird selbstreferentiell – anschlussfähigkeit entsteht (nur noch) aus dem widerspruch heraus für einen neuen widerspruch. widersprüche können für systeme auch warn- und alarmfunktionen haben, indem sie beispielsweise unangemessenheiten zum ausdruck bringen. im akuten konfliktfall sind sie allerdings zu eigenen systembildungen degeneriert: „basta - und jetzt ist schluss mit lustig, das stecke ich dem chef, manch anderer ist auch meiner meinung, dem werd‘ ich es schon zeigen, der ist ja ohnehin bekannt für solche fehler, das weiß ja jeder im team, gestern hat er es im meeting auch schon wieder gemacht, …“ undsoweiter geht es dann flugs die bekannte glasl‘sche eskalationstreppe hinab richtung abgrund (vgl. glasl 2004, s. 233ff). von der verhärtung (1. eskalationsstufe) über debatte/polemik (2.), taten statt worten (3.), images/koalitionen (4.), gesichtsangriff/gesichtsverlust (5.), drohstrategien (6.), begrenzte vernichtungsschläge (7.), zersplitterung (8.) und letztlich „gemeinsam in den abgrund“ (9.). koste es, was es wolle. auch die eigene existenz. egal! es herrscht vernichtungskrieg. vernichtung von personalen und kommunikativen systembildungen. „alle knöpfe der vernichtungsmaschine werden gleichzeitig gedrückt.“ (ebd., s. 300) im parasitären system ändert sich mit der eskalation der sinn. vom aufstapfen mit dem fuß mit ablehnendem blick und einer bösen bemerkung bis hin zum schlimmstenfalls wechselseitigen selbstmord (der triumph im eigenen untergang!) hat sich der sinn peu a _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 85

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ peu erheblich verändert. dafür sorgt die ausschließliche anschlussfähigkeit immer neuen widerspruchs, der letztlich nichts erzeugt außer weiteren widerspruch. und damit das so weitergehen kann, braucht es eben immer eine schippe mehr. und so geht‘s dann vom sinnbild, jemanden „eine reinzudrücken“ bis zu demjenigen, den anderen existenziell zu vernichten, ihn oder sie „fertigzumachen“ diese konfliktdynamik im parasiten kann auch für das eigentliche kommunikationssystem (den „wirt“) einschränkend und manchmal auch (existenziell) bedrohlich werden. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? insofern ist es die allererste beobachter*innenpflicht, aufmerksam zu sein für sich andeutende sinnverschiebungen und sinnsprünge in den interaktionen (also z.b. weg von der inhaltsebene in den widerspruch) und für die herausbildung von parasitären systemen. und dabei hypothesen zu bilden zu den auslösern dieser verschiebungen und systembildungen – und zu den eigentlichen mustern, die solche eskalationen provozieren. wenn es beispielsweise immer öfter in pausengesprächen um die beiden teammitglieder geht, die gerade („wieder mal, kein wunder, ist ja klar …“) nicht da sind, dann ist das ein signal für eine sinnverschiebung richtung möglichen konflikt. die aufmerksamkeit richtet sich allerdings weniger auf personale systeme (das machen die sogenannten konfliktparteien schon von selbst – augen und ohren auf!), sondern auf die interaktionsmuster und die kommunikativen dynamiken. diese beobachterjustierung fördert zudem die notwendige (beraterische) (→) distanz. als berater*in bin ich kaum versucht, mich mit personen zu solidarisieren, wenn ich mehr auf die muster des „dazwischens“ schaue. das ist der job systemischer interventionist*innen – im gegensatz zu solchen kolleg*innen, die konflikte personalisierend rekonstruieren. systemiker*innen interessieren sich eher für die systembedingten muster und dynamiken, die den parasiten (mit) erzeugt haben. vor dem hintergrund dieses konfliktverstehens geht es für systemische interventionist*innen oft darum, ein (eigenes) system zu etablieren, dass die parasitären teile vom eigentlichen kommunikationssystem, also z.b. einem team abgrenzt. damit ist das team geschützt und die konfliktbearbeitung hat ihrerseits ebenfalls einen geschützten rahmen. in diesem professionellen rollenausschnitt findet auch das format der mediation statt. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 86

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ der parasit zeigt oft einen versteckten systemischen nutzen. gelegentlich haben konflikte im frühstadium beispielsweise den auslöser einer fehlenden anerkennungskultur. vereinfacht: „wenn ich hier schon keine anerkennung bekomme für meine (unumstritten!) exzellenten leistungen, dann schau’n wir doch mal … wer zuletzt lacht …“ im anfangsstadium des widerspruchs entsteht der nutzen daraus, über den mut zum widerspruch anerkennung einzuheimsen. hier sind systemiker*innen insofern gefordert, den nutzen des parasiten – möglichst gemeinsam mit dem betroffenen system – zu erkunden. den muss es ja geben. sonst hätte der parasit sich ja nicht ausgerechnet diesen wirt ausgesucht. denn hier bekommt er die nahrung, die er braucht. zurück zum inhalt konstruktivismus/konstruktion der begriff „konstruktivismus“ ist gelegentlich irreführend, wird er doch unter anderem auch zur bezeichnung einer kunstrichtung in der sowjetunion der 1920er jahre verwendet. paul watzlawick, der in systemischen kreisen oft als referent für eine pragmatische form des konstruktivismus zitiert wird, fand auch, dass er nicht gut klingt: er hätte die bezeichnung „wirklichkeitsforschung“ bevorzugt. das ist denn auch der grundgedanke konstruktivistischen denkens: die erforschung der entstehung, entwicklung und deutung von „wirklichkeiten“. dabei steht der begriff „wirklichkeit“ – darauf legen (radikale) konstruktivisten wert – in anführungszeichen, was auf die beobachterabhängigkeit jeglicher konstruktion und deutung von (→) „wirklichkeit“ verweist. dies teilen denn auch alle unterschiedlichen disziplinären „konstruktivistischen“ ansätze: dass erkenntnis nicht auf einer korrespondenz mit externer wirklichkeit beruht, sondern immer nur auf konstruktionen von beobachter*innen (→ beobachtung). in diesem sinne ist erkenntnis die „entdeckung von wirklichkeit“, nicht als „progressive enthüllung vorab externer daten“ (baraldi/corsi/esposito 1998, s. 100). „wie wirklich ist die wirklichkeit?“ (watzlawick 1978) – das ist die frage, die sich immer wieder neu stellt, weil davon auszugehen ist, „dass das wacklige gerüst unserer alltagsauffassungen der wirklichkeit im eigentlichen sinne wahnhaft ist, und dass wir fortwährend mit seinem flicken und abstützen beschäftigt sind (…)“ (watzlawick 1978, s. 7). existierender objekte“ „’erfindung’ sondern als _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 87

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ konstruktivistische überlegungen zum (→) lernen werden durch aussagen der konstruktivistisch orientierten erkenntnistheorie beeinflusst. der radikale konstruktivismus (vgl. glasersfeld 1997) führt den gedanken, dass verstehen und lernen als wirklichkeiten und sinn konstruierende operationen verstanden werden müssen, am konsequentesten fort. betont wird dabei, dass es keine objektiv erfassbare wirklichkeit gibt, die unabhängig vom wahrnehmenden menschen geschaffen wird. „wirklichkeit“ entsteht, indem (→) beobachter*innen (→) unterscheidungen anwenden. sie wird immer durch den menschen geschaffen, konstruiert, und existiert deshalb nur subjektiv in seinem gehirn. in der theorie des menschen sind radikalen konstruktivismus autopoietische, selbstreferentielle, operational geschlossene systeme. die äußere „realität“ ist ihnen sensorisch und kognitiv nicht zugänglich. wir sind mit der umwelt nur strukturell von impulse unserem nervensystem gekoppelt. wir wandeln „strukturdeterminiert“ auf der grundlage biografisch geprägter, psycho-physischer kognitiver und emotionaler strukturen um. die so erzeugte „wirklichkeit“ ist keine repräsentation, keine abbildung der außenwelt, sondern eine funktionale, eine „viable“, d.h. eine gang- und brauchbare konstruktion. derart erschaffene wirklichkeit kann von außen in anderen menschen geteilt werden und hat sich meist biografisch, für eine bestimmte soziale gruppierung oder familie bzw. gattungsgeschichtlich als brauchbar erwiesen. menschen als selbstgesteuerte (→) „systeme“ können von ihrer umwelt nicht determiniert werden, sondern allenfalls gestört, perturbiert, irritiert und dadurch zur selbstveränderung angeregt werden (→ irritation). jede veränderung - auch diejenige durch lernen – muss insofern selbstveränderung sein. so ist jedenfalls die konstruktion der konstruktivisten. zu bedenken ist dabei, dass die entstehenden konstrukte real sind, weil sie als real behandelt und empfunden werden. insofern handelt es sich um „harte wirklichkeiten“ (groth 2017, s. 24). ob es sich dabei um einstellungen, entlassungen, terroranschläge oder kriegserklärungen handelt, es ist all jenes die folge „konstruierter welterzeugung“ (ebd.). für systemische interventionist*innen geht es insofern meist darum, lernenden zugänge zu brauchbaren wirklichkeitserhärtungen zugänglich zu machen. diese verfügen dann über nützliche „harte“ wirklichkeiten, die ein entscheiden in einer welt der kontingenz und vieldeutigkeit notwendig und möglich machen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 88

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? in einer daraus abzuleitenden lern- und entwicklungsperspektive steht der/die aktiv lernende im vordergrund. eine direkte vermittlung „objektiven“ wissens ist demnach unmöglich, da sie von der passivität der lernenden ausgeht. wissen kann nicht direkt vermittelt werden, sondern der/die lernende kann nur angeregt werden, eigene sinn-volle bilder aufzubauen. es gilt also, die sinn- und bedeutungskonstruktionen der lernenden zu fördern oder anzuregen. diese konsequenz schließt an die „theorie der geistigen entwicklung“ von jean piaget (1983) an, der sagt, dass es bei allen geistigen prozessen zwei aspekte gibt: die assimilation, d.h. die veränderung des bildes von der welt, um sie den eigenen denkmustern anzupassen, und die akkommodation, also die anpassung der eigenen denkmuster, um sie mit der welt in einklang zu bringen. auch piagets lerntheoretischen überlegungen unterliegt die annahme, dass lernen ein aktiver konstruktionsprozess ist, den der lernende weitgehend eigenständig und ganz unterschiedlich gestaltet. das bedeutet u.a. konkret: ➢ es kann nur das verstanden und gelernt werden, was sich mit bereits vorhandenem wissen verbinden lässt. das bedeutet für interventionist*innen, vorhandenes wissen zu nutzen und anschlussmöglichkeiten des neuen wissens an vorhandenes wissen zu ermöglichen. ➢ wissen ist immer „subjektives“ wissen. es kann sich auch für lernende, die im die unterscheiden. denn sozialen kontext erheblich gleichen lernen, konstruktionsprozesse beim lernen sind aufgrund der mitgebrachten unterschiedlichen disponiertheit (der „verschaltungen“ im gehirn) individuell verschieden. deshalb sind auch die ergebnisse von lernprozessen unterschiedlich. diese unterschiedlichkeit gilt es zu akzeptieren und in ihrer ressourcenhaftigkeit für weitere lernprozesse zu nutzen: „unterschiede verbinden!“ ➢ neues wissen impliziert die umstrukturierung bereits vorhandenen wissens. lernen bedeutet damit notwendigerweise immer auch verlernen. verlernen heißt dabei anstrengende (emotionale und rationale) ablösungsarbeit von bislang brauchbaren sinn- und verhaltensmustern. das ist ein widersprüchlicher prozess, der im ringen um brauchbarkeit zwischen aneignung und ablehnung oszilliert (→ oszillieren) und der vor allem: (→) zeit braucht. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 89

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ➢ der (soziale) kontext, die soziale interaktion, die beziehungsqualität ist beim lernen von ausschlaggebender bedeutung, denn sie aktiviert positive oder negative (→) gefühle, die entscheidend sind für das, was dann rational an konstruktionsprozessen möglich wird - oder eben unmöglich bleibt. ➢ weil die konstruktion von neuem wissen an bereits vorhandenes wissen angebunden ist, sollten lernprozesse in anregende und authentische lernumgebungen eingebettet werden. dadurch wird gewährleistet, dass der oder die lernende wissen vorfindet, das er bzw. sie mit dem eigenen (vor-) wissen verbinden kann. ➢ von besonderer bedeutung ist im konstruktivistischen sinne das prinzip der (→) selbstorganisation. der mensch als in sich geschlossenes (→) system organisiert sich selbst - und organisiert damit für sich die welt, als eine für sich sinn-volle sichtweise der welt. freiräume für individuelle und kollektive selbstorganisationsprozesse einzuräumen, ist insofern ein wichtiger faktor, wenn es darum geht, wirkungsvolle und günstigstenfalls nachhaltige lernprozesse zu unterstützen. ➢ selbstorganisation verbindet sich zudem mit eigenverantwortlichkeit. jeder mensch ist für das eigene lernen verantwortlich, weil er damit sein überleben als system sichert. solche verantwortung kann nicht delegiert werden an (vermeintlich) „lehrende“. selbstorganisation gezielt anzusprechen und zu nutzen ist auch deshalb hilfreich, weil sie sowieso da ist. damit verbindet sich ein konstruktivistischer zugang mit der wertschätzung zentraler personaler ressourcen. in diesem sinne regen systemische interventionist*innen auf möglichst vielfältige art und weise an, dass brauchbare und für den jeweiligen kontext nützliche konstruktionen entstehen können. sie bieten dazu den rahmen, als person ein modell, eine stimmige beziehung im lernsystem, anregende und anspruchsvolle, herausfordernde inhalte in einer hilfreichen (methodischen) organisation und einer vertrauensvollen kultur der selbstorganisation. systemiker*innen haben dabei auch einen blick für die nützlichkeit und sinnhaftigkeit der konstruktionen, die da entstehen. auch – und insbesondere – wenn diese von dem abweichen, was sie so gedacht hatten, dass konstruiert werden könnte oder sollte. die abweichung ist immer interessant. denn sie zeigt einen nutzen, der bislang nicht bedacht war. wenn sie versuchen, verstehen zu verstehen, versuchen systemiker*innen insofern die konstruktionsprinzipen des verstehens zu verstehen. das sind konstruktionsprinzipien der beschreibung, der deutung, erklärung und der bewertung. wenn es um konstruktion _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 90

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ die bedeutung von sprache, handlung und verhalten. in manchen betrieblichen kontexten sorgt die alljährliche weihnachtsfeier zu vorgerückter stunde gelegentlich für verwirrung und andere bedeutungsvolle übergriffigkeiten durch kontextverwechslungen bei einigen beteiligten. im tagesgeschäft ist oft auch eine inhaltliche kontextdifferenz bedeutungsvoll, wenn beispielsweise die einen im kontext „marketing und vertrieb“ sprechen und die anderen in dem von „forschung und entwicklung“. das heißt für systemische interventionist*innen, den kontext – ggf. immer wieder – aktiv zu klären oder dafür zu sorgen, dass der rahmen geklärt ist erwartungsklärung, erwartungsklärung ist beziehungsklärung. unterbleibt dies, so steigt das risiko des scheiterns.“ (groth 2017, s. 131) anregungen für konkrete kontextklärungen können folgende fragen sein: ist oder wird. „kontextklärung (cid:36) wozu sitzen wir heute hier zusammen? (cid:36) in welchem fachlichen und organisationalen rahmen ist das thema/das projekt angesiedelt? (cid:36) was wollen wir hier erreichen? und wozu? (cid:36) in welchen rollen sprechen wir hier miteinander? (cid:36) was wäre ein gutes ergebnis des heutigen treffens? (cid:36) woran würden wir erkennen, dass das heutige meeting erfolgreich ist? zurück zum inhalt kontingenz „komplexität im hier angegebenen sinne heißt selektionszwang, selektionszwang heißt kontingenz und kontingenz heißt risiko." so – wieder mal unfassbar selektiv – niklas luhmann (1993, s. 47). in diesem anschlussschwangeren satz wird der zusammenhang von (→) komplexität und kontingenz über den zwang zur selektion hergestellt. denn selektion heißt nicht „nicht alles“, sondern dieses oder jenes (oder etwas anderes). in diesem text wird die komplexität seines bezuges – nämlich der (→) kontext systemischer theorie und praxis - notwendigerweise selektiv dargestellt. nicht alles ist hier möglich und oder sinnvoll (→ sinn). die möglichkeiten der informationsgewinnung, -beschaffung und relationalen -verarbeitung sind (zeitlich) begrenzt. es stehen aber immer mehr offen, als realisiert werden können. es gibt vielfältige aspekte systemischen denkens, beratens und _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 92

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ leitens. auf diese vielfalt wird hier mit selektion reagiert. selektion hat die funktion wirksamer katalysatoren (hier mit blick auf das sinn-verstehen bzw. die wirkungsvolle irritation von leser*innen im hinblick auf haltung und rollengestaltung als systemische interventionist*innen). es kann nicht alles intern berücksichtigt werden, was extern vorkommt. vieles ist möglich, wenn auch nicht notwendig. dieses „dieses oder jenes (oder etwas anderes)“ der selektion wird mit kontingenz bezeichnet. der begriff „kontingenz' „wird gewonnen durch die ausschließung von notwendigkeit und unmöglichkeit. kontingent ist etwas, was weder notwendig noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird) sein kann, aber auch anders möglich ist“ (luhmann 1993, s. 152). „der zusammenhang von komplexität und kontingenz darf die unterschiede nicht vergessen lassen. es gibt beziehungen von hoher kontingenz und geringer komplexität und umgekehrt: so kann man die anfänglichen beziehungen zwischen robinson und freitag als extrem wenig komplex und hoch kontingent bezeichnen. mangels anderer bezugssysteme entfällt vielfalt, vernetzung und folgelastigkeit der sozialen beziehungen, während die möglichen handlungsalternativen vom gegenseitigen fressen bis zur freundschaft reichten." so konkretisiert helmut willke (1991, s. 32) den für systemische interventionist*innen so bedeutungsvollen zusammenhang von komplexität und kontingenz – auch wenn die option „fressen“ wie im falle von robinson und freitag wahrscheinlich in den meisten fällen kaum als handlungsalternative in betracht kommt. niklas luhmann führt den begriff der doppelten kontingenz in seine theorie ein und formuliert die these, „dass doppelte kontingenz zwangsläufig zur bildung von sozialen systemen führt und in diesem sinne als dauerproblem (nicht nur: als anstoß) autokatalytisch wirkt“ (luhmann 1993, s. 177). das „auch-anders-möglich-sein“ des einfachen kontingenzbegriffes wird zur doppelten kontingenz, „sobald systeme die selektion ihrer eigenen zustände darauf abstellen, dass andere systeme kontingent sind" (luhmann 1975, s. 171). doppelte kontingenz ist damit der motor für das zustandekommen sozialer systeme. soziale beziehungen und kommunikationen entstehen nicht durch eigeninteressen von handelnden, sondern durch die existenz des problems der doppelten kontingenz und seiner bearbeitung in sozialen systemen. der student frederik im privatissimum über systemtheorie formuliert in einem für ihn überraschenden anflug von durchblick: „ich stelle mir einfach zwei schwarze schachteln vor, black boxes, so heißt das wohl, die sich gewissermaßen umkreisen und belauern, _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 93

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ aber miteinander umgehen müssen und sich dabei wechselseitig unterstellen, dass sie sich selbst bestimmen, ich meine damit, dass jede von ihnen intern aus einem horizont von möglichkeiten ihr verhalten selegiert, und dieser horizont ist nicht bei beiden schachteln gleich. was die eine schachtel bei der anderen sieht, ist schon reduktion, eine abreviatur, ein kürzel, und das sieht jede schachtel bei der anderen, und darauf stellt sich jede schachtel ein, und was dann geschieht als umgang miteinander, mag zu beginn eine trial/error-kette wechselseitiger beeinflussungsversuche sein, aber der expe- rimentelle charakter verliert sich mit den lernerfolgen und den möglichkeiten von verhaltensprognosen ... es kommt zu einer art stabilisierung von etwas, das auf nichts anderem beruht als auf unterstellungen, die sich der komplexität der systeme gleichsam abgewinnen, aber an keiner zeitstelle diese komplexität wirklich kontrolliert." (fuchs 1993, s. 118) systemiker*innen könnten jetzt berater- und klientensystem an stelle der beiden schwarzen schachteln setzen. aber es könnte auch anders sein (weil auch autor und leser*innen wie zwei schwarze schachteln mit unterschiedlichen kontingenzen sind). das problem der doppelten kontingenz, „das heißt: die leere, geschlossene, unbestimmbare selbstreferenz" (luhmann 1993, s. 151) macht - dieser aspekt ist an frederiks ausbruch anschließbar - (systeme) zufallsempfindlich. das wird auch zwischen woltersbeck und dem taubstummen jakob im privatissimum über systemtheorie deutlich: „woltersbeck: mir kommt es so vor, als würde die situation doppelter kontingenz eigentlich erwarten lassen, dass niemand erwarten kann, dass das, was er tun würde, so beschaffen ist, dass ein anderer anknüpfen könnte, sinnvoll natürlich. schließlich ist mit ihr klar, dass alle beteiligten anders handeln könnten, als man denkt oder erwartet, und dass sie das alle voneinander wissen. es ist sehr unwahrscheinlich, dass so etwas wie soziale ordnung entsteht. jakob: (schiefertafel) unwahrscheinlich und deswegen normal!“ (fuchs 1993, s. 123) was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? welche selektion unterstellen sich die beiden schwarzen schachteln berater*innen- und klient*innensystem gegenseitig - und wie kommt dadurch eine sinnvolle kommunikation im beratungssystem zustande? das ist eine spannende frage für systemiker*innen zu beginn eines beratungsprozesses. wie geht’s los und wie geht es dann sinnvoll weiter? das fragen sich beide seiten und halten dafür möglicherweise ganz unterschiedliche vorstellungen und phantasien bereit. „der wird konkrete ratschläge erwarten“ und „auch _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 94

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ kunst warum kunst? ein „abc“ steht doch eher für rationale und systematische zugänge, für eine komplexe anlage, ja, aber doch für etwas planvolles und –bares. etwas aufgeklärtes und erklärtes und erklärbares. (ja, ich bitte sie!) dem systemischen denkmodell entspricht aus meiner sicht eher der begriff der kunst. denn: „kunst weist darauf hin, dass der spielraum des möglichen nicht ausgeschöpft ist und sie erzeugt damit eine befreiende distanz zur realität“ (luhmann 1997a, s. 253). und: „was die kunst anstrebt, könnte man deshalb als reaktivierung ausgeschalteter possibilitäten bezeichnen.“ (ebd., s. 352) „das kunstwerk nimmt diese erhellende und verdeckende funktion von sinn in anspruch, steigert sie aber so, dass auch unsichtbares sichtbar wird und, wenn es gelingt, die welt in der welt dargestellt wird.“ (ebd., s. 353) in diesem sinne sind systemische interventionssettings als „kunstwerke“ zu verstehen. wenn sie auf der ebene rationaler und nur unmittelbar anschlussfähiger sinnmodelle verbleiben, ist der charme des systemischen nicht ausgeschöpft. oder sogar: überhaupt nicht gegeben. denn es geht beim systemischen ja sehr zentral um brauchbare erweiterungen von möglichkeiten. und die werden über künstlerische und kunstfertige, manchmal auch über nur kunsthandwerkliche zugänge zugänglich. letzteres ist erlernbar, die tatsächliche kunst entsteht – oder auch mal nicht - in dem kontingenten geschehen der kommunikation im beratungssystem. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? dies meint nicht vorzugsweise die interventionsgestaltung, sondern - dieser vorgelagert – die (→) haltung der interventionsgestalter*innen. es ist bestenfalls die liebevolle haltung des künstlers gegenüber seinem kunstwerk und dem, was es versucht darzustellen in seiner/ihrer „bildenden kunst“. es ist eine sehr sorgsame haltung gegenüber dem gegenstand, der dargestellt und ab- oder herausgebildet werden soll. eine sehr genau beobachtende, um immer wieder neue, unterschiedliche distanzen und perspektiven bemühte, eine eher zurückhaltende, vorsichtige haltung. es kommt ihm und ihr auf die feinen, die kleinen unterschiede an. jeder pinselstrich ist wohlüberlegt und wohldosiert, jedes wort und jeder ton, auch wenn sie improvisiert daherkommen, mit bedacht gesetzt. der künstler und die künstlerin sind dabei vorsichtig, nicht jedoch ängstlich, sie sind mutig. sie stellen gerne das nicht-darstellbare dar, das noch nie gedachte oder _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 96

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ gemachte. mancher bleibt dabei auch leider auf dem niveau bemühter originalität. künstler*innen, die mit viel (→) gefühl und (→) liebe, mit (→) gelassenheit, (→) bescheidenheit und (→) mut agieren, laufen nicht in die platte originalitätsfalle. sicher ist auch, dass das nicht im beliebigen geschmiere, gekrakel und getöse enden darf. die künstler brauchen auch in ihrem künstlerischen zugang die sicherheit des grundlegenden handwerks der kunst. es geht darum, immer wieder neu und immer wieder neue kunstwerke zu schaffen. und das bedeutet dann „operativ“ auch die arbeit mit künstlerischen formen und zugängen, weil dadurch eben leichter auch andere seiten, facetten und aspekte zugänglich werden als durch das bloße gesprochene wort. gemalte falldarstellungen können wie ein kunstwerk interpretiert werden und dabei tauchen aspekte auf, die der künstler/die künstlerin vielleicht gar nicht bedacht hatte, die ihm jedoch neue denk- und womöglich auch handlungsmöglichkeiten eröffnen. gespielte fallszenen mit psychodramatischen techniken bringen innere und äußere szenen auf die (innere und äußere) bühne, die ungeahnt und unausgesprochen blieben. dadurch entstehen neue bisher möglichkeitsräume. „man kann dies als „fiktionalität“ bezeichnen, aber der ausdruck sagt nicht genug. die kunst bleibt nicht fiktion, sie erzeugt eine realität, mit dem recht zu eigener objektivität.“ (luhmann 1997a, s. 353) was bei so viel schöner kunst bleibt, das sind die üblichen systemischen einschränkungen: „auch die kunst kann nur beobachten, kann nur die welt durch ihre eigenen schnitte verletzten.“ (ebd., s. 355) letztlich entsteht die kunst im auge des betrachters, der- oder diejenige – natürlich - (→) beobachter*in ist. zurück zum inhalt lernen beobachter stellen „lernen“ fest, indem sie ein verhalten wahrnehmen, das vorher nicht beobachtet wurde. es ist also innerhalb des systems irgendetwas geschehen, das es ermöglichte, dies verhalten zu zeigen, das vorher nicht möglich war (vgl. zirkler 2001, s. 114). wir reden insofern über lernen als einen prozess, der sich zwischen zwei zuständen eines systems abspielt und nennen die zustandsveränderung dann „lernen“ _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 97

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ (vgl. schmidt 2003, s. 11/12). wie „wir“ diese zustandsveränderung dann erklären, liegt diese an demjenigen referenzbereich, als beobachtende den wir auf zustandsveränderung in anschlag bringen. je nachdem, welcher disziplin wir uns angebunden sehen, werden wir den prozess des lernens dann unter physiologischen, psychologischen, sozio-kulturellen oder ökonomischen aspekten beschreiben und konzipieren. gregory bateson hat die schwierigkeit beim unternehmen, „lernen“ zu erklären, sehr zutreffend formuliert: „das wort ‘lernen’ bezeichnet zweifellos eine veränderung irgendeiner art. zu sagen, um was für eine veränderung es sich handelt ist eine schwierige angelegenheit.“ (bateson 1992, s. 366) „lernen“ (vgl. orthey 1999, s. 149ff) ist ein begriff, der mit evolutionärer veränderung verknüpft ist. er richtet sich auf deren prozesse - „veränderung bedeutet prozess“ so bateson (1992, s. 367). diese veränderungsprozesse beziehen sich auf personale systeme (→ systeme), sie beziehen sich auf soziale (interaktions-) systeme (→ soziale) kommunikationssysteme) und sie lassen sich - via der reflexivität, die lernen verfügbar hält - auf die konservierung dieser veränderungsprozesse im organisationalen system (→ organisation) beziehen. die veränderungsprozesse beziehen sich darauf, was bzw. welchen ausschnitt ein je spezifischer beobachter mit der brille „lernen“ beobachtet (dazu gehören nicht nur forscher*innen, sondern auch trainer*innen, personalentwickler*innen, leser*innen, sowie alle nicht-leser*innen, die auf „lernen“ hin beobachten). die welt wird mit dem fokus des lernens beobachtet, d.h. sie wird dahingehend „lernend“ selektiv wahrgenommen. die leitunterscheidung dieser unterscheidungen der welt im brennglas des lernens heißt wissen/nichtwissen bzw. aneignung/ablehnung. „lernen“ ist insofern ein beobachterabhängiges konstrukt. damit handelt es sich bei dem, was erklärt wird, nicht mehr um das phänomen „lernen“, sondern um etwas, das als „lernen“ beobachtet und bezeichnet wird. das, was beobachtet und bezeichnet wird, ist (vom beobachtenden) mit dem begriff des lernens erklärt. insofern besagt das ergebnis der beobachtung und erklärung zuallererst etwas über den beobachter/die beobachterin des prozesses aus. die beobachtung und erklärung von lernen bedeutet damit, eine realisierte veränderung „als auswahl aus möglichen veränderungen zu beobachten und diese auswahl durch die selbstreferenz des veränderungssystems zu begründen“ (schmidt 2003, s. 12). _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 98

ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ dieses beobachtungskonzept „lernen“, kann sich auf unterschiedliche (miteinander verschränkte) veränderungsperspektiven beziehen, ➢ auf die entwicklung und veränderung von identität (personenbezogene dimension), ➢ auf den aufbau und die entwicklung von sozialen interaktionsbeziehungen (beziehungsdimension), ➢ auf die entwicklung, veränderung, zugänglichkeit und verfügbarkeit von wissensbeständen (inhaltsdimension) ➢ auf die entwicklung und veränderung organisationaler routinen und prozesse (organisationsdimension) ➢ auf die entwicklung und veränderung (inter-) kultureller normierungen und routinen (kulturdimension). dies lernen impliziert jeweils eine zeitliche perspektive, im sinne von kurz- oder langfristig, episodisch bzw. lebenslang. die dimensionen von lernen und entwicklung im (führungs-) fünfeck (vgl. orthey 2013) kompetenzen im fünfeck _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 99

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ (→ pentagrammatik) mit einer handlungsperspektive beziehen sich die veränderungen, die wir mit „lernen“ erklären, auf die erweiterung von handlungsmöglichkeiten durch die entwicklung von kompetenzen, die an – jeweils besonderen und neuen – herausforderungen und problemlagen aktualisierbar sind. das heißt: lernen ist mehr als wissenserweiterung. vor allem ist lernen arbeit an und veränderung von (→) identität. das beinhaltet eine veränderung der internen strukturen, der selbstbeschreibungsmöglichkeiten, der reproduktions- und entwicklungsmuster und der grenzziehung eines systems nach außen. wenn es gelingt, neue wissensbestände in den gegenwärtig aktualisierbaren sinnvorrat einzusortieren, sie also in die eigene „landkarte“ zu integrieren, ihnen dort einen „brauchbaren“ sinn zu geben, sie „anschlussfähig“ zu machen, dann kann zukünftig darauf zurückgegriffen werden, indem diese sinnstrukturen auf anschlussmöglichkeiten überprüft werden, indem also die passung zwischen wissens- und sinnstruktur und handlungsproblem abgeglichen wird. das führt dann zu einer erweiterung von handlungsmöglichkeiten durch solche fähigkeiten, die zum beobachteten „problem“ passen. insofern werden durch lernen die anpassungsmöglichkeiten im hinblick auf potenzielle zukünftige störungen (der eigenen reproduktion, des eigenen überlebens) erweitert. via lernen kann sich das system selbst so verändern, dass es sich in die lage versetzt, (→) „perturbationen neutralisieren zu können, die bisher nicht auftraten, bzw. die bisher nicht neutralisiert werden mussten“ (zirkler 2001, s. 115). lernen braucht für diese veränderungen einen differentiellen impuls, d.h. es muss eine (→) differenz durch das system wahrgenommen werden, die zu einer irritationswahrnehmung (→ irritation) bzw. zu einem ungleichgewicht führt. dabei geht es bei dem lernenden system um den abgleich und die einordnung dieser differenz in den eigenen, zu diesem zeitpunkt zugänglichen vorrat an wissensbeständen und deren sinnbestimmter bedeutungen (oder: um deren ablehnung!). das ist die frage der anschlussfähigkeit an bestehendes (z.b. an aus der eigenen historie oder biografie gewonnene erfahrungen). gleichzeitig geht es um das abklopfen des differentiellen veränderungsimpulses auf zukünftige anschlussmöglichkeiten. dies abklopfen bezieht sich auf den bestand der verfügbaren und aktualisierbaren phantasien und annahmen über das, was diesen veränderungsimpuls zukünftig anschlussfähig machen könnte. alltagstauglich formuliert ist das die frage: was kann ich mit diesem neuen wissen zukünftig anfangen? _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 100

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ lernen bedeutet insofern die integration differentieller impulse in bestehende strukturen und in die aktualisierbaren möglichkeiten zukünftiger prozesse. zudem meint „lernen“ die zuschreibung eines bestimmten sinns, einer bestimmten bedeutung. grundsätzlich werden (→) irritationen als wichtige und notwendige elemente im und für den lernprozess angesehen. das lässt sich an jean piagets vorstellung vom lernen und von geistiger entwicklung anschließen (piaget 1983): sowohl die integration von informationen aus der umwelt in vorhandene denkschemata (assimilation) als auch die veränderung der schemata selbst (akkommodation) unterliegen dem gleichgewichts- bzw. äquilibrationsmodell. die durch lernen in gang gesetzte entwicklung wird als abfolge von gleichgewichts- und ungleichgewichtszuständen verstanden, wobei das ungleichgewicht von einem gleichgewichtszustand auf höherem niveau abgelöst wird. diese dynamik wird durch eine störung aus inneren oder äußeren gründen in bewegung gebracht, das heißt, es werden vorläufig etablierte gleichgewichtszustände auf einer bestimmten stufe gestört und dann auf einem höheren niveau wiederhergestellt. auch das dreistufige lernmodell von kurt lewin (vgl. geißler/hege 1992, s. 138ff) setzt explizit auf die notwendigkeit und wirksamkeit des auftauens oder auflockerns („unfreezing“) festgefahrener verhaltensmuster als voraussetzung einer phase der veränderung oder überleitung („changing“ oder „moving“) und dann der stabilisierung neuerworbenen verhaltens („refreezing“). das lewinsche lernmodell ist insbesondere bei lernprozessen in (der heimat der lewinschen aktionsforschung), in gruppen organisationen und bei kulturellen veränderungen diagnostisch und planerisch hilfreich (kurt lewin hatte bei der entwicklung soziale konfliktlösungen und demokratisierungsprozesse nach dem zweiten weltkrieg im blick). auch hier stellt sich immer wieder die frage nach der (→) anschlussfähigkeit des irritationsimpulses im sinne des angestrebten lernens (bei lewin des changing oder moving). allzu oft ist ja auch abwehr und stabilisierung des status quo gegen die zumutung der irritation beobachtbar. daraus ergibt sich die notwendigkeit, dem aspekt der anschlussfähigkeit der irritation im sinne einer in gang kommenden oszillation (→ oszillieren) besondere aufmerksamkeit zu widmen – und das heißt auch, die frage mitlaufen zu lassen, wie viel stabilität es braucht, damit die irritationschancen auch zum lernen genutzt werden können. die „dosisfrage“ ist – wie bei homöopathischen und anderen heilsbringenden mitteln – insofern eine sehr entscheidende. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 101

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? (→) steuerung über lernen anzugehen, bedeutet, nicht-trivialen systemen eine ebenfalls nicht-triviale form zur selbstveränderung zur verfügung zu stellen. das wirkt anregend und setzt oszillationsprozesse in gang, deren verlauf- und ausgang für die (selbst-) veränderung des systems relevant werden können: konfrontiert mit einer fremdsicht, wählen personen neue berufswege, gestärkt durch rollenklärung via feedback werden rebellische teams auf hohem niveau arbeitsfähig, ausgestattet mit der ressource coaching ändert sich die führungskultur in der organisation spürbar. lernen ist als „steuerungsstrategie“ insofern besonders geeignet, als dass es sich um eine der deren ausgestaltung angelegte form handelt, reflexiv offene, selbstorganisationsdynamik obliegt. lernen ist auch deshalb besonders geeignet, um steuernd einfluss zu nehmen, als dass reflexiv differenzen zugänglich werden, die im system veränderungswirksam werden können. lernen macht selbstorganisation nötig (differenzen müssen verarbeitet werden) und es kann die selbstorganisation dadurch dynamisieren und ihre richtung verändern. die wirksamkeit wird dadurch positiv unterstützt, als dass die veränderungsrichtung letztlich im system selbst gewählt wird. durch steuerungsimpulse zum lernen werden die „oszillatoren des systems“ betätigt (luhmann 1997b, s. 68 u. s. 69). nicht mehr, aber auch nicht weniger. das lässt (→) bescheidenheit angemessen erscheinen, aber auch die (→) gelassenheit, dass das derart intervenierte system, in seiner (→) autonomie schon lernend die richtigen veränderungsoptionen wählen wird können. der nutzen der kategorie des lernens besteht insofern darin, veränderungen als lernprozesse zu begreifen – und das heißt, sie nicht „trivial“ zu verstehen, sondern (→) „nicht-trivial“. es bedeutet, intervenierte systeme als lernende zu verstehen – und sie auch so - und das heißt: als bereits wissende! – zu begreifen und zu akzeptieren. so gedachtes lernen kann im anschluss an gregory batesons überlegungen (bateson 1992, s. 378f) als lernen erster, zweiter und dritter ordnung unterschieden, angeregt und gestaltet werden. • beim lernen erster ordnung wird ein einfaches handlungsproblem durch eine verbesserte reaktion wirksamer bearbeitet. die optimierung des betrieblichen bildungsmanagements durch ein sap-programm steht beispielhaft für dieses lernen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 102

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ • beim lernen zweiter ordnung kommt die distanzierte reflexion der angemessenheit und bedeutsamkeit der handlung hinzu. dadurch werden die muster, werte, normen und steuerungsstrategien, die zur problemlösung führten, identifiziert und konserviert. lernen zweiter ordnung bedeutet somit eine veränderung des lernens erster ordnung. die reflexion der von konkurrenz bestimmten teamdynamik in einem lehrerkollegium führt zur überprüfung der handlungsleitenden werte und muster und ermöglicht alternative handlungsstrategien. • beim lernen dritter ordnung wird das lernen des lernens reflektiert, es wird mit dem lernprozess selbst wieder reflexiv umgegangen. dadurch werden veränderungen im lernen zweiter ordnung begründet. es wird der umgang mit mustern, werten und normen reflektiert, um daraus ableitungen für angemessenere verfahren zu treffen, dies zu tun. wenn das eben angesprochene kollegium die routine etabliert, die arbeitsform der supervision gezielt zur aufarbeitung personaler, interaktionsbezogener und organisationaler dynamiken zu nutzen und dadurch inspiriert intervisionsgruppen einrichtet – dann ist das lernen dritter ordnung. durch lernen zweiter und dritter ordnung wird sichergestellt, dass ein system reflexiv zu sich selbst und den eigenen mechanismen und dynamiken wird. dadurch kann die nachhaltigkeit des lernens überprüft und gesteuert werden – durchaus auch in dem sinne, die frage mitlaufen zu lassen, wo lernen hilfreich ist für die unterschiedlichen intervenierten systemarten und ebenen und wo es auch (lern-) behindernd wirken kann. systemisch denken, beraten und leiten bedeutet bei alledem nicht zuletzt: sich selbst in seinem denken und tun als lernende/n zu verstehen. der rest ist einfühlen, kontakt und wissen (über inhalte, methoden) unter lernförderlichen rahmenbedingungen. vor allem aber: „lust auf lernen“! faktoren, die beim lehren und lernen eine wichtige rolle spielen (nach roth 2009, s. 54 - 69) 1. die motiviertheit und glaubhaftigkeit des lehrenden zu beginn eines jeden gesprächs wird unbewusst die glaubhaftigkeit des partners eingeschätzt. dies geschieht über den gesichtsausdruck, die stimmtönung, die körperhaltung und ggf. den körpergeruch. diese merkmale werden mit vorhandenen in verschiedenen teilen des gehirns verglichen. ein übermüdeter, landkarten _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 103

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ unmotivierter trainer, der gelangweilt inhalte anbietet, von denen er selbst nicht weiß, ob sie überhaupt noch zutreffen, ermutigt die lernenden zum weghören. 2. die individuellen und kognitiven lernvoraussetzungen der lernenden lernen ist ein aktiver prozess der bedeutungserzeugung, der in unterschiedlichen gehirnen auch ganz unterschiedlich abläuft. eine/r kann sich hunderte telefonnummern leicht auswendig merken, aber keine namen. die andere verirrt sich häufig, hat also ein schlechtes räumliches gedächtnis, der dritte lernt am besten durch zuhören, der vierte muss etwas gelesen haben, der fünfte es zuhause nochmals überdenken, sich erst mal „ein bild machen“, ein weiterer lernt nur gut in gruppen, der andere braucht unbedingt seine ruhe usw. eigentlich müsste sich also der trainer/die trainerin auf den je besonderen lern- und gedächtnisstil von lernenden einstellen, um sie wirkungsvoll zum lernen anzuregen. in der schule dominiert aber beispielsweise nur ein bestimmter wissensvermittlungstyp, der keinesfalls allen schülern gut liegt. solche unterschiedlichkeiten und auch entwicklungsdefizite können genetisch bedingt sein oder vorgeburtliche, geburtliche oder nachgeburtliche ursachen haben – oder in defiziten im fürsorgeverhalten oder in anderen sozialisationsfaktoren begründet sein. zu wissen und dann wahrzunehmen, dass es solche unterschiedlichkeiten gibt, ist der anfang. sich bestmöglich darauf einzustellen ein weiteres zentrales, aber durchaus anspruchsvolles vorhaben für trainer*innen, weil die rahmensetzungen meist vom „durchschnittlichen“ teilnehmer/teilnehmerin ausgehen. der ist aber nie da. und sie auch nicht. da sind besondere menschen. 3. die allgemeine lernbereitschaft und motiviertheit der lernenden die lernsituation als solche muss dem lernenden in irgendeiner weise attraktiv erscheinen. die schnell belohnungserwartungen (für lernerfolg) entstehen. erfahrungen aus dem elternhaus, dass lernen etwas schönes und nützliches ist, erhöhen lernbereitschaft und die motiviertheit. lernen muss zudem als positive anstrengung empfunden werden. nachteilig ist eine zu kuschelige, verheerend eine angstvolle lernumgebung und –situation. klare regeln – z.b. der leistungsbewertung - fördern die allgemeine lernbereitschaft der teilnehmer*innen. „holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man sich bei dieser tätigkeit anstrengt und den erfolg sofort sieht." (albert einstein) 4. die spezielle motiviertheit der lernenden für einen bestimmten stoff, vorwissen und der aktuelle emotionale zustand es im gehirn (großhirnrinde und hippocampus) tatsächlich die bereitschaft zum lernen und die verankerung des lernstoffes im langzeitgedächtnis passiert, bekannt ist aber, dass die stärke des emotionalen zustandes, den lernende als begeisterung, interesse, gefesseltsein empfinden, mit der gedächtnisleistung positiv korreliert. das interesse der lernenden kann – abhängig von genetischen und frühkindlichen oder sozialisatorische einflussfaktoren – ganz unterschiedlich sein: was den einen brennend interessiert, das lernt er wie im fluge, was die andere nicht wirklich anspricht, damit tut sie sich schwer beim lernen. grundsätzlich gilt: in je mehr gedächtnisschubladen ein lerninhalt abgelegt werden kann, desto besser ist die erinnerbarkeit. hilfreich hierfür ist eine zunächst anschauliche und ist noch weitgehend unbekannt, wie genau lernerfahrungen schulischen tendenziell lassen _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 104

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ alltagsnahe, beispielhafte darstellung, die womöglich auch noch interessante details oder den erfahrungshintergrund der lernenden aktiviert. günstigstenfalls wird im sinne der erinnerbarkeit der stoff selbst erarbeitet und damit selbst durchdrungen. „pauken“ kann man – begrenzt – expertenwissen, klug wird man durch eine ausgeprägte vernetzung des wissens. 5. der spezifische lehr- und lernkontext die gedächtnisforschung belegt die bedeutung des jeweiligen lernkontextes. bei jedem inhalt, der gelernt wird, wird mitgelernt, von wem er und wo und wann er erlernt wurde. das heißt, dass der gestaltung des lernkontextes sehr entscheidende bedeutung für das zukommt, was gelernt wird. lustlose trainer*innen in abgewrackten seminarräumen mit schlechtem material und unerträglichen sitzmöbeln sowie konfliktträchtiger, abweisender oder krankmachender umgebung haben deshalb nur eine sehr geringe chance, dauerhaft im gedächtnis verankert zu bleiben. zu gerne werden solche erfahrungen wieder gelöscht oder verdrängt. zurück zum inhalt liebe „liebe als passion“ – so lautet der titel eines eigenwilligen und eindrucksvollen werkes von niklas luhmann aus dem jahre 1982 (vgl. luhmann 1994 und 2008). luhmann rekonstruiert darin liebe nicht als gefühl, sondern semantisch als eine besondere formgebung des sozialen, als ein symbolisch generalisiertes kommunikationsmedium. solche kommunikationsmedien sind semantische einrichtungen, „die es ermöglichen, an sich unwahrscheinlichen kommunikationen trotzdem erfolg zu verschaffen. ‚erfolg verschaffen’ heißt dabei: die annahmebereitschaft der kommunikationen so zu erhöhen, dass die kommunikation gewagt werden kann und nicht von vorneherein als hoffnungslos unterlassen wird“ (luhmann 1994, s. 21). „in diesem sinne ist das medium liebe selbst kein gefühl, sondern ein kommunikationscode, nach dessen regeln man gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf die konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende kommunikationen realisiert werden. (luhmann 1994, s. 23) liebe stellt in diesem sinne einen sprachlichen raum zur verfügung, um gefühlen ausdruck zu verleihen. dieser sprachliche raum ist mit dem code der liebe überschrieben. damit ist eine besondere qualität der kommunikation vorjustiert. das heißt nicht, dass sich die teilnehmenden an der kommunikation – im sinne einer tiefen verliebtheit - „gefühlsmäßig“ lieben. es heißt vielmehr, dass sie miteinander unter dem _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 105

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ signum einer liebevollen beziehungsgestaltung – sich gegenseitig das, was sie „liebe“ nennen, unterstellend - in kontakt gehen und sprechen. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? wenn interventionist*innen ihre professionellen beziehungen auf liebe hin beobachten und gestalten, stellen sie modellhaft eine dialogische qualität zur verfügung, die es erlaubt, gefühle, affekte und manchmal auch unsagbares zum ausdruck zu bringen. liebevolle kommunikation ermöglicht also etwas, was ohne liebe nicht – oder: nur anders - gesagt und getan werden könnte. liebe erschließt ein anderes niveau von zugängen zu sich selbst und zu anderen. liebe eröffnet und lässt verstehen, respekt und anerkennung auch von unterschiedlichem entstehen. liebe weckt interesse an unterschieden und nimmt ihnen die bedrohung. liebe bricht den widerstand und ersetzt ihn durch faszination am fremden und neuen. liebe steht für freiheit und abhängigkeit gleichzeitig. beides löst sich ineinander liebevoll auf – und wird gleichwie unwichtig angesichts dessen, was den verlässlichen kit der beziehung bildet. die so im medium liebe kommunizierenden können sich in diesem dialogischen raum ausdruck verleihen, sie können sich tiefer einbringen, sich tiefer einlassen, sich gegenseitig in ihren ressourcen fördern und fordern und finden vielfältige anregungen zum ausprobieren, experimentieren und probehandeln. denn sie wissen: sie können sich auf die liebevolle beziehung verlassen. letztlich bleibt liebe nicht in worte zu fassen. das erfahren wir oft – auch in lern- und veränderungsprozessen. wir verweisen dann – wenn es uns die sprache verschlägt – auf verwirrte gefühle. vielleicht ist eben auch das der besondere charme des kommunikationscode „liebe“ für berater*innen und leiter*innen: liebe stellt sicher, dass wir immer wieder hinreichend verwirrt sind – und unsere gegenüber auch. damit löst liebe eine angenehme form der (→) irritation aus. dann macht liebe es möglich, im liebevollen kontakt nach worten zu suchen, die dieser verwirrung angemessen ausdruck verleihen können. und weil der dialogische raum liebevoll weiter gestaltet wird, weil auf die liebe verlass ist auch wenn sie nicht zu fassen ist, wird die wahrscheinlichkeit erhöht, dass aus dieser irritation etwas brauchbares wird: veränderung, entwicklung. lernen. ein weiterer systemisch relevanter bezug taucht bei der spannenden frage nach der referenz des professionellen handelns auf. spannend, weil das systemische sich _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 106

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ diesbezüglich sperrig zeigt – sperriger als eine eindeutige emanzipatorisch begründete im sinne eines beliebigen subjektorientierung beispielsweise. sperriger auch relativismus, der eine eindeutige antwort auf die referenzfrage im ersatz des brauchbarkeitspostulates leugnet. woran orientiere ich letztlich mein professionelles handeln? eine antwort könnte etwa so lauten: ich weiß (im rahmen meiner möglichkeiten zu wissen), was ich tue, weil ich glaube, dass es das richtige ist, was ich tue, und ich hoffe, dass durch das, was ich tue (oder lasse) etwas geschieht, das für das system brauchbar ist, und dass es in der lage ist, dies für veränderungen, entwicklungen und lernen auch zu nutzen. und ich liebe natürlich diese arbeit, weil ich die menschen, die sie betrifft, insofern liebe, als dass ich ihnen zutraue, sich selbst zu entwickeln. deshalb arbeite ich mit ihnen in nahen in liebevollen beziehungen zusammen. das sind – nach kersting (1991, s. 114) – auch die drei alten sozialarbeitertugenden: glaube, hoffnung und liebe. und die bibel fügt im hohelied der liebe (1. korinther 13) hinzu: „die liebe aber ist das größte.“ zurück zum inhalt lösungsorientierung „der lösung ist die geschichte des problems egal.“ das ist ein lieblingssatz systemisch denkender interventionist*innen, der letztlich eine (→) haltung justiert, die relevant ist für diagnostik, hypothesenbildung und interventionsgestaltung. oft wird in unseren gewerken viel energie und zeit investiert, um „das problem erst mal zu verstehen“. dazu wird viel rekonstruiert und in der vergangenheit herumgestochert. das ist natürlich nicht verboten, wenn es denn hilft … nur: wozu? wenn es darum geht, die etablierung einer kultur der fehlerfreundlichkeit zu entwickeln, kann ein genauer diagnostisch rekonstruierender blick in die vergangenheit angemessen sein, um beispielsweise musterbildungen zu identifizieren, die zu fehlern oder zu fehlerminimierungen führten. oft wird die diagnose aber auch aus neugierde (nicht zuletzt der berater*innen) genährt oder aus der angst, eine lösung zu entwickeln, die gar nicht zum problem passt (huch!). auf einer metaebene führt dies nicht selten in eine problemtrance und in ein verharren im vergangenheits- und defizitbezug. das fühlt sich womöglich angesichts des mitleidvoll geäußerten _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 107

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ verständnisses auch schön warm und kuschelig an. der preis ist häufig eine verfestigung im blick zurück. das alles ist nett, manchmal interessant, gelegentlich auch erhellend – aber es ist (meistens) der lösung völlig egal. sie kann auch ohne all dies (oft viel schneller) ge- oder erfunden werden, wenn nur verfügbare ressourcen (fähigkeiten, kompetenzen, strukturen, prozesse usw.) mit blick in die zukunft in den blick genommen werden. und das damit einhergehende gefühl ist ein positives. das nützt der lösung und der wahrscheinlichkeit ihres wirksamwerdens. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? in einer systemischen, lösungsorientierten haltung werden verstärkt ressourcen, vorstellungen über ziele, mögliche handlungsalternativen und veränderungsoptionen gesucht. dadurch soll eine wiederholung hinderlicher muster vermieden und die selbstorganisation gefördert werden. folgende (→) fragen (die teilweise durchaus auch kleine blicke in die vergangenheit beinhalten) zeigen, wo die reise der lösungsorientiert operierenden systemischen interventionist*innen hin gehen kann: ➢ was sollte heute hier geschehen, damit sie am ende sagen: das war ein gutes gespräch? ➢ wie haben sie es geschafft, das problem nicht auftreten zu lassen? ➢ was möchten sie sich in der teamarbeit gerne bewahren so wie es ist? ➢ woran würden sie kommenden montag erkennen, dass das problem gelöst ist? ➢ wenn das problem plötzlich weg wäre, ... o o o ... was würden sie am nächsten montag anders machen? ... wer wäre am meisten davon überrascht – und was würde er oder sie sagen? ... was würden sie am meisten vermissen? _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 108

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ o … klassisch sind alle formen der wunderfrage geworden, die eine phantasiereise in eine ausschließlich positive zukunft ermöglicht. allerdings muss man und frau sich nicht wundern, wenn es dem klientensystem nur schwer gelingt, das so wundervolle wunder von den rosaroten wölkchen zu befreien, um dann manchmal doch etwas desillusioniert und ratlos der wunderbaren lösung nachzutrauern. lösungsorientierung ist also ein feinsinniges gewerk, denn der lösung ist die geschichte des problems egal, allerdings hat sie auch noch gar keine ahnung, wie sie in zukunft wirkt. insofern ist hier oftmals über skalierende, konkretisierende oder szenische formen so nachzujustieren, dass die lösung auch brauchbar wird. manchmal sind in diesem prozess hin zur lösungsorientierung auch paradoxe (→) fragen hilfreich, um die muster der vergangenheits- und defizitorientierung zu unterbrechen. ➢ was müssten sie tun, um ihr problem zu behalten oder besser noch: zu verschlimmern? ➢ wie könnten sie die anderen dabei unterstützen, ihr problem weiter – am besten bis zur unerträglichkeit - zu verschlimmern? ➢ was kann jede/r einzelne dazu tun, um dieses problem zuverlässig immer wieder neu herbeizuführen? ➢ wie müssten sie sich im team weiter verhalten, um von den anderen keinesfalls als kompetentes mitglied anerkannt zu werden? damit es denn zur lösungsorientierung und nicht in widerstand und andere abgründe des scheiterns führt, braucht es bei paradoxen fragen neben feinsinnigen (und das sind manchmal auch krasse und konfrontierende) formulierungen, vertrauen und eine stabile beziehungsdimension im beratungssystem. damit die lösung auch morgen noch kraftvoll zupacken kann. zurück zum inhalt möglichkeitssinn robert musil (1978) hat in seinem roman „der mann ohne eigenschaften“ den „möglichkeitssinn“ vom ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muss geschehen; „wirklichkeitssinn“ unterschieden. „wer _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 109

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ sondern er erfindet: hier könnte, sollte oder müsste geschehen; und wenn man ihm von irgendetwas erklärt, dass es so sei, dann denkt er: nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. so ließe sich möglichkeitssinn geradezu als die fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“ (musil 1978, s. 16) so weit, so schön. gerade angesichts der multioptionsgesellschaft, die uns mit einem permanenten überschuss an möglichkeiten versieht, ist das doch ganz prima: noch mehr möglichkeiten. na bravo. der möglichkeitssinn versorgt aber natürlich auch mit möglichkeiten, möglichkeiten mal wegzulassen, sie zu verschieben, sie im nacheinander statt in der gleichzeitigkeit zu ordnen, zu verbinden, sie zu vernetzen, zu koordinieren und auch mal: zu verwerfen. das ist die idealtypische ressource des möglichkeitssinns, die ich – der autor als (selbst-) beobachter im einsatz! - sehr schätze. sie bringt mich aber auch gelegentlich in die bredouille, wenn es mal wieder (zusätzlich zu dem, was leben und arbeiten gerade so bieten an möglichkeiten) noch eine neue, eine andere, momentan sehr attraktive möglichkeit gibt (und es keine möglichkeit zu sein scheint, diese wegzulassen, zu verschieben usw. – kein gedanke daran). der möglichkeitssinn ist eben ein ermöglicher. er ermöglicht viel – und menschen, die ihn sehr ausgeprägt haben, wissen immer, was (auch noch) zu tun – und seltener: zu lassen – sein könnte. denn, ja es könnte auch immer noch ganz anders sein (→ kontingenz). die ideen dieses mannes ohne eigenschaften sind nichts als „noch nicht geborene wirklichkeiten“. deshalb hat er natürlich auch „wirklichkeitssinn“, „aber es ist ein sinn für eine mögliche wirklichkeit (...)“ (musil 1978, s. 16). das bedeutet für die umwelt dieses mannes (und für ihn selbst auch): „ein solcher mann (und das gilt auch für frauen, anmerkung fo) ist keineswegs eine sehr eindeutige angelegenheit.“ (musil 1978, s. 4/5) was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? wenn das allerdings gut klappt, dann ist dieser mann oder diese frau jemand, dem- oder derjenigen es gelingt, die ganzen wunderbaren möglichkeiten, die ihr und ihm so einfallen in einen inneren dialog mit dem wirklichkeitssinn zu bringen. das ist dann ein dialogisches korrektiv. der wirklichkeitssinn, den ich meine, ist ein bedürfnissinn, der manchmal auch den möglichkeitssinn stoppt: es wird unmöglich! wird nicht gemacht. ganz bestimmt nicht. keine anschlussfähigkeit, wenn neben der sach- auch die zeitdimension (→ zeit) zur (→) selektion und (→) entscheidung hinzugezogen wird. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 110

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ dieser wirklichkeitssinn achtet darauf, dass die möglichkeit, die daherkommt und womöglich – weil sie neu ist und/oder auch von anderem ablenkt – blendet, zu den bedürfnissen passt – und vor allem: kein der jeweiligen person wichtiges und zentrales bedürfnis verletzt wird. das ist manchmal bitter für möglichkeitsenthusiasten wie mich, aber es erdet in dem, was die jeweilige „realität“ verträgt und verkraften kann. es kann beispielsweise noch so eine tolle möglichkeit sein, diesen zusätzlichen auftrag bei diesem neuen attraktiven auftraggeber zu machen, wenn die räumlichen arbeitsbedingungen nicht stimmen, dann wäre das grundlegende bedürfnis, qualitätsvoll zu arbeiten, verletzt. ich lasse es also (schweren herzens) bleiben. und natürlich besteht in meinen bürowochen die möglichkeit, zusätzlich zum vollen kalender, mal eben was neues anzufangen, z.b. ein neues schreibprojekt. da meldet sich dann der bedürfnissinn zu wort im inneren team und weist höflich aber bestimmt darauf hin, dass die bedürfnisse nach entlastenden zeiten bei bewegung, im kontakt und das bedürfnis nach wirklich „freien“ zeiten gerade (mal wieder) untergebuttert werden von der möglichkeit, sich beim schreiben zu erfinden und: zu verlieren. der wirklichkeitssinn, der ein bedürfnissinn ist, kann es sich in solchen situationen auch manchmal nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass ich ja wissen würde, wo sowas enden kann: im zusammenbruch und dem, was heute „burn-out“ genannt wird. „und das willst du ja nicht wirklich nochmal?“ will ich nicht, mensch - der ist aber gnadenlos, herrje! hat aber (mal wieder) recht. wenn ich meine bedürfnisse achte und beachte, dann tut mir das gut – und meiner zeitlichen situation auch. meiner umwelt tut es übrigens nicht immer gut. wenn ich zum beispiel „nein“ sagen muss – was ich gelernt habe, zugewandt zu formulieren (also mit interesse, klarheit des nein, begründung und einer alternative). dann bin ich raus aus der nummer und das finden manche zeitgenoss*innen nicht witzig. ich lache mich ja auch nicht kaputt, ich weiß aber durch meinen etwas penetranten bedürfnissinn, was geht und was nicht (mehr) geht. punkt - und nein, lieber möglichkeitssinn, das könnte nicht anders sein, sicher also kein gedankenstrich, den ich so gerne mag, statt des punktes. nein. punkt. um mich selbst vor rückfällen zu schützen, greife ich manchmal auf einen heute im unternehmenskontext gerne genommene praxis zurück: outsourcing. da gibt es dann abends oder am wochenende den fragencheck durch eine sehr vertraute person nach zu kurz gekommenen, ungesehenen oder mal wieder verletzten bedürfnissen. auch nicht immer schön, aber oft wichtig im sinne einer (nicht nur) zeitlichen stimmigkeit. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 111

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ klientensystem in positiver absicht etwas zumuten, das wertvoll gemacht werden kann. dies sagbar zu machen, braucht mut im sinne eines vertrauens in die wirksamkeit der starken intervention. und es braucht die bereitschaft, die wirkung der derart mutig vorgetragenen zumutung auszuhalten – und als information statt als kränkung zu behandeln. und dann mutig weiter zu arbeiten. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? wenn deutlich wird, dass das klientensystem feststeckt und andere möglichkeiten der irritation ausgeschöpft sind bzw. nicht (mehr) zur verfügung stehen, ist es zunächst einmal mutig, zu entscheiden, diese lücke nun via der eigenen person und einer verbalen oder auch methodisch arrangierten zumutung zu schließen. ziel muss es bleiben, dem klientensystem dadurch neue perspektiven zu ermöglichen. das kann ihm z.b. aus der komfortzone heraushelfen. mut bedeutet dann auch, grenzen bewusst zu überschreiten, um z.b. paradox zu konfrontieren. „wozu brauchen sie ihr problem denn eigentlich? was profitieren sie davon? welchen gewinn haben sie davon?“ mut braucht es auch für den bewussten gebrauch von berater- oder leiterbeobachtungen oder (→) provokationen. davon kann bei stabilen und belastbaren beziehungen zwischen berater*in/leiter*in und klienten gebrauch gemacht werden, z.b. indem beobachtungen zwischen wahrgenommen unstimmigkeiten von verbalem und nonverbalem ausdruck mitgeteilt werden („sie haben jetzt bei der schilderung des trennungsgesprächs mehrfach laut aufgelacht.“). oder sie kramen ihren mut zusammen, um provokante, übertriebene, spöttisch-witzige, ironische oder sarkastische sprachformen zur verbalisierung der beobachtung zu nutzen, damit ratsuchende und lernende – irritierend - aus der reserve gelockt werden. „ich beobachte ihr etabliertes und erprobtes lieblingsmuster, das wir schon öfters reflektiert haben. bevor sie überhaupt mit der situationsschilderung fertig sind, haben sie schon dreimal gesagt: ‚und wenn ich das jetzt mal so reflektiere ...’ mir scheint, sie tauchen schon wieder ins schützende reflexionsnirvana ab, damit sie bloß nix aktiv zu tun brauchen ...“ diese form der arbeit mit beobachtungen benötigt neben mut vor allem eine gute balance von (→) nähe und (→) distanz auf einer wertschätzenden – wie kersting es betont: „liebevollen“ – beziehungsbasis. und ja: mut ist mit (→) liebe gut ausgestattet – und gut geschützt vor übermut. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 113

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ zurück zum inhalt nähe „nahe genug“. diese formel steht „für eine beziehung, die auf abstand wert legt, ohne die beziehung aufkündigen zu wollen“ (baecker 2008, s. 625). wenn jeder rationale akt in unserem gehirn durch eine vorgeschaltete emotion gesteuert ist, dann ist „nähe“, die solche positiven emotionen – jedenfalls günstigstenfalls – auslöst, ein hilfreiches konzept. nun sind unterschiedliche nähe-verhältnisse denkbar: das einer liebesbeziehung unterscheidet sich von dem einer schüler*innen-lehrer*innen-beziehung oder von der virtuellen nähe in zeiten sozialer distanzierung in der corona-krise. letztlich ist die justierung „echter“ nähe davon abhängig, welche funktion sie hat. soll sie liebesakte ermöglichen, lernprozesse oder begegnungen unter bedingungen, die begegnungen einschränken? es ist davon auszugehen, dass die funktionalität von nähe allen beteiligten (jedenfalls implizit) klar ist. seminarteilnehmer*innen werden nicht erwarten, beim lernen im stuhlkreis die intimität eines liebesaktes vorzufinden. nähe, gedacht als mit (→) liebe gestaltete (stimmige!) beziehungsqualität, ist eine wichtige ressource für systemisches handeln. sie löst positive emotionen aus, sie eröffnet, sie macht vieles leichter, sie entlastet, sie gibt sicherheit. wenn nähe allerdings asymmetrisch justiert ist, kann das zu beziehungsstörungen führen. wenn zu viel nähe angeboten oder gar aufgedrängt wird, dann kann das auf der anderen seite zu ist – neben der distanzierungsbewegungen und abgrenzungen funktionalität – das jeweilige bedürfnis des gegenübers eine zweite wichtige referenz für die gestaltung von nähe. und das je eigene selbstverständlich auch. insofern ist „nahe genug“ die zutreffende formel für das, was angemessen erscheint im systemischen kontext von beratung, trainieren und leiten. damit ist zum ausdruck insofern führen. gebracht, dass die beziehung wichtig genug ist, um über einen gewissen abstand erhalten zu werden. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? (→) lernen oszilliert zwischen nähe und distanz. beides wird benötigt, um neuen (→) sinn zugänglich zu machen. nähe reizt und lockt mit dem ermöglichenden vertrauen und macht die prüfoperationen auf anschlussfähigkeit (statt abwehr) wahrscheinlich. (→) _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 114

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ distanz ist voraussetzung für die sinnbestimmt reflexive deutung. dazu ist das heraustreten aus der situation notwendig, um diese reflexiv deuten zu können. das braucht den blick und den sinn aus der distanz, den die nähe zwar (zuvor) ermöglicht hat, ihm aber jetzt im wege stehen würde. was dabei geschieht ist eine spiegelung, nämlich die der äußeren distanz der reflexion – und manchmal auch der spekulation - in eine innere distanz der systeme zu sich selbst. dies erst erlaubt dem system – person oder gruppe - die reflektierte position eines spielens mit seinen/ihren kontingenzen (willke 1992, s. 40). und das ist ein lernvorgang zwischen nähe und distanz, die sich gegenseitig brauchen. es ist ein spannungsgeladener lernvorgang, weil das eine zugleich die zumutung für das andere darstellt. aber diese zumutung ist zuständig für den oszillierenden wechsel, der nötig ist, um zu lernen. auch in einer zweiten deutung oszilliert lernen zwischen nähe und distanz: es ist die nähe bzw. die distanz zwischen interventionist*innen und klient*innen. nahe beziehungen ermöglichen über entstehendes vertrauen lernen, weil unsicherheit und angst reduziert werden und offenheit erhöht werden kann. andererseits gibt es eine realistische distanz zwischen interventionist*innen und klient*innen, eine sachliche, eine zeitliche und eine soziale. die erste ist über expertenwissen eingezogen, die zweite darüber, dass beide nicht immer gleichzeitig anwesend sind beim leben, arbeiten und lernen, die dritte ist über die rolle und funktion im lernprozess eingezogen. es gibt auch bei nahen beziehungen ein hierarchiegefälle, das auch nicht verschleiert werden sollte, da es die distanz absichert, die nötig ist, um differenziert wahrnehmen und deuten zu können. leiter*innen, die sich als „bessere teilnehmer*innen“ oder gerne auch als „gleiche“ inszenieren und kumpelhaft agieren, die den teilnehmer*innen in keiner freien minute von der seite weichen, die sie umgarnen und umschlingen, sich permanent um sie kümmern und ihnen immerzu ‚helfen’ wollen, verstellen damit lernchancen, indem sie wichtige distanzierungsnotwendigkeiten verhindern. deshalb: nahe genug ist nähe genug! zurück zum inhalt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 115

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ neutralität in manchen systemischen kreisen ist immer wieder davon zu hören und zu lesen, dass berater*innen möglichst „neutral“ oder „allparteilich“ sein sollten. wie soll das gehen? wie soll ein beobachter, der notwendigerweise aus einer bestimmten position beobachtet „neutral“ sein? wie soll unser gehirn, das emotionsgesteuert ist, „neutral“ sein? sinn macht die kategorie der neutralität nur, wenn sie mit einem hinweis auf die referenz ja den neurobiologen folgend versehen ist, also: neutral mit bezug auf was? in einem mediationssetting ist es sinnvoll, neutralität in bezug auf die positionen der konfliktparteien zu wahren – und in diesem sinne klärend wirken zu können für beide parteien, damit eine lösung wahrscheinlicher möglich wird. von schlippe/schweizer (1999, s. 120) unterscheiden neutralität gegenüber personen, gegenüber den problemen oder symptomen und gegenüber ideen und weisen zuvor darauf hin, dass neutralität zuerst nicht eine frage der absicht, sondern eine frage der wirkung ist. wenn nach der beratung unklar ist, auf wessen seite der berater bzw. die beraterin gestanden ist, dann hat sich er oder sie vermutlich so verhalten, dass eine „neutrale“ wirkung entstehen konnte. das ist hilfreich für die nutzung derjenigen (lösungsorientierten) ressourcen, die aus (→) autonomie und selbstverantwortlichkeit des klientensystems entstehen können. verbandelungen und verbündungen der berater*innen werden das eher ins gegenteil verkehren. ungünstigstenfalls ist das klientensystem verwirrt oder noch schlimmer: es macht sich vom beratersystem abhängig. neutralität heißt insofern sicher auch nicht distanzierte emotionslosigkeit, eher ein ausgewogenes und immer wieder neu justiertes (→) nähe- (→) distanz-verhältnis. neutralität heißt auch nicht, dass berater*innen nicht ihre meinung sagen dürfen. dies kann unter bestimmten umständen für allerlei irritierende und klärende wirkungen hilfreich sein. eher geht es bei positionierungen darum, die neutralität zurückzugewinnen. im lexikalischen duktus formuliert: „neutralität in der systemischen arbeit leitet sich ab aus den konzepten des konstruktivismus, der autopoiesis oder selbstorganisation von systemen und der kypernetik („kunst des steuerns“) 2. ordnung. der begriff beschreibt eine haltung der anerkennung verschiedener meinungen, sichtweisen, handlungsweisen in einem system, …“ (wirth/kleve 2012, s. 287/288) damit wird sichergestellt, dass einerseits die jeweiligen sinnkonstruktionen akzeptiert, gesehen und gedeutet werden können und anderseits, dass irritationen mit blick auf diese und ihre unterschiedlichkeit _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 116

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ nicht-trivialität heinz von foerster (1988 und 1992) hat uns die unterscheidung von „trivialen“ und „nicht- trivialen maschinen“ beschert und damit eine differenz angeboten, die für (→) interventionen in nicht eindimensional-kausal strukturierte systeme bedeutungsvoll ist. eine „triviale“ maschine wird durch eine „wirkungsfunktion“ bestimmt: y = f(x) die wirkung f der ursache x. das bedeutet, dass aufgrund der y ist eine funktion verknüpfungsfunktion der maschine eine gewisse ursache oder eingabe eine gewisse ausgabe oder wirkung zur folge hat. diese input-output-relation ist nicht abhängig von einer bestimmten situation, sondern ist synthetisch-deterministisch. solche trivialen zusammenhänge gibt es womöglich in einer klassischen produktionsmaschinerie, z.b. in der herstellung von fertigpizzen. immer die gleichen zutaten, immer der gleiche vorausberechnete verarbeitungsprozess und dann immer das gleiche – leider auch geschmacksneutrale – ergebnis. im gegensatz dazu errechnet sich bei „nicht-trivialen-maschinen“ im falle der eingabe eines eingangssymbols (x) ein ausgangssymbol (y) aus der wirkungsfunktion (f), die jedoch vom inneren zustand (z) der maschine abhängig ist: y = fy(x, z) „am ende der operation errechnet die maschine nun den nächsten internen zustand (z') gemäß der zustandsfunktion z' = fy(x, z). das heißt, ein einmal eingegebenes eingangssymbol mag später nicht mehr dasselbe ausgangssymbol hervorrufen: die operationen der maschine sind von den operationen ihrer vergangenheit abhängig.“ (v. foerster 1988, s. 24) die eingabe ist durch eine „black box“ gegangen, deren verarbeitungsleistung im hinblick auf den angestrebten output nicht kalkulierbar und nicht kontrollierbar ist. wenn wir es als systemische interventionist*innen mit menschen mit gehirnen und kommunikationen in teams und gruppen zu tun haben, dann sind dies eben solche „black boxes“, die sich letztlich unserem intendierten kalkül nicht erschließen. auch nach sorgfältig erwogenem input geschieht etwas zwischen den ohren oder in der kommunikation, das vorab nicht „trivial“ voraussagbar oder gar berechenbar ist. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 118

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ operationen „operationen sind ereignisse, die mit ihrem vorkommen schon wieder verschwinden und nicht wiederholt werden können. operationen sind zeitpunktmarkierte (datierte) ereignisse, denen nur andere ereignisse folgen können. das heißt nicht zuletzt, dass ereignisse nur als differenz beobachtet werden können, also nur im system eines vorher und nachher, durch das sie produziert und identifiziert werden." (luhmann 1992a, s. 37) mit dem begriff der operation wird damit die reproduktion eines elements eines autopoietischen systems mit hilfe der eigenen elemente verstanden. reproduktion durch operation ist aber nicht die „wiederholung der produktion des gleichen, sondern reflexive produktion, produktion aus produkten“ (luhmann 1993, s. 79). das heißt auch, dass die gemeinte stabilisierung des systems keine statische, sondern eine dynamische ist. es geht nicht um die rückkehr zu einem stabilen zustand, sondern um die herstellung von systemstabilität durch operationen in der zeitdimension (→ zeit). das bedingt immer wieder neue, jeweils einzigartige operationen als reproduktion der ereignishaften elemente des systems. diese operationen als vorgänge der reproduktion und veränderung des systems werden an bestimmte, zeitlich zu markierende systemzustände angeschlossen. es muss einerseits anschlussmöglichkeiten geben, andererseits müssen die operationen anschlussfähig sein. (→) anschlussfähigkeit qualifiziert die möglichkeit, dass es „sinn“-voll weitergeht im hinblick auf unterschiedliche möglichkeiten des weitergehens. an eine operation ist also über unterschiedliche anschlussfähigkeiten eine größere zahl von (folge-) operationen anschließbar. an die operation der zahlung sind weitere zahlungen anschließbar, an die der kommunikation weitere kommunikationen und an operationen des lernens sind weitere lernprozesse anschließbar. dies deutet darauf hin, dass unterschiedliche anschlussfähigkeiten selektionsprozesse erfordern, um weitere operationen anzuschließen. es muss entschieden werden, welche zahlung als nächstes erfolgt bzw. welche kommunikation angeschlossen wird. diese notwendige (→) selektion benötigt beobachtbare differenzen auf der grundlage von unterscheidungen, die durch die unterschiedlichkeit der anschlussfähigkeiten zu identifizieren sind. dieser selektionsprozess wird dadurch erleichtert, dass etwas mehr oder weniger bestimmtes ausgeschlossen werden kann. damit ist gewährleistet, dass nicht permanent von vorne angefangen werden muss. es bedeutet einen zeitgewinn, denn es kommt nicht mehr alles in betracht für die sinnfindung. die selektion im sinne einer anschlussfähigkeit für operationen erfolgt auf der basis des vorjustierten zwecks des systems. „es gibt kein _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 121

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ system ohne eine für das system spezifische operationsweise, aber andererseits gibt es keine operation ohne ein system, dem sie zugehört. nach der theorie der autopoiesis muss alles, was existiert, auf die operationen eines systems zurückgeführt werden.“ (baraldi/corsi/esposito 1998, s. 123) ein ökonomisches system selektiert im sinne von gewinnmaximierung, ein erziehungssystem im sinne von verhaltensänderung, ein bildungssystem im sinne von subjektiven ermöglichungsspielräumen, ein politisches system im sinne von machterhaltung und ein ökologisches im sinne der bewahrung natürlicher ressourcen und lebensbedingungen. der zweck qualifiziert die tendenz zur systemerhaltung und -stabilisierung in einer bestimmten weise. er bestimmt die wirkungen, die ein system anstrebt. die zweckerfüllung zur erhaltung des systembestandes ist ein selektionskriterium, dass die anschlussfähigkeiten von operationen engführt (→ organisation). und dennoch … „die operationen verlaufen immer blind.“ (ebd.) was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? „sinn gibt es ausschließlich als sinn der ihn benutzenden operationen, also auch nur in dem moment, in dem er durch operationen bestimmt wird, und weder vorher noch nachher.“ (luhmann 1997a, s. 44) wenn es sinn also nicht als aus einer schöpfung oder einem ursprung entstandene „weltqualität“ gibt, sondern nur als produkt von operationen, dann macht es sinn, diese operationen zu beobachten, um eine idee davon zu bekommen, wie ein bestimmter sinn in einem system zustande kommt. zudem macht es sinn, zu beobachten, wie sich psychische und soziale systeme in ihren operationen selbst beobachten. denn „psychische und soziale systeme bilden ihre operationen als beobachtende operationen aus, die es ermöglichen, das system selbst von seiner umwelt zu unterscheiden – und dies obwohl (und wir müssen hinzufügen: weil) die operationen nur im system stattfinden können“ (ebd., s. 45). weitergedacht wird ein system für sich selbst unkalkulierbar. es oszilliert in einem zustand der unvorhersehbarkeit zwischen aktualität und possibilität. „es konfrontiert sich selbst mit einer für es selbst unbestimmbaren zukunft, für die gleichsam anpassungsreserven für unvorhersehbare lage gespeichert sind“ (ebd., s. 46). insofern ist es hilfreich (beobachtend) zu erkunden, in welchen operationen ein system sich - sich selbst beobachtend - sinn gibt, wie es sich (er-) findet, weitererfindet – oder auch anders oder neu zu erfinden in der lage ist. welche operationen stecken hinter _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 122

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ dem, was wir als handlung beobachten? damit sind systemische interventionist*innen mittendrin im berater*innen-gewerk: sinnfindungs- und sinngebungsprozesse zu erkunden und diese dem intervenierten system zugänglich zu machen, damit es in künftigen operationen darauf zurückgreifen kann. mittendrin bedeutet übrigens: mittendrin in der justierung der grenze von (→) identität und (→) differenz. identitätsfragen sind sinnfragen an der grenze von system und umwelt. wie bin ich (sprich: wie kann ich mich beobachten)? und wie will ich werden (sprich: wie werde ich mich künftig beobachten können)? und: an welchen mustern orientieren sich diese beobachtungen? und: wie passt diese innere welt zur jeweils (heute oft als instabil beobachteten) äußeren welt? das sind allesamt fragen, deren antworten nicht auf der ebene von handlungen verbleiben, sondern darunterliegende muster ansteuern - und die insofern „die haltung hinter der handlung“ in den blick nehmen. systeme dabei zu unterstützen, ihren operationen auf die spur zu kommen und sich selbst (anders) beobachten zu können, das macht sinn für systemische ;-) höhenflug interventionist*innen. und dann bekommt der bodensicht. und ist kein blindflug mehr, sondern ein sichtflug - übrigens auch einer „auf zeit“, indem vergangenheiten beobachtet werden („wieso?“) und mögliche zukünfte („wozu?“). das klärt häufig die aktuell und gegenwärtig anschlussfähigen operationen. (systemtheoretische zurück zum inhalt organisation (organisationale systeme) „organisation“ wird hier als eine auf entscheidungen abstellende, besondere form von kommunikation in sozialen systemen verstanden. die besonderheit basiert auf dem organisationalen „kit“, dem organisationalen zweck, der dieser form der kommunikation einen (→) sinn vorgibt. insofern wird im vergleich zur systemart der (→) sozialen kommunikationssysteme eine konservierte vorabeinschränkung der möglichkeiten der kommunikation im sozialen system vorgenommen. das heißt nicht, dass in einer betrieblichen (profit-) organisation nicht auch über liebe, recht oder glauben gesprochen wird – es heißt aber schon, dass letztlich dieses „gerede“ in dem zweck der generierung von anschlusszahlungen und mehrwert geerdet ist. wenn es diesbezüglich zweckdienlich ist, dann ist es „sinnvoll“ – und ob es dies ist, darüber wird in organisationen viel geredet. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 123

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ damit konstituiert eine organisation ein operatives kommunikationsnetzwerk von (→) entscheidungen. durch dieses netzwerk wird die aufrechterhaltung und das weiterbestehen derjenigen prämissen gewährleistet, „unter denen die entscheidungen kommuniziert werden können“ (baecker 2003, s. 153). insofern wird in einer organisation kommunikativ nach solchen problemen gesucht, die zu denjenigen lösungen und entscheidungen passen, die sie selbst bereithält. diese form der kommunikation ist eine „erfindung“ sozialer systeme im hinblick auf die erhaltung ihrer selbst – das ist die nach innen gerichtete perspektive. in einer nach außen gerichteten perspektive werden bestimmte inputs (ressourcen) mittels der organisation (throughput) zu solchen outputs (dienstleistungen, produkte) verarbeitet, die von der relevanten umwelt des systems als brauchbar akzeptiert werden (vgl. wimmer 2004, s. 33). ein solches organisationales system ist insofern eine einheit, die durch grenzen zur umwelt (immer wieder neu) beschrieben wird (insofern auch der systembegriff angebracht ist), die nach innen durch eine relativ stabile struktur bestimmt ist und nach außen einen bestimmten zweck verfolgt. dazu konserviert das organisationale system entscheidungen und andere routinen in strukturen und strukturierten prozessen. ohne die anwesenheit und die „beteiligung“ (→) personaler systeme ist eine organisation ebenso wenig zu denken, wie ohne die operation der (→) kommunikation. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? organisationale system sind für den von uns in den blick genommenen anwendungskontext nicht nur für den anwendungsfall der organisationsberatung und - entwicklung bedeutungsvoll, sondern auch, um einen ganzheitlich systemischen blick auf das lern- oder beratungsgeschehen einnehmen zu können – insbesondere angesichts der erstarkten „macht“ der organisationen in ihren heutigen neuen formationen. diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie das klassische steuerungsparadigma aufgeben (wollen) und die überlasteten organisationen durch die kräfte von selbstorganisation und vernetzungen dynamisieren wollen. solche organisationsformationen sind oft nicht zu (er- ) fassen – und verflüchtigen sich zudem sprachlich in immer neuen flexibilisierungs-, agilitäts- und changeeinredungen. zudem macht der oben beschrieben blick auf organisationen die zuschreibungen von eindeutiger „rationalität“ brüchig und zweifelhaft. er ermöglicht einen blick auf die irrationalitäten, dilemmata und paradoxien, die organisationen (notwendigerweise) _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 124

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ „produzieren“. und dieser blick ermöglicht es, diese den mitgliedern der organisation und deren sozialen subsystemen zugänglich zu machen – und damit und daran „reflexiv“ zu arbeiten. dilemmata und irrationalität in organisationen (kühl 2002, s. 70ff) organisationen „produzieren“ in ihrem reproduktionsgeschehen immer auch widersprüchlichkeiten und dilemmata, z. b.: ➢ die fremdorganisierte – meist zentralistische - einführung von – dezentraler – selbstorganisation führt ins „sei-selbstständig-dilemma“. oder anders: mit mehr abhängigkeit zu mehr autonomie. ➢ dezentralisierung fördert die innovationsfähigkeit. hinderlich ist sie aber für die durchsetzbarkeit von innovationen. dadurch wird ein „innovationsdilemma“ markiert. ➢ ins „fettpolsterdilemma“ dagegen führt die widersprüchliche dynamik, dass reserven zur innovation zugleich formen der selbstbehinderung darstellen. ➢ wäre eine organisation erfolgreich in ihrem lernen, dann würden dadurch auch muster etabliert, die für spätere lernprozesse hinderlich sein könnten. dies führt ins „lerndilemma“. ➢ das „standardisierungsdilemma“ besagt, dass kompetenzverlagerung in dezentrale einheiten zuallererst standardisierung benötigen. ➢ wenn das management entscheidet, dass es entscheiden lässt –produziert es damit allzu oft das „entscheide-selbst-aber-nur-unter-vorbehalt-dilemma“. ➢ die von oben herbeigerufene selbstorganisation trifft auf die bereits existierende selbstorganisation und bedroht diese – heraus kommt dabei das „organisier-dich- selbst-aber-nicht-so-dilemma“. damit erscheinen organisationen ihren mitgliedern und auch außenstehenden häufig irrational. diese „irrationalität“ ist indes die normalität der organisation, weil sie dadurch, dass sie sinnvolles für ihre zwecke hervorbringt immer auch gleichzeitig hinderliches hierfür erzeugt. diese gleichzeitigkeit von sinnhaftigkeit und widersinnigkeiten, von rationalität und irrationalität ist u.a. begründet in denjenigen dynamiken, die bei den organisationsmitgliedern und in deren interaktionen dadurch entstehen, dass die organisation „funktioniert“. die dadurch entstehenden zumutungen lösen mikropolitische spiele um macht und abgrenzung aus. indem die organisation funktioniert, behindert sie ihre mitglieder, die sich damit revanchieren, nunmehr die organisation zu behindern. durch diese dynamik versorgt sich die organisation allerdings auch mit der notwendigkeit, sich als organisation immer wieder neu organisieren zu können und zu müssen. es führt zu immer neuen organisationsveränderungen. die organisation sorgt dadurch für sich selbst und nicht mehr nur für den zweck, für den sie einst eingerichtet _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 125

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ denn im medium der bildung erfolgt (durch lernen) formbildung und gleichzeitig zerfallen auch formen - und dem zerfall wird mit bildung begegnet.“ der „wert“ des oszillierens besteht darin, den doppelcharakter des (→) lernens begrifflich zu integrieren und die vereinbarkeit von gegensätzen anzuzeigen. damit wird das element der (→) differenz – das zum oszillieren dazugehört wie die henne zum ei – festgeschrieben. oszillieren ist der begriff für eine dritte betrachtungsweise zur auflösung der unvereinbarkeit, die entsteht, wenn ein wirklichkeitsausschnitt auf zwei unterschiedliche arten beobachtet wird. dieser wirklichkeitsausschnitt, z.b. eine praxissituation von führungskräften oder eine schwierige gruppensituation, gerät in die differenz zwischen aneignung und ablehnung. er wird gleichzeitig positiv gewertet (und wird anschlussfähig) und er wird auch negativ gewertet (und wird abgelehnt). das system kommt in widerspruch mit sich selbst und seiner position (schöppe 1995, s. 194ff). was geschieht? nichts? (das wäre erwartbar, weil das fortschreiten der beobachtung blockiert ist und die oszillation zur reinen selbstreferenz wird.) nein! der widerspruch wird dadurch aufgelöst, dass man/frau sich wechselweise auf die ein oder andere seite schlägt, denn es ist implizit klar, dass etwas geschehen muss, um den widerspruch aufzulösen. das durch die differenz von position und widerspruch verunsicherte system zwingt sich temporär begrenzt zur sicherheit. es sieht sich mal hier und mal dort um und switcht dabei zudem hin und her. der anschluss, der durch den widerspruch ausgeschlossen wurde, findet „trotzdem“ – zunächst quasi virtuell - statt. und hier beginnt die lernchance. warum? „aus dem blickwinkel von erwartungen, deren aufgabe es ist, anzuzeigen, was eine sinnlage in aussicht stellt, bedeutet dies die komplette verunsicherung des systems, da ihre anzeigefunktion außer kraft gesetzt wird. (...) die anreicherung kommt einer sensibilisierung gleich, die gespannt macht (eine metaerwartung sozusagen), was als nächstes folgt, da „nicht feststeht, welche der sich wechselseitig ausschließenden möglichkeiten gewählt wird“ (luhmann 1984, s. 503), sie bestehen weiterhin gleichwertig. (...) immer dort wo kommunikation abzuebben droht, ist widerspruch einsetzbar. (...) die feuerwehr widerspruch wird demgemäß überall da eingesetzt, wo’s brenzlig riecht, allerdings ad hoc, ohne vorwarnung.“ (schöppe 1995, s. 197/198) der widerspruch in einem system – in einem bewusstseinssystem oder in einem sozialen interaktionssystem – warnt und alarmiert. er zerstört augenblicklich die ordnung des systems, versetzt es in unordnung. und dann kann es anders weitergehen, als es bisher hätte weitergehen _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 127

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ können und sollen. „widersprüche werden deshalb oft als promotoren der systembewegung angesehen oder gar als antriebsstruktur einer dialektischen entwicklung.“ (luhmann 1993, s. 502) dieser widerspruch als (→) störung (orthey 1999, systemzeiten und störungen.doc) eröffnet dadurch neue möglichkeiten, indem in einem weiteren schritt das oszillieren reflexiv wird. damit gibt es neue möglichkeiten der weiterentwicklung. wird der prozess des oszillierens und auch der des veränderten oszillierens reflexiv, also auf einer metaebene der deutung und musterinterpretation wieder zum gegenstand einer oszillierenden prüfung zwischen aneignung und ablehnung, dann kann gelernt werden. oszillieren bedeutet damit immer das kreuzen einer inneren grenze und zwar sowohl in der aktion, z.b. zwischen position und widerspruch (s.o.), als auch in der reflexion, z.b. zwischen anerkennung und ablehnung. das erste oszillieren – quasi eine prüfoperation – konstituiert noch nicht notwendigerweise einen lernprozess. erst durch das element der reflexion wird eine dritte position im raum markiert, die eine neue betrachtungsweise auf den widerspruch ermöglicht. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? angesichts paradoxer wirklichkeitsbeobachtungen erscheint es sinnvoll, mit erklärungsmodellen zu operieren, die die (→) paradoxie zulassen und die nicht versuchen, den widersprüchlichen widerspruch aufzulösen. niklas luhmann (1996) wendet die figuren des oszillierens auf pädagogische kommunikationen an und klärt uns über die funktion des „oszillators“ auf: „der oszillator erzeugt zeit durch eine art flip/flop- verfahren. selbst bei noch so stabilen präferenzen kann keine festlegung für den nächsten moment ihr gegenteil ausschließen. die einheit des flip/flop ist wiederum die paradoxie; aber sie erscheint als paradoxie nur, wenn man von der zeit abstrahiert.“ (ebd., s. 287) die figur des oszillierens ist – angewandt auf das lernen – mit der paradoxie gekoppelt. bezüglich des (→) lernens als einer form, die heute zunehmend häufiger von personen und organisationen bemüht wird, um mit widersprüchen und paradoxien zurecht zu kommen, erscheint daher der begriff des „paradoxillierens“ (orthey 2006, s. 195ff) angemessen. denn lernen oszilliert innerhalb von zum teil paradox ausgewiesenen differenzen. in diesem oszillieren gibt es dabei die gleichzeitigkeit von bewegung, also der schwingung des oszillierens, und ruhe, also der markierung einer seite der differenz. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 128

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ dies ist paradox. lernen eint bewegung und ruhe als differenz. lernen bringt das oszillieren, das als zustand äußerster unruhe unterhalb des erlebens abläuft, in balance. indes hat der begriff des „paradoxillierens“ bei allem verdacht auf modischen neuwert einen bestimmten reiz: er bezeichnet die deutung, dass die aneignung der welt via lernen nur durch gleichzeitige ablehnung eines anderen teils der welt erfolgt. lernen oszilliert innerhalb der paradoxen differenz von aneignung und ablehnung, die sich ihrerseits auf aktualität und potentialität bezieht. und selbst wenn das ergebnis – gemeinhin als „lernerfolg“ - form annimmt, also (→) „sinn“ macht und in individuelle und kollektive sinnbestände integriert wird, wenn es also eindeutig markiert werden kann, auch dann schlittern wir oszillierend in die nächste paradoxie: lernen ist ein steigerungsprinzip. es ist angelegt auf die überprüfung des gelernten im hinblick auf notwendigkeiten des anschlusslernens. „daher kann es keine oszillationsfreie zukunft geben. so wie vergangenheit durch unabänderlichkeit so ist die zukunft durch oszillation markiert.“ (luhmann 1997b, s. 65) für interventionist*innen bedeutet dies: schätzt und nutzt die nicht auflösbaren widersprüche als lern- und veränderungschancen. lasst euch in unruhe bringen, eine alternative gibt es in dem geschäft sowieso nicht. betätigt liebevoll die oszillatoren der intervenierten systeme und geratet dabei selbst in ein lebendiges oszillieren. es gibt sehr viel langweiligeres - und wenig lebendigeres. zurück zum inhalt paradoxien paradoxien können verstanden werden als „die einheit dieser differenz von möglichkeit und unmöglichkeit: die aussagen sind wahr und gleichzeitig deswegen unwahr. paradoxien sind die gleichzeitigkeit, die einheit einer unterscheidung und damit zunächst unentscheidbar. paradoxien fordern aufgrund der unentschiedenheit zum erneuten und nach möglichkeit anderen nachdenken auf. es werden andere unterscheidungen notwendig“ (littmann/jansen 2000, s. 16). der entscheidende vorteil von paradoxien ist ihre unentschiedenheit. unentschiedenheit zwingt den oder die unentschiedene innezuhalten und nochmals über die anstehende entscheidung nachzudenken. dadurch verzögern paradoxien und schaffen einen wertvollen zeitverlust (ebd., s 19). _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 129

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ (→) lernen ist ebenfalls ein solch „wertvoller zeitverlust“. die „wertschöpfung“ des zeitverlustes durch lernen ist dann besonders groß, wenn die (→) komplexität des lernens die komplexität der umwelt des lernens mit vollzieht, sich also der mehrdeutigkeit und der paradoxie stellt und sie nicht trivialisiert. „wertvoll“ wird dieser zeitverlust, weil er die basis und grundlage für lernprozesse sein kann, wenn er produktiv genutzt wird. paradoxie-tauglichkeit wird damit zum entscheidenden merkmal für lernfähigkeit. dies ist zudem dadurch begründet, weil auch die wirklichkeiten in (→) organisationen sich zunehmend als paradox konstituiert darstellen. littmann/jansen (2000) arbeiten dies für virtuelle organisationen heraus. damit werden paradoxien – die „orthodoxie unserer zeit“, so luhmann - für die organisationstheorie kultiviert. die autoren koppeln sie in ihrer wortschöpfung des „oszillodox“ mit dem begriff des (→) oszillierens. dies hat für ihr vorhaben konzeptionell den vorteil, dass damit „oszillodoxe organisationen“ erklärbar werden: organisationen, die paradoxien nicht einseitig aufzulösen versuchen, sondern die in ihnen oszillieren können (ebd., s. 21) – wie dies bei virtuellen organisationen zwischen schärfe und unschärfe beobachtbar ist. „die paradoxie zeichnet grundsätzlich eine zunächst unangenehme mischung zwischen selbstbezüglichkeit und unentschiedenheit aus.“ (ebd., s. 16) beispiele solcher paradoxien sind dezentralisierung – (re-) zentralisierung (das klassische paradox der organisation), konzentration – diversifikation, kooperation – wettbewerb, hierarchie – heterarchie, flexible kleinheit – mächtige größe usw. das kernparadoxon der organisation besteht darin, dass sie „im wettbewerb durch eine stabilisierung der wandelfähigkeit innovationsprozesse routinisieren, indem sie sich ihre (ebd., s.18). hoher und dynamischer umweltkomplexität wird mit gesteigerter binnenkomplexität begegnet. identität durch veränderung erhält“ paradoxien können diesbezüglich als promotoren für systembewegungen verstanden werden, sie haben alarmierungsfunktion und sie aktivieren das immunsystem des unternehmens, der organisation. „oszillodoxe organisationen“ sind paradoxietaugliche „sowohl-als-auch-organisationen“: sie müssen in paradoxien oszillieren können. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? lern- und veränderungsprozesse auf die hier skizzierte systemische perspektive hin zu denken, bedeutet, lernen ebenfalls paradoxietauglich zu machen, es bedeutet, das „sowohl-als-auch“ in seinem sich selbst konstituierenden widerspruch nicht aufzulösen, _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 130

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ sondern es stehen zu lassen und es zur ressource zu machen im hinblick auf lernen und entwicklung. das braucht eine (dritte) position im raum, von der aus die paradoxie gesehen und entfaltet werden kann, damit sie in einem reflexionsprozess produktiv gemacht werden kann: z.b. durch die aufrechterhaltung unterschiedlicher (widersprüchlicher) handlungsmöglichkeiten, die sich gegenseitig genug zumutung sind, um als prüfoperation oder als befragungsinstanz für die je andere vorgehalten werden zu können. dadurch kann beispielsweise eine angemessenere (→) entscheidung getroffen werden. es wird also nicht für dieses oder jenes entschieden, sondern beides wird im widerspruch belassen und weiterlaufen gelassen. statt zu entscheiden, wird eine neue sichtweise auf dieses und jenes entwickelt, die eine perspektive eröffnet, die sich aus dem nicht auflösbaren widerspruch ergibt: so entstehen neue lösungen, produkte, geschäftsfelder und dienstleistungen - ohne die ressourcen des bisherigen verloren zu geben. in diesem lern- und entwicklungsprozess, der einen wertvollen zeitverlust markiert, werden unterschiedliche, widersprüchliche oder paradoxien markierende möglichkeiten vergleichzeitigt. das erlaubt und ermöglicht es, zwischen ihnen zu schwingen, zu pendeln – und das heißt: nicht nur zwischen den beiden polen hin und her zu schwingen, sondern diese bewegung derart vorzunehmen, dass es gelingt, an beiden enden gleichzeitig sein – oder zumindest denken – zu können: (→) oszillieren (orthey 2006, s. 192ff). zurück zum inhalt paradoxe intervention für den kontext von beratung und leitung erscheint die unterscheidung von linearer und paradoxer (→) intervention hilfreich. „lineare intervention arbeitet gegen das system, um es zu seinem glück zu zwingen, während paradoxe intervention mit hilfe des systems eine neue identität des systems generiert.“ (willke 1994, s. 189) lineare interventionen, das sind z.b. „mehr-desselben“-konzepte, die nicht die je spezifische innere systemlogik und -dynamik berücksichtigen. paradoxe interventionen (vgl. orthey 2006, s. 721 – 726) sind durch ihre erfolge in der familientherapie (selvini-palazzoli u.a. 1977) ins blickfeld systemischer theorie- und interventionsüberlegungen gerückt. ihnen wird im kontext systemischer beratungs- und _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 131

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ therapieansätze ein hoher stellenwert beigemessen, gelegentlich werden sie sogar generell mit „systemischen“ interventionen gleichgesetzt. paradoxe interventionen sollen mit königswieser/exner (1999, s. 37) als all jene interventionsformen verstanden werden, „die entgegen den erwartungen des klientensystems darauf abzielen, dem klientensystem zu signalisieren: sie können sich nur ändern, indem sie so bleiben wie sie sind, oder sie können nur so bleiben, wie sie sind, indem sie sich ändern“. paradoxe interventionen drängen nicht, sondern sie überlassen es dem irritierten klientensystem, selbst eine gegenposition zur intervention auszutragen. die aufforderung: „sauf’ dich doch zu tode!“ kann eine aus der irritation der bestehenden zuschreibungen an den therapeuten oder die beraterin gewonnene abgrenzung von diesem appell provozieren: „dir werde ich es zeigen, das schaffst du nicht, mich in den tod zu treiben!“ der paradoxen intervention geht es insofern nicht darum, alles oder nichts zu verändern, „sondern kreative alternativen zu ermöglichen“ (ebd.). gegenüber direkten und indirekten interventionen (wie z.b. zirkuläres fragen, geschichten erzählen usw.), bei denen die eigenleistung des intervenierten systems deutlicher ins spiel kommt, wird bei einer erfolgreichen paradoxen intervention genau das gegenteil von dem erreicht wird, was angeblich erreicht werden sollte. das intervenierte system entkommt der ausgelösten irritation nur dadurch, dass es sich durch ein gegenparadoxon aus seiner verzwickten situation befreit. widerstand gegen die intervention ist nur möglich durch aufgabe des thematisierten symptoms, die beibehaltung dieses symptoms ist nur durch die aufgabe des widerstandes möglich. die interventionisten können sich anhand paradoxer interventionen einreden, dass sie die kontrolle über das system besitzen: entweder das system „gehorcht“ der anweisung oder verschreibung – dann macht es dies auf „befehl“ des therapeuten hin, oder es grenzt sich ab und macht das gegenteil – dann kann der interventionist einen interventionserfolg verbuchen (kersting 1991, s.129). paradoxe interventionen - das sind insofern eingriffe, die bereits auf die reaktion des systems auf die (→) irritation hin konzipiert werden. es sind auch eingriffe, die spielerisch mit dem systemischen spiel umgehen. helmut willke: „systemische entwicklung (...) setzt auf die anstrengung adäquater modellierung und die leichtigkeit selbst gewählter veränderungspfade. sie nimmt zur kenntnis, dass im „normalfall“ die lösung das problem ist und verwendet deshalb enervierende sorgfalt auf die rekonstruktion des problems. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 132

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ihre lösungen zielen nicht auf eine trivialisierung des problems, sondern darauf, sich geradezu von selbst zu empfehlen, wenn erst einmal kontext und komplexität des problems deutlich geworden sind.“ (willke 1994, s. 189) es geht dabei um die spiegelung der „äußeren distanz (spekulation, reflexion) in eine innere distanz der systeme zu sich selbst, die ihnen die reflektierte position eines spielens mit ihren kontingenzen erlaubt“ (willke 1992, s. 40). paradoxe interventionen sind musterbrechende ereignisse, die das system dazu anregen, sich mit sich selbst, seiner konstitution und seiner veränderung zu beschäftigen. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? mit der möglichkeit paradoxer interventionen zu denken und zu handeln, öffnet zunächst den reflexionshorizont der intervenierenden und verstellt möglichkeiten eines zu einfachen denkens und handelns. es macht es zudem nötig, sich eingehend mit der innenperspektive des intervenierten systems zu beschäftigen. es eröffnet damit neue, andere möglichkeiten, die auch hilfreich sein können, wenn (dann letztlich doch) nicht paradox interveniert wird. denn ohne eine (→) diagnose bzw. (→) hypothesen zu den systembildenden mustern, fehlt die grundlage für wirkungsvoll zu konzipierende paradoxe interventionen. paradoxe interventionen arbeiten gezielt mit dem konzept der (→) irritation. sie akzeptieren damit die ausschließliche selbststeuerungsfähigkeit des intervenierten systems in radikaler weise – obschon sie ihre wirkung zunächst über dessen (→) provokation erzielen. häufig benannte formen und spielarten paradoxer interventionen sind: ❖ (symptom-) verschreibungen (königswieser/exner 1999, s. 38, simon/rech-simon 2000, s. 281, kersting 1991, s. 129/130) von den interventionist*innen wird das symptomatische verordnet, z.b., dass immer der vorgesetzte schuld daran hat, wenn es nicht gut läuft im team. durch diese symptomverschreibung wird häufig eine auseinandersetzung mit dem symptom angeregt, es werden diagnosen und analysen im durch diese intervention irritierten system gemacht, und damit wird eine andere qualität erreicht als stereotyp und immer wieder den schuldigen zu behaupten. hintergrund hierfür ist die annahme, dass symptome eine funktion in und für die kommunikation haben. sie stellen eine musterhaft etablierte form der verständigung in einem system dar, anhand derer _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 133

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ kommunikative anschlüsse, abgrenzungen oder die bestätigung wichtiger reproduktions- oder störmechanismen organisiert, stabilisiert und verfestigt werden. symptome haben einen bestimmten nutzen für das system, z.b. von anderen themen abzulenken, sich oder indem sie nun „verschrieben“ werden, ist der weg zu einer neukonstruktion offen. denn das bisher spontan aktualisierte symptomatische muster wird nun bewusst herbeigeführt, das jemanden anderen zu schützen usw. bislang unkontrollierte wird nun geplant. dadurch ändert sich der charakter und die bedeutung des symptoms. ❖ umdeutungen und reframing durch das (→) umdeuten wird erreicht, dass die innere sicht des intervenierten systems in einem anderen licht erscheint. der rahmen wird verschoben und die welt erscheint anders: das „problem“, sich zu hoher emotionalität zu bezichtigen und dadurch nicht hinreichend analytisch sein zu können, wird dadurch gelöst, dass es zur „ressource“ umgedeutet wird, die es ermöglicht, analytisch genauer sein zu können. dadurch wird die zugängliche eigenkomplexität des systems erhöht, das system kann beweglicher, flexibler und selbst-bewusster mehr deutungsoptionen wählen – und ist nicht mehr an eine einzige gebunden und in ihr gefangen. dies bedeutet gelegentlich auch eine entdramatisierung, „weil im kontext verschiedener logiken auch scheinbar dramatische ereignisse normal sein können. aus schuldigen werden helden, aus chaoten werden kreative, aus sturheit wird stärke, aus dominanz wird verantwortung, aus paranoia wird verzicht usw.“ (königswieser/exner 1999, s. 39). ❖ splitting (simon/rech-simon 2000, s. 282, königswieser/exner 1999, s. 39) gibt es unterschiedliche, widersprüchliche oder konfliktäre anteile an einer situation, so können interventionist*innen dies in form einer rollenteilung im beratungssystem deutlich machen. ein solches splitting kann praktisch (wenn berater*innen alleine arbeiten) einem „einerseits/andererseits“-(abschluss-) kommentar realisiert werden. wenn mehrere berater*innen zusammenarbeiten, können die unterschiedlichen anteile von „zwei-seelen-in-meiner-brust-“ einem oder in unterschiedlichen personen übernommen werden. in gruppencoachingsituationen können mitglieder der beratungsgruppe dies rollenteilig ausagieren, indem z.b. die anteile „abwertung“ und „anerkennung“ miteinander in ein streitgespräch (und damit in kontakt) gebracht werden oder die spaltung im team zwischen solidarisierung und abgrenzung repräsentiert wird. ein splitting kann auch die „innen-/außen-differenz“ _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 134

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ repräsentieren, indem z.b. ein berater eine innengruppe moderiert, ein anderer dies von „außen“ beobachtet und im anschluss an die sequenz diese eindrücke zur verfügung stellt. durch solche interventionen, die spaltungen aufgreifen und nicht auflösbare widersprüche strukturell reproduzieren, kann das klientensystem mit den unterschiedlichen anteilen oder den widersprüchen und ambivalenzen einer situation oder eines falles in kontakt gebracht werden, ohne unter dieser spaltung und unterschiedlichkeit leiden zu müssen. anfangs durch die gespiegelte „realität“ der spaltung irritiert, kann das system dies leichter annehmen und die unterschiedlichen seiten respektieren und akzeptieren. ❖ auf die seite der nichtveränderung gehen (simon/rech-simon 2000, s. 282) insbesondere in situationen, in denen interventionist*innen z.b. im beratungsprozess stark auf der seite der veränderung aktiv waren und sich für entwicklung engagiert haben bzw. auch in solchen situationen, in denen euphorien oder sehr starke „aufbruchstimmungen“ spürbar werden, ist es häufig hilfreich, gegen ende des prozesses bzw. der sitzung auf die seite der nichtveränderung zu gehen. so kann z.b. im abschlusskommentar deutlich gemacht werden, welche plausiblen gründe es gibt, dass die veränderung nicht eintreten wird, es kann vor der veränderung gewarnt werden, eine verlangsamung des prozesses kann angeraten werden oder es können rückfälle ins alte muster „verschrieben“ werden. kritisch kann die ethische dimension derartiger interventionen betrachtet werden. wird statt des systemisch funktional gut zu begründenden nutzens von verschreibungen und paradoxen interventionen eine eher auf die selbstbestimmtheit des subjektes und dessen wertschätzung ausgerichtete sichtweise in anschlag gebracht, tauchen fragen nach hierarchie, nach abhängigkeit, nach manipulation oder gar der „terrorisierung“ des paradox intervenierten systems auf. „verantwortungsvoll“ mit der paradoxen intervention umgehen, kann insofern nur heißen, solche kritischen fragen präsent zu halten und sie immer wieder als prüfoperation bei der interventionsplanung und -gestaltung mitlaufen zu lassen. insofern solche oder ähnliche fragen angemessen erscheinen, möchte ich besonderen wert auf die bedeutung der „positiven konnotation“ des gesamten klientensystems bezogen auf das symptom und seinen nutzen legen (kersting 1991, s. 129, königswieser/exner 1999, s. 40). die akzeptanz des positiven wertes, der wertschätzung _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 135

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ des nutzens des (bisher als problematisch etikettierten) musters ist einerseits der erste schritt zur veränderung, andererseits wird damit auch eine ressourcenorientierte und nicht eine defizitorientierte sichtweise gegenüber dem gegenstand der intervention und dem angestrebten lernprozess zum ausdruck gebracht. auch die intervention selbst sollte – bei allem unverständnis und bei aller (beabsichtigter) irritation – positiv gewertet werden können. dies setzt ein stabiles gewachsenes, vertrauensvolles, nahes und belastbares verhältnis zwischen interventionist*innen (leiter*innen, berater*innen, trainer*innen) und klientensystem voraus. daraus wird sich für die interventionist*innen auch eine angemessene einschätzung bezüglich der wirksamen stärke der störung ableiten lassen, die die paradoxe intervention auszulösen in der lage ist. eine zu starke störung würde das system womöglich im widerstand abwehren und z.b. die beratungs- oder lernbeziehung abbrechen – wobei es zwar der „beziehungsfalle“ der paradoxen intervention nicht entgehen würde, in seinen entwicklungsmöglichkeiten jedoch eingeschränkt bliebe. insgesamt gilt für die konzeption, anlage und begleitung von irritierenden, insbesondere von paradoxen systemischen interventionen, dass ein hohes maß an wertschätzender beziehungsqualität interventionist*innen und klientensystem zentral ist für die angemessenheit und die viabilität des in gang gesetzten (lern-) prozesses. laut lehrbuch von arist von schlippe und jochen schweitzer (von schlippe/schweitzer 1999, s. 31) „berichteten sowohl selvini palazzoli als auch boscolo und cecchin, dass sie die paradoxie als interventionstechnik wesentlich seltener einsetzten …, da deutlich wurde, welche verändernde kraft bereits im zirkulären fragen und in den kommentaren steckt, die allein über die fragetechnik die familie mit einer neuen sichtweise konfrontieren". (→ fragen) zurück zum inhalt pentagrammatik wie da noch durchblicken? wie nichts vergessen? wie komplexe interventionen planen, ihre wirkungen beobachten, sie evaluieren, anpassen, weiterentwickeln? wie (den eigenen) blinden flecken auf die schliche kommen? wie schattenseiten (von was?) _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 136

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ pentagramm. pentagrammatisch agierende interventionist*innen handeln orientiert an den dimensionen des fünfecks zielgerichtet in der grundannahme, dass es keine „richtigen“ (→) entscheidungen zu treffen gilt, sondern möglichkeiten, szenarien zu entwickeln und hierfür entscheidungen im probierstil zu entwerfen. die stellen sie unter revisionsvorbehalt und richten sie an lernmöglichkeiten für das intervenierte system aus. und daran, dass sie mehr wahlmöglichkeiten zugänglich machen als vernichten. all dies tun sie getragen vom vertrauen in die selbststeuerungspotenziale von personen, gruppen, teams und organisationen, bewegt von echtem interesse an den beteiligten systemen und mit viel achtsamkeit und sensibilität, in aller (→) bescheidenheit, aber auch mit der nötigen inneren und äußeren klarheit. das ist die (→) haltung. entscheidend für die selbstwirksamkeit der interventionist*innen ist die stimmigkeit und passung dieser möglichkeiten zur eigenen person. passe „ich“ zu den möglichkeiten, die es in den fünf dimensionen für mich gibt? jede der gleichlangen seiten des fünfecks steht für eine derjenigen dimensionen, auf die sich beratungs-, leitungs- und steuerungsarbeit – jeweils unter spezifischen umweltbedingungen – beziehen kann. die dimensionen stehen insofern für diejenigen handlungsfelder, jeweils in denen beratungs-, leitungs- und steuerungsarbeit konkretisiert wird. und ja: oftmals sind die dimensionen und handlungsfelder auch verwoben, vernetzt. umso wichtiger, sich auszukennen. im inneren des fünfecks bilden die jeweiligen dimensionen fünf (gleichgroße) dreiecke, die das hinter der jeweiligen dimension liegende „territorium“ des jeweiligen themas markieren. systemische interventionen im fünfeck haben die entwicklung der jeweiligen dimension im blick, sie bringen von dort aus kräfte in bewegung (die sich dann auch auf andere dimensionen beziehen und in ihnen auswirken können). dies ist das modellhafte idealbild, das für eine zwar anzustrebende, nichtsdestoweniger aber – wenn überhaupt - nur kurzzeitig zu erreichende balance steht. pentagrammatische konversationen unter berücksichtigung aller dimensionen unter bestimmten umweltbedingungen zeichnen sich durch eine dynamische verlagerung der interventionen im fünfeck aus. beratungs-, leitungs- und steuerungsarbeit setzt nicht nur kräfte in bewegung, sie ist selbst in bewegung. sie entsteht in kommunikativen akten immer wieder neu. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 138

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ rahmenbedingungen von beratungs-, die gestaltung leitungs- für und steuerungsaktivitäten. dies gilt einerseits im großen, gesellschaftlich-globalen wie andererseits im kleinen, dem gestaltbaren rahmen. beratungs-, leitungs- und steuerungsarbeit berücksichtigt die elemente und ereignisse aus der relevanten umwelt angemessen bzw. gestaltet sie im kleinen rahmen als kontext, der förderlich für die (gemeinsame) arbeit wirkt. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? systemisch denken, beraten und leiten bedeutet vor allem: durch das fünfeck genau sein zu können in (→) diagnose und handlung. und es bedeutet, auf der basis einer systemisch zugewandten, neugierigen und aufmerksamen (→) haltung die komplexität der beobachtungswelt im fünfeck handhabbar zu machen und sie damit für komplexe handlungsanforderungen nutzen zu können. es bedeutet zudem, ihr in den entstehenden konversationen eine berührende und sinnstiftende (→) sprache zu geben. deren (penta-) grammatik ist das fünfeck. diese grammatik kann ganz nützlich sein, aber auch ein wenig verrückt (→ verrücktheit). zurück zum inhalt person (personale systeme) außen ist die welt. auf der innenseite zeigt sich das psychische system als ein operativ geschlossenes system. „und das weiß man denn auch: das denken allein ändert nichts an der außenwelt, sondern nur sich selbst.“ (luhmann 1991, s. 167) das psychische system erzeugt in seinen selbstbezüglichen operationen ein bewusstsein von sich selbst. insofern kann es auch als bewusstseinssystem bezeichnet werden. im kontext von beratung und leitung erscheint die „form der person“ relevant. die form der person ist die überformung psychischer systeme, die der strukturellen koppelung sozialer und psychischer systeme dient. die form der person ermöglicht es den psychischen systemen, „am eigenen selbst zu erfahren, mit welchen einschränkungen im sozialen verkehr gerechnet wird“, also ein soziales „o.k.“ zu haben, bzw. im abweichenden fall, die form „einer im system noch handhabbaren irritation“ (luhmann 1991, s. (→) systeme erhalten von personalen systemen einerseits 174/175). soziale _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 142

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ annimmt. der plan setzt natürlich auf vollzug des plans und nährt diesen wunsch durch eine präzise systematik und genauigkeit. und tatsächlich passiert (hoffentlich jedenfalls) meist etwas, das den plan zu verwirklichen scheint. aber es passiert eben immer auch gleichzeitig etwas anderes, etwas widerständiges, etwas, das zum beispiel darauf abzielt, zu zeigen, welche mängel der plan hat oder dass der plan so nicht funktionieren kann und wird. gewinnt der widerstand die oberhand über den vollzug, wird der plan ad absurdum geführt. dann braucht es eine planänderung. und das spiel beginnt von vorne. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? planung und ihre produkte, die pläne, blenden mit komplexitätsreduktion und verheißen damit einfachheit, machbarkeit, übersichtlichkeit - und solche sachen eben, die wir uns ersehnen, weil sie unseren tiefliegenden sicherheitsbedürfnissen entsprechen. im grunde unseres herzens (so nennen wir ja oft das, was wir nicht lokalisieren können) wissen wir um den illusionscharakter der planungen und pläne. denn wir wissen auch, dass sich widerstand regt, weil pläne, so schön einfach und genau sie auch erscheinen mögen, uns in unserer (zeitlichen) autonomie einschränken – und in unserer lebendigkeit, die einem anderen (inneren) plan folgt. sie folgt unseren gefühlen und bedürfnissen, die etwas anderes sind als rationale konstrukte – auch wenn sie noch so differenziert sind wie beispielsweise die raffinierten planungen systemischer interventionist*innen. pläne ebnen besonderheiten und unterschiedlichkeiten ein, tun so, als gäbe es so etwas wie den durchschnittsmenschen, der dann aber erstaunlicherweise nie da ist. es sind nur besondere menschen da. und einigen von ihnen passt der plan nicht. sie sind eingeschränkt in kreativität und lebendigkeit. anderen hilft die klare struktur und ordnung. sie leben auf und freuen sich über die „perfekte planung“. und diese und (beispielsweise) „dienst gemäß andere kommen dann zusammen und machen dienstplan“. das hat oft – nicht nur zeitlich – prekäre und grenzwertige auswirkungen. die einen sind im vollzug, die anderen in unterschiedlichen phasen des widerstands. na bravo. und darüber wird gesprochen, viel gesprochen. das braucht auch seine zeit: sprechen über die planung. das wurde und wird ja in pandemiezeiten auch gerne genommen, dass die (impf- und schnelltest-) planung (meist in ihren defiziten) in den blick genommen und kritisiert wird. manchmal braucht es beim leben und arbeiten – auch bei systemischen interventionist*innen - so etwas wie eine zeitliche synchronisation, weil beispielsweise die _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 144

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ seite der ambivalenz. dadurch wird der patient provoziert, den vernünftigen, den geraden und psychologisch angepassten teil des gesprächs zu übernehmen.“ (vgl. kersting 1999, s. 256/257) in farrellys worten: „der provokante therapeut präsentiert ihnen (den klienten; erg. f.m.o.) lösungen, die teilweise sehr absurd und übertrieben wirken. das provoziert den klienten, die unrealistischen ideen und einfälle des therapeuten zu brauchbaren, verwirklichungsfähigen ideen umzudefinieren und somit eigene ‚wege’ zu entwerfen.“ (ebd., s. 263) kersting bietet in einem theaterbild folgende – hier ergänzte - szenenfolge für das theaterspiel einer provokativen beratung an (vgl. kersting 1991, s. 127/128): im ersten akt fühlt sich das zu beratende system häufig überrascht oder verunsichert, fühlt sich wenig wertschätzend oder gar unverschämt behandelt durch die provokation. das irritiert das erwartungssystem (an die beratung). zudem sind oft anflüge von scham oder ärger zu beobachten, wenn sich der klient ertappt fühlt bzw. meint, der berater oder die beraterin sei ihm auf die schliche gekommen. dies gefühl ist auch mit der überraschung verbunden, vom berater/der beraterin verstanden zu werden. hier entsteht nähe – und bei aller keimenden abwehr – oft auch zuneigung. diese ambivalenz von gefühlen mündet gelegentlich in einer lustvollen rauferei. vorhang. auf der basis der entstanden nähe sind es im zweiten akt differenzierungsprozesse, die aufgeführt werden. protest und auflehnung, verbunden mit der schärfung von grenzen und rollen im beratungssystem und der unangenehmen oder belastenden erkenntnis, dass in diesem spiel nur eine seite für die veränderung zuständig ist (und das ist nicht diejenige der beratung). dem zu beratenden system schwant, dass es ziemlich langweilig weiter im kreis herum gehen wird, wenn es nicht selbst aktiv in die rolle geht. hier entsteht rollenklarheit im theater, personen bekommen klare konturen und es wird klar, wer welche funktion übernehmen kann und muss, damit das stück weiter spannend, interessant und erfolgreich wird. im dritten akt hebt sich der vorhang zum höhenpunkt des schauspiels. lautes protestgeschrei des ratsuchenden bzw. des intervenierten systems. es aktiviert seine kräfte gegen die beratung, um zu beweisen, dass diese ihm unangemessen war. jetzt steht die je eigene deutung im mittelpunkt – „a star is born“. die systemischen selbstheilungskräfte sind geweckt und vorbehaltlos aktiviert. der berater als „böser bube“ - bzw. sie als ebensolches mädchen - hat es (an-) gerichtet. die guten wissen sich schon selbst zu helfen. und sie tun es. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 146

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ im vierten akt geht es darum, das irritiert und mühsam gelernte zu integrieren. das zu beratende system bezieht dies nicht nur auf die selbstveränderung, sondern auch auf das beratungs- oder lernsystem. wenn er oder sie provoziert, werden derart durchschaute berater*innen liebevoll belächelt und es wird ihnen signalisiert, dass dies überholt ist und wenig wirksam. dem letzten vorhang entgegensehend, wird das verhältnis der akteure oft liebevoll. sie haben sich zusammengestritten und die nun entstehende harmonie taugt gerade noch für ein stimmiges schlussbild, nicht aber mehr für neue (→) irritation, die für neue spannung und neue erkenntnis sorgt. den akteuren wird klar, dass ein nächster akt die dramaturgie des stückes verderben würde. sie durchschauen sich zu gut und werden zu gut durchschaut. und diese vorjustierung der beobachtung führt bestenfalls auf eine meta-ebene. die aktion wird hingegen langweilig. nichts neues mehr. es ist zeit, schluss zu machen, den neuen star allein auf der bühne zu lassen und bescheiden (ja bitte!) abzutreten. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? dieses bild weist darauf hin, dass interventionen z.b. in beratungs- und anderen systemisch relevanten lernsettings durchaus (provokant) inszeniert werden können. dabei sollte auch die ihnen eigene theatrale dynamik reflektiert werden (welches bühnenbild und welche szene bringe ich mit?). das system, das sich z.b. beratung einkauft und sie sich damit selbst verschreibt, hat schließlich dafür gezahlt, eine aufführung zu bekommen, die den aktualisierten zuschreibungen entsprechen. warum also nicht damit „spielen“ – sie z.b. überpointiert bedienen oder gar gezielt enttäuschen oder unterlaufen. der irritationswert solcherlei „theaters im theater“ (so greift kersting auf shakespeare zurück) ist nicht zu unterschätzen. es kann dadurch zu einem kreativen und von beiden seiten raffiniert gestalteten prozess der inszenierung kommen, in dem sich die funktionslogik des intervenierten systems spiegelt. der große vorteil: die anteile an der irritation sind gut verteilt, auch das klientensystem ist beteiligt. es gestaltet mit, und gewinnt lust daran, sich selbst spielerisch zu irritieren – bis es sich sattgesehen hat an diesem theater (und sich von ihm abwendet). „im seminar habe ich erlebt, dass der „klient“ bei der rückmeldung zum rollenspiel zum „therapeuten“ sagte: „mit diesem bild vom wolf im schafspelz hast du mir sehr gelungen mein zu hohes anspruchsniveau gezeigt!“, worauf der therapeut höchst überrascht sagte: „echt? das war gar nicht meine absicht!“ (höfner 2011, s. 54) _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 147

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ neben verbal mehr oder weniger raffiniert angelegten (liebevollen) provokationen führt der weg zur anschlussfähigkeit von provokationen für die klient*innen oft über die methodische gestaltung. eine solche methodische variante, dem lern- oder beratungssystem provokante oder konfrontierende diagnosen und hypothesen niederschwellig zugänglich zu machen, ist das „reflecting-team“. dies bietet sich insbesondere in beraterisch angelegten lernsettings an, z.b. im gruppencoaching (wallner 2003). um sich vom verfahren ein bild zu machen, eignet sich die gerne berichtete geburtsstunde des „reflecting-teams“. familientherapeutischen situation beriet sich das therapeutenteam im raum hinter dem einwegspiegel über das in einer klientensystem. dabei war versehentlich der lautsprecher ins klientenzimmer aktiv geschaltet. das klientensystem erhielt also kenntnis von der expert*innen-sicht der therapeut*innen in der auseinandersetzung mit seinem fall. eine solch distanzierte sicht auf den lern-prozess macht diesem wichtiges metawissen zugänglich. das reflecting- team, das z.b. aus nicht involvierten beobachtenden berater*innen bestehen kann, wird nach einem prozessschnitt aktiviert und tauscht sich dann zeitlich begrenzt über das gesehene und gehörte aus. dies steht – mit häufig überraschenden und irritierenden erkenntnissen - damit für die fortsetzung der beratung zur verfügung. dieses verfahren eignet sich besonders deshalb, weil es dem klientensystem ermöglicht, sich auf der basis des gehörten selbst eine interne und reflexiv angelegte außensicht zurechtzulegen und diese brauchbar zu machen. auch szenische elemente stellen spontan und ohne großen aufwand zu arrangierende methodische möglichkeiten dar, um andere erfahrungs- und problemebenen zugänglich zu machen – und auch, um diese im schutz der bühne provokant zuzuspitzen. ich verwende sie insbesondere im team- oder gruppencoaching, indem ich von den jeweiligen protagonisten kurz szenen beschreiben, die beteiligten personen „eindoppeln“ lasse und dann diese szene als impro-rollenspiel anspielen lasse. mit formen szenischer auswertung von rollenspielen (berg, ritscher, orthey u.a. 2002, s. 33) können diese dann verändert werden, es können verschiedene handlungsoptionen ausprobiert, durchgespielt und auf die erzeugten resonanzen (z.b. durch „introspektionen“, „wahre gedanken“ oder „doppeln“) überprüft werden. das erbringt diagnostische wertschöpfung und veränderungsoptionen, die bereits „angetestet“ worden sind. zudem sind diese schon in der wahrnehmung über ihre bildhaftigkeit – und nicht nur über sprache – sinnlich verankert. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 148

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ auch spontane – kurz (und provokant) angeleitete - szenen können es ermöglichen, dass ungesagtes und unsagbares auf den tisch (die bühne) kommt. in der erweiterungsphase in gruppencoaching (wallner 2003) und praxisberatung (schulz von thun 1999) bittet der leiter die vier mitglieder der beratungsgruppe (außer der fallbesitzerin) in eine ecke des raumes: „da stehen sie nun kaffee trinkend und rauchend in der sonne, die teammitglieder, die eben den ausbruch ihrer chefin erlebt haben. welches gespräch könnte dort entstehen?“ … „hat die heute auf den boxerhandschuhen geschlafen?“ – „eher wohl schlecht …“ – „oder vielleicht auch gar nicht …“ – „die ist überlastet und schwer überfordert als alleinerziehende mutter mit homeschooling im eigenen elternhaus, ich bitte dich …“ – „da würde ich auch wahnsinnig werden …“ – „die steht kurz vorm burn-out …“ – „da mache ich mir echt sorgen …“ – „die ist doch sonst immer die superfrau, die alles kann und hinkriegt – und jetzt plötzlich doch zart besaitet. ja was nun?“ der umweg über den schutz der bühne (ausweg: „ist ja nur ein rollenspiel …“) erhöht die annahme- und auseinandersetzungsbereitschaft. die deutungshoheit der provokation bleibt bei der protagonistin: „was hat das gehörte bei dir ausgelöst? was hat gepasst, was kennst du? was hat nicht gepasst? was war neu für dich? …“ eine weitere variante stellt das verfahren des „open staff“ dar, bei dem sich die mitglieder der leitung des lern- und entwicklungsprozesses (z.b. organisationsberater*innen) über diesen prozess, seine schwierigkeiten und fortschritte vor der gruppe bzw. der intervenierten organisationseinheit thematisch oder über fragen zentriert austauschen. dies verfahren koppelt leitungs- und teilnehmersystem (ggf. auch abgesichert durch einen freien „heißen“ stuhl für temporär begrenzte mitwirkungen), reduziert phantasien und macht es möglich, lernen zweiter und dritter ordnung anzusteuern. und es eröffnet eine bühne, die es zulässt, zuzuspitzen, im dialog oder hypothetisch zu überzeichnen und zu provozieren. den zu beratenden beratungswissen der berater*innen im dialog über die beratung zur verfügung zu stellen, überbrückt die jeweilige systemgrenze temporär begrenzt, vermittelt (bestenfalls) irritierende impulse, die dann kommunikativ im intervenierten system weiterwirken können. die (irritierende) sprache der beratung sickert in die sprache des via beratung intervenierten systems ein und wird sozial (verändernd) wirksam. diese formen haben provokativen und konfrontierenden charakter insofern, als dass einerseits die form dieser ungewöhnlichen offenheit als zumutung wirkt und andererseits, weil die für einen anderen rahmen bestimmten inhalte in den intervenierten kontext übergeleitet _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 149

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ werden – und dies, ohne eine gezielt adressierte konfrontation. das belässt die deutung des provokant wahrgenommen im klientensystem – und entlastet die beratung von der gefahr des ratschlags. für systemische interventionist*innen kann es hilfreich sein, vorüberlegungen zu machen und diese in formen der (→) planung festzuhalten, sich also ein „textbuch“ zu schreiben – und sich auch über die eigenen ziele und diejenigen des klienten den kopf zu zerbrechen. „im prozess der beratung „vergisst“ der provokative berater nicht nur das textbuch, sondern auch das ziel. er bietet dem klienten einen bauchladen von ideen, die sich aus den (…) vom klienten angebotenen signalen entwickeln, und achtet darauf, bei welchem artikel der klient anbeißt.“ (höfner 2011, s. 54) wirkungsvolle provokationen entstehen oft aus dem bauch heraus, indem sie auf ein angebotenes signal (emotional) reagieren. wenn sich der klient als „bauchmensch“ bezeichnet: „das nehme ich ihnen ab, sie tragen ja auch genug davon mit sich herum …“ manchmal reicht auch schon ein bisschen „lkw“. das kürzel kann verwendet werden für das „liebevolle karikieren des weltbilds eines klienten“ (höfner 2011, s. 46) – und steht auch für die bullige kraft dieser methode. (→) mut brauchen die interventionist*innen dazu aber schon. „glauben sie ja nicht, wer sie sind!“ (höfner 2011) zurück zum inhalt respekt wenn systemisches handeln gelingen soll, dann braucht es bei jenen, die es konzipieren und realisieren eine bestimmte (→) haltung, die zuallererst gekennzeichnet ist durch echten respekt im sinne von achtung, akzeptanz, rücksicht und wertschätzung dessen, was ist. das bedeutet, das, worauf sich die aufmerksamkeit und beobachtung richtet, als legitim anzuerkennen und zu versuchen, die welt aus der je anderen perspektive sehen – und günstigstenfalls: verstehen - zu können. „respekt haben“ bezieht sich auf: ➢ sich selbst, seine unterscheidungen, ressourcen und blinden flecke, ➢ die (→) autonomie der eigenartigkeit und eigentümlichkeit des intervenierten systems, sei es der (→) person, einer (→) gruppe oder der (→) organisation, _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 150

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ➢ die wirkungen, die folgen, risiken und nebenwirkungen dessen, was die intervention ermöglicht und auslöst. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? respekt ist zuallererst ein gradmesser für das, was ich als interventionist*in tun kann – oder lassen muss. respekt ist ein sensor dafür, was wahrscheinlich möglich ist und wirksam wird - oder eben auch nicht. insofern ist es pragmatisch zuallererst hilfreich, mit der kategorie des respekts die selbstbeobachtung zu justieren. falls deren ergebnis zeigt, dass es in einer der drei genannten kategorien an respekt mangelt – an sich selbst, am intervenierten system bzw. bezüglich der folgen – dann kann das eine systemisch relevante information sein, z.b. um zu erforschen, was dies – mangelnder respekt - über den interventionisten, das intervenierte system oder die beabsichtigten oder gar beauftragten folgen aussagt. das kann zu wichtigen nachjustierungen führen. manchmal ist es eben aber auch das untrügliche indiz dafür, dass hier keine (→) anschlussfähigkeit herstellbar ist und es bedeutet: stopp bzw. rückzug aus dem prozess. ohne respekt würde dieser ohnehin nicht gelingen. wenn der interventionist also bemerkt, dass er nicht bei sich selbst ist für diesen auftrag, dass er – aus welchen gründen auch immer – die organisation, für die er arbeitet, nicht respektieren kann oder skepsis bezüglich dessen verspürt, was seine arbeit ermöglichen soll, dann würde es bedeuten, eben dies auch zu respektieren: finger weg! zurück zum inhalt selbstorganisation der begriff der selbstorganisation bezeichnet das systeminterne reproduktionsgeschehen, das mit blick auf sich selbst im verhältnis zu seiner umwelt und in autonomer (→ autonomie) art und weise erfolgt. zudem verweist der prozess der selbstorganisation „nicht mehr vorrangig auf die elemente, aus denen ein system besteht, sondern auf die wechselbeziehungen, die sich in systemen entwickeln können. im prozess der selbstorganisation sind nicht mehr alle teile oder elemente wichtig, sondern die aktionen und interaktionen, die von ihnen ausgehen“ (kühl 1995, s. 132). hierdurch _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 151

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ 7. die organisationale absicherung von freiräumen für selbstorganisiertes handeln und lernen, z.b. durch teilautonome, vernetzte, projektorientierte („agile“) teams und arbeitsgruppen. 8. die unterstützung der selbstorganisierten lernprozesse durch eine kultur der „fehlerfreundlichkeit“. 9. die ausstattung mit (methodischen) möglichkeiten, die perspektivwechsel und andere sichtweisen zugänglich machen. 10.zugänge zu kreativen und ganzheitlichen perspektiven können selbstorganisation anregen und qualitativ aufwerten. 11.selbstorganisation ist oft mit störungen und instabilitäten verbunden. hilfreich ist es, wenn diese nicht gleichzeitig das gesamte system, z.b. eine einrichtung oder ein unternehmen betreffen, sondern zeitlich und räumlich verteilt auftreten können. das ermöglicht dem gesamtsystem die balance zwischen instabilität (unordnung) und kontinuität (ordnung). problematisch ist es, wenn die wahrnehmungen von unordnung und instabilität die stimmung im gesamtsystem beeinträchtigen oder gar ängste fördern. dann können regressive umschlagprozesse (z.b. in rufen nach der guten „starken“ führungskräften, nach wieder mehr alten zeit und ordnung, fremdorganisation) auftreten. 12.deshalb sind in solchen phasen auch solche signale notwendig, die sicherheit vermitteln. angst vor kompetenz-, funktions- oder gar arbeitsplatzverlust ist keine geeignete veränderungs- und lernbedingung. 13.es sollten jedoch nicht solche signale vermittelt werden, die veränderungsprozesse in frage stellen oder negieren. vielmehr sollte deutlich werden, dass veränderung bzw. „lernen“ bereits stattfindet, dass die ersten schritte schon gemacht sind und damit der prozess erfolgreich in gang ist, ggf. dass die krise, die infragestellung, die instabilität notwendiger teil des prozesses ist. in diesem sinne ist auch positives feedback hilfreich. 14.wenn in selbstorganisationsprozessen mehrere optionen oder entwicklungen gleichermaßen wahrscheinlich sind, können thematisierungen der situation und reflexion unterstützend für den weiteren prozess sein. auch die arbeit mit zukunftsentwürfen, mit plan- oder systemspielen oder mit visionen kann unterstützend sein. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 153

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ 15.reflexions- und feedbackschleifen unterstützen ebenso wie unterstützungsstrukturen durch beratung, coaching oder supervision den selbstorganisationsprozess. zurück zum inhalt selektion (→) beobachtung kann als eine spezifische (→) operation verstanden werden, die selektion der umwelt betreibt. es wird – notwendigerweise – ausgewählt, weil nicht alles gleichzeitig in betracht kommen kann. dazu werden unterscheidungen verwendet, die etwas sichtbar machen und gleichzeitig etwas anderes unsichtbar. das, was sichtbar wird, ist dann selegiert, wenn es unterschieden und bezeichnet ist: dies und nicht das! das bedeutet auch, dass jegliche selektion die eigenen (→) blinden flecke mitführt. selektion ist notwendig, um (→) komplexität zu reduzieren. dadurch schränkt sie ein, indem sie etwas anderes ausblendet. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? systemische interventionist*innen leben vom „einblenden des ausblendens“. sie haben als beobachter*innen von beobachtung günstigstenfalls die notwendige (→) distanz, um erkennen zu können, welche selektion gerade betrieben wird, was diese einblendet und dem system verfügbar macht – und was damit gleichzeitig und notwendigerweise auch ausgeblendet wird und bleibt. wenn sie diese distanz nicht besitzen, können sie nicht mehr systemisch beraten und leiten, denn sie teilen dann die unterscheidungen und selektionen des intervenierten systems. sie sind genauso blind wie dieses. sind sie es nicht, dann selektieren sie anders und machen dem intervenierten system dadurch neue unterschiede zugänglich, die es zu neuer variation anregen können. selektion und variation gehören damit zusammen, wenn es um (→) evolution geht (vgl. luhmann 1997a, s. 473ff). berater*innen, trainer*innen und coaches brauchen insofern vor allem die fähigkeit der distanzierung, um die betriebene selektion zu erkennen, sie brauchen sprache, um sie zu bezeichnen, sie brauchen den (→) mut, das intervenierte system mit der zumutung des einblendens des ausgeblendeten und eigener blinder flecke zu konfrontieren – und sie brauchen die fähigkeit, sich auch von diesem akt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 154

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ wieder so zu distanzieren, damit neue selektionen und damit neue variationen möglich werden. zurück zum inhalt sinn „man kann die form von sinn bezeichnen als differenz von aktualität und möglichkeit und kann zugleich behaupten, dass diese und keine andere unterscheidung sinn konstituiert.“ (luhmann 1997a, s. 50) sinn-volles vom universitätsdozenten siebenschwan in seinem privatissimum über (→) systemtheorie: „ich kann es mit luhmann sagen, dass sinn als die einheit der unterscheidung von aktualität und possibilität begriffen werden kann. wenn man etwas aktuelles bezeichnet, kann diese bezeichnung als teil einer differenz begriffen werden, deren andere seite das mögliche, das nichtaktuelle ist, und wenn man so beobachtet, beobachtet man in der form von sinn. ich könnte auch, bezogen auf unser thema, formulieren, dass die identität, die jeweils in gedanken oder in kommunikationen fixiert wird, über ihre situierung in einem möglichkeitshorizont festgehalten werden kann." (fuchs 1993, s. 71) und der referent ergänzt im original: „sinn ist demnach eine allgemeine form der selbstreferentiellen einstellung auf komplexität, die nicht durch bestimmte inhalte (unter ausschließung anderer) charakterisiert werden kann." (luhmann 1993, s. 107) damit stellt sinn ein selektionskriterium zur reduktion von komplexität dar. es handelt sich um keine ethische kategorie. mit dem begriff werden keine allgemeingültigen letzten wahrheiten bezeichnet. sinn entsteht erst in systemen, die sich in operationen funktional sinnvoll differenzieren. für ein betriebliches system ist die reduzierung der produktionskosten ebenso funktional sinnvoll wie die verlagerung der verantwortung für das vorhandensein der benötigten kompetenzen auf die mitarbeiter*innen. in beiden beispielen kommt der _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 155

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ sinn aus dem vergleich der beobachteten aktualität mit der possibilität, die im funktionsbezug des systems und seiner (→) autopoiesis geerdet ist. der in anbetracht von komplexität notwendige selektionsprozess ist sinnkonstituiert. er legt bestimmte anschlussmöglichkeiten nahe, andere nicht. dabei reduziert sinn zwar komplexität, vernichtet sie aber nicht. sie bleibt als komplexität weiter bestehen und ist über sinn jederzeit regenerierbar. sinn macht damit komplexität verfügbar (es kann beispielswiese zu einem späteren zeitpunkt wieder auf einst verworfene sinnkonstruktionen zurückgegriffen werden). sinn entsteht also erst im vollzug der entwicklung des systems nach funktionalen zwecken. „das phänomen sinn erscheint in form eines überschusses von verweisungen auf weitere möglichkeiten des erlebens und handelns.“ (luhmann 1993, s. 93) für das erleben gibt es einen überschuss an möglichkeiten. insofern muss das erleben auswählen. erleben und handeln ist selektion auf grund von sinn, der sich als verweisung selbst als standpunkt der wirklichkeit darstellt. er bezieht aber nicht nur wirkliches, sondern auch „mögliches (konditional wirkliches) und negatives (unwirkliches, unmögliches)“ ein (ebd., s. 93), weil über das eigentlich intendierte auch die welt im ganzen zugänglich wird. damit bedeutet sinn zwangsläufig immer auch (→) selektion, weil nicht alle „sinnvollen“ verweisungen tatsächlich im nächsten zuge aktualisierbar sind. diese zwangsläufigkeit geht in das sinnhafte operieren der systeme mit ein. es gibt also keine letzte anschlusssicherheit für bewusstsein (bezogen auf psychische systeme) und kommunikationen (bezogen auf soziale systeme). die selektion ist unsicher. aber sie ist wieder möglich. „sinn stattet das je aktuell vollzogene erleben und handeln mit leisten, weil die redundanten möglichkeiten aus. (...) man kann sich fehlgriffe möglichkeiten damit noch nicht erschöpft sind. man kann zum ausgangspunkt zurückkehren und einen anderen weg wählen.“ (ebd., s. 94) dies führt zur anschlussmöglichkeit, dass jede sinnintention selbstreferentiell ist, weil „sie ihre eigene wiederaktualisierung mit vorsieht“ (ebd., s. 107). luhmann bezeichnet sinn denn auch als „“differenzlosen“ begriff, der sich selbst mitmeint“ (luhmann 1993, s. 93). und dies meint mit, dass sinn ein instabiles kriterium darstellt, dessen instabilität, dessen unruhegehalt, einen „zwang zur selbständerung““ (ebd., s. 99/100) bildet. wenn der ausgangspunkt für sinn die differenz von aktuellem und möglichem ist (vgl. den universitätsdozenten siebenschwan zu beginn des artikels), gibt es zum jeweils aktuellen „möglichkeitsanzeigen“, in deren horizont das aktuelle sinn hat. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 156

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ damit kann sinn als evolution auslösendes und -ermöglichendes kriterium bezeichnet werden. zudem wird über das sinn-konstrukt die beziehung von psychischen und sozialen systeme, ihre gegenseitige durchdringung bezeichnet. „sinn ermöglicht das sichverstehen und sichfortzeugen von bewusstsein in der kommunikation und zugleich das zurückrechnen der kommunikation auf das bewusstsein der beteiligten." (ebd., s. 297) was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? (→) „lernen“ wird häufig mit hoffnungen und attributen der sinnsuche verbunden. „lernen macht sinn.“ so die doppelbödige botschaft an viele lernende. die botschaft verweist darauf, dass lernen für lernende sinnvoll ist. im oben beschriebenen sinne kann das interpretiert werden als selektionshilfe zwischen aktualität und möglichkeiten des handelns. lernen, so eine zweite deutung, kann auch insofern sinn machen, als es neue unterscheidungen zugänglich macht – und damit zu neuen sinnhorizonten der lernenden führt. systemische interventionist*innen können „in diesem sinne“ anreize zugänglich machen: einerseits solche, die lernen als bearbeitungsform des lebens und arbeitens sinn-voll erscheinen lassen und andererseits solche, die neue brauchbare unterscheidungen – z.b. zur deutung herausfordernder situationen - bei den zu lernenden wahrscheinlicher machen. sie arbeiten dazu mit (→) irritationen, die (→) differenzen setzen, die von den intervenierten als (→) störung wahrgenommen werden und prozesse der selbstbefragung und –reflexion in gang setzen. konkret bedeutet dies, dass berater*innen, trainer*innen und leiter*innen von lernprozessen sehr aufmerksam beobachten, welche differenzen jeweils aktuell für personen, gruppen, teams oder in organisationen „sinn machen“, um dann z.b. über fragen oder andere formen umdeutender interventionen bewegung in die sinnsuche zu bringen. das kann über das (→) umdeuten der wahrgenommenen situativen aktualität geschehen und/oder über den zugang zu neuen, bisher noch unge- oder bedachten möglichkeiten. wenn beispielsweise ausschließlich die ökonomische unterscheidung zahlung/nichtzahlung zur bewertung von karrierefragen herangezogen werden, kann z.b. daraufhin interveniert werden, die situation einmal mit unterscheidungen wie lust/frust, zufriedenheit/unzufriedenheit oder arbeiten/leben wahrzunehmen. um dann bezüglich _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 157

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ der zukünftigen karriereoptionen neue, ungedachte möglichkeiten zugänglich zu machen, die auch (anderen, neuen) sinn machen könnten. „schwierig ist es dagegen, unsinn zu erzeugen, da die bemühung darum schon wieder sinn macht.“ (luhmann 1997a, s. 50) zurück zum inhalt sprache sprache ist eine systembildende form – und die art und form der sprache vermittelt wichtige orientierungen über das „system“, seine muster, eigen- und besonderheiten. mittels sprache (re-) konstruieren wir uns individuell unseren (→) sinn, unsere (→) wirklichkeit und verfestigen diese im sprachlichen sozialen austausch. wir erzählen uns unsere weltsichten, indem wir sie zur sprache bringen und konstituieren so sozial geteilte und gesellschaftlich stabilisierte überschneidungen und ausschnitte - ebenso wie abweichungen davon. sprache ist damit ein rahmen, um die welt zu sehen und weltsichten zu (re-) konstruieren, zu teilen (mitzuteilen) und zu vergleichen. sie ist zudem reflexiv angelegt. sprache kann verwendet werden, um über sprache zu kommunizieren. das kann die wahrscheinlichkeit gegenseitigen verstehens erhöhen. (→) kommunikation, verstanden als einheit der differenz von information, mitteilung und verstehen kann besser gelingen, wenn sprache benutzt wird, um die unterschiede klar zu thematisieren und zu formulieren. es ist dann möglich zu fragen, warum und wozu eine bestimmte information so und nicht anders mitgeteilt und auf eine bestimmte – ganz andere art – verstanden wurde. interessant und relevant kann zudem auch das sein, was sprachlich gerade „unter den tisch“ fällt, wozu aktuell keine sprache gefunden werden kann. oder es gibt unaussprechliches („dies zeigt sich, es ist das mystische.“ (wittgenstein 1988, s. 128)). insofern sind systemiker*innen „sprachenforscher“, die sprache beobachten und diese beobachtungen in eine brauchbare, das gegenseitige verstehen fördernde und eine, perspektiven (und sprache!) erweiternde form bringen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 158

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ über die jeweilige (system-) sprache wird inklusion und exklusion, also zugehörigkeit organisiert. wissenschaftssprache oder bestimmte „spezialsprachen“ in organisationen regeln beispielsweise, wer dazugehören darf und wer nicht. für außenstehende, die nicht dazugehören, ist das schwere kost, verstehen ist kaum möglich, da sprachlich keine anschlussfähigkeit gegeben ist. auf baustellen wird anders gesprochen als in der kirche, im profitbereich anders als im psychosozialen kontext – von unterschieden, die dialekte machen, ganz zu schweigen. das bedeutet, darauf zu achten, wie durch sprachgebrauch abgrenzung, einschluss, ausschluss und selektion arrangiert wird. wenn für mich im oberbayerischen dorf bewusst vom dialekt ins „hochdeutsche“ (na ja ;-) gewechselt wird, damit ich (auch mal etwas) verstehe, signalisiert das etwas anderes als wenn ich angesichts aufgetürmter systemtheoretischer spezialsprachschnipsel ständig das gefühl bekomme, ich verstünde rein gar nix – und gehörte nicht dazu … was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? ist das medium mit der funktion, das verstehen der kommunikation „sprache wahrscheinlicher zu machen.“ (baraldi/corsi/esposito 1998, s. 180) eine gemeinsame sprache zu (er-) finden ist damit eine zentrale aufgabe systemischer interventionist*innen, damit gegenseitiges verstehen wahrscheinlicher wird. das ist bzw. wird dann eine sprache, die an die unterschiedlichen personalen, sozialen, kulturellen, organisationalen und inhaltlichen logiken anschlussfähig ist, sodass etwas mit dem angefangen werden kann, was aus dem beratungs- und lernprozess herauskommt. denn das vermittelt sich über sprache, wird in eigene sprache übersetzt und über sprache weitervermittelt. eine zentrale kompetenz von systemiker*innen besteht insofern darin, sich einerseits der sprache des jeweils intervenierten systems anzunähern und anzupassen – und andererseits kleine (sprachliche) unterschiede dazu zu machen, sich der eigenen sprachlichen begrenzungen zu vergewissern und die eigene sprache zu erweitern, so dass sie brauchbarer wird. die (irritierende) sprache der beratung sickert in die sprache des via beratung intervenierten systems ein und wird sozial (verändernd) wirksam. „sprache dient nicht in erster linie dem austausch von wissen und dem vermitteln von einsicht, sondern der legitimation des überwiegend unbewusst gesteuerten verhaltens vor uns selbst und vor anderen. (...) sprachliche kommunikation bewirkt nur dann veränderungen in unseren partnern, wenn diese sich aufgrund interner prozesse der bedeutungserzeugung oder durch nichtsprachliche kommunikation mit uns bereits in _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 159

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ prozess stoppt und sich qualitativ verändern kann. dies steuerungsverständnis ist paradox: ich gehe davon aus, dass die erzeugte resonanz im system nicht notwendigerweise die intendierte resonanz ist. ich gehe aber auch davon aus, dass dennoch gesteuert werden kann und muss. steuern ähnelt damit dem surfen auf nicht kontrollierbarem und letztlich auch nicht beherrschbarem untergrund. steuerung ist insofern ein unzuverlässiges und ein kontingentes unternehmen. kontingent bei der selektion der steuernden interventionen und kontingent auch bezüglich ihrer wirkung im system: das erfuhr schon robinson in seiner hochkontingenten anfangssituation mit freitag, die helmut willke exemplarisch anführt (vgl. willke 1991, s. 32): angesichts des vor ihm stehenden wilden erschien alles möglich, oder eben auch anderes: nichts etwa. trotzdem hat robinson interveniert. dass unter solch kontingenten bedingungen dennoch gesteuert werden „muss“, ist damit begründet, dass psychische und soziale systeme im sinne ihrer differenzierungsdynamik impulse benötigen, die sie als steuernde interventionen, d.h. als absichtsvolle eingriffe, als (funktionale) störungen und irritationen des internen systemgeschehens aufnehmen können. es muss also „steuerung von außen“ von innen beobachtet werden können, damit auf steuerung (als störung und irritation) reagiert werden kann. und das heißt vor allem und nur: „reagiert“, und nicht: „in einer bestimmten weise reagiert.“ es heißt im falle von robinson und freitag, dass zunächst unklar ist, ob mit „auffressen“ oder mit „freundschaft“ reagiert wird. es bleibt damit offen, ob die steuernde intervention von außen (robinson) auf der innenseite des intervenierten systems (freitag) im sinne der steuerungsabsicht (kontakt, freundschaft) verarbeitet wird oder ob sie als steuerungsintervention nur deshalb rezipiert werden muss, um sich gegen diese zumutung – durch auffressen - abzugrenzen. dabei wird der sinngehalt (→ sinn) der steuerung zunächst abgelehnt, aber dadurch können auch neue eigene sinnmöglichkeiten erschlossen werden – z.b. im günstigsten fall (anhand des entstandenen schlechten gewissens) über die soziale angemessenheit von menschenfresserei. aber gottlob hat freitag ja mit freundschaft reagiert. „steuerung“ ist damit nur ein umweltereignis, auf das ein system als (→) irritation reagiert - und das es für seine interne veränderung brauchbar machen kann. die richtung der veränderung hängt dabei vom inneren zustand des systems, seiner (→) autonomie und (→) autopoiesis und seiner rezeption des steuerungsimpulses ab, nicht von der steuerungsabsicht. das autopoietisch selbstgesteuerte system ist autonom, seine abhängigkeiten - also auch die von steuerungsabsichten - zu wählen. es geht nur um die _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 161

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ verfügbarkeit einer möglichkeit der verarbeitung einer bestimmten qualität von umwelteinfluss („steuerung“), die für das interne systemgeschehen brauchbar wird, d.h. für unseren anwendungsfall: die bestenfalls zum lernanlass wird. das eröffnet möglichkeiten zur veränderung der aktualisierbaren sinnbestände, der verstehensmöglichkeiten, und möglichkeiten und notwendigkeiten der selbstbezüglichen reflexion. damit kann etwas geschehen, das ohne den störenden und irritierenden steuerungsimpuls nicht hätte geschehen können. insofern ist steuerung als absichtsvolle und richtungsweisende (→) intervention die kunst, das intervenierte system mit der alternativen seiner normalen selbstbeschreibung und weltsicht zu konfrontieren. „brauchbare“ steuernde interventionen bedeuten insofern die ausstattung des systems von außen mit einer für seine verstehensmöglichkeiten sinn- vollen beschreibung im hinblick auf die aktivierung von reflexionsmöglichkeiten. steuerung wird nur dann „brauchbar“, wenn die intervention sinn-voll anschlussfähig an die vom system sich selbst zugeschriebene faktizität ist, und diese eine form und eine (→) sprache annimmt, mit der das system weiterarbeiten kann. diese passung ist stark kontextabhängig: ob es sich um einen kindergarten, um eine familie, um eine erwachsenenbildungsinstitution, ein profit-unternehmen, einen sportverein oder eine sozialeinrichtung handelt, macht auch einen unterschied bezogen auf die (→) anschlussfähigkeit von interventionen bei personen. ein kind reagiert in der familie auf die sprachlich gleich daherkommende intervention anders als im kindergarten, eine führungskraft im daily-meeting anders als abends beim basketballtraining. „brauchbare“ steuerung bedeutet also, dass (→) differenz verfügbar gemacht wird, aber in einem differenzvorschein, der im jeweiligen kontext verarbeitbar ist und der nicht so rezipiert wird, dass er die identität und autonomie des systems zerstört. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? zentral ist für ein solches steuerungsverständnis (und seine erfolgsaussichten) die akzeptanz der autonomie und eigen-logik des intervenierten systems. es akzeptiert sowohl die freiheit des intervenierten systems als auch die je eigene freiheit derer, die steuerungsabsichten haben. es nutzt eben die damit einhergehenden unverständlichkeiten, um einen kontakt zwischen beiden systemen zu ermöglichen - z.b. in der form des kommunikationssystems der beratung zwischen klient*in und berater*in. diese – beide seiten – irritierende unverständlichkeit kann zu steuerungsrelevanten _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 162

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ anschlüssen führen. dies schließt das herangehen an das zu intervenierende system mit zu stark strukturierten oder es strukturieren-wollenden erwartungen aus. wenn ich „ihm signalisiere, dass ich schon weiß, was als nächstes kommt, kommt zwischen uns nichts zustande“ (baecker in: baecker/kluge 2003, s. 83 und s. 82). auch keine (selbst-) steuerung. zurück zum inhalt störung als störung kann jedes ereignis gedeutet werden, das der erwartung an die weiterentwicklung in einem system (z.b. einer person, einer gruppe, in einem unternehmen) zuwiderläuft. die (→) irritation einer (→) intervention arrangiert die störung der (→) autopoiesis – gedacht als tiefenstruktur der selbststeuerung des systems - insofern, als dass sie einen veränderungsrelevanten impuls für das weiterprozessieren setzt. daher ist der begriff der „störung“ „keinesfalls negativ bewertet, sondern bezeichnet alle potenziellen oder tatsächlichen einflüsse auf ein autopoietisches system, die nicht zu seiner zerstörung führen“ (woltmann 1991, s. 82). störungen sind insofern eine selbstverständlichkeit des lebens und vor allem: des überlebens. störungen halten systeme dynamisch instabil in ihrer reproduktionsdynamik. gestört-zu-werden kann damit zu einem „überlebenstraining“ werden, insofern prozesse struktureller veränderung angeregt werden, die zur optimierung von system- und umweltadäquater reproduktions- und anpassungsfähigkeit führen. störungen können so zur verbesserung der systemischen resilienz genutzt werden. eine „störung“ – als funktional wichtige (→) irritation - ist auf der zeitachse verlangsamend und beschleunigend zugleich, produktiv und unproduktiv, destabilisierend und stabilisierend - sie bringt das system ins (→) oszillieren, sie eröffnet damit neue anschlussfähigkeiten und –notwendigkeiten. durch störungen und ihre beobachtung kann viel über das system in erfahrung gebracht werden. und die störung ist der anlass und meistens gleichzeitig der zwang, sich eingehend der konstitution des systems zu widmen, sich also mit dem system selbst bzw. auch mit „sich selbst“ zu beschäftigen. was das bedeutet und was man und frau daraus lernen kann, erkennen wir an alltagserfahrungen: die krankheit zwingt uns zur beschäftigung mit der eigenen körperlichen und _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 163

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ gesundheitlichen konstitution und bei der fehlersuche an der defekten waschmaschine lernen wir, wie diese funktioniert – und auch die corona-krise zeigt vieles auf, das ohne sie nie auffällig geworden wäre. wenn der annahme gefolgt wird, dass sich in störungen die gesamte funktionslogik von systemen quasi negativ kristallisiert, bedeutet dies „gewendet“ die möglichkeit, aufgrund der beobachtung von störungen etwas über die verfasstheit von systemen lernen zu können. die gruppendynamik realisiert dies, indem an widerständen und störungen, die sich vorrang nehmen gearbeitet wird und auch beratungsprozesse in organisationen schließen oft an beobachtete (zumeist erlittene) störungen an. das macht das ereignis der störung auch für die analytische beobachtung interessant - aber auch für die (→) steuerung: „störungsmanagement“ wäre die form, die interventionen ausschließlich nach den störungen des systems richtet. besonders sensible systeme haben sich nach einschlägigen störungserfahrungen zum teil sehr grundsätzlich neu ausgerichtet: nach den reaktorkatastrophen mit kernschmelzen von tschernobyl und fukushima wurden nicht nur sicherheitsprozesse in kernkraftwerken an als völlig unwahrscheinlich geltende umwelteinflüsse angepasst, sondern es wurden auch grundlegende politische fragen der energieversorgung gestellt, die letztlich (zu spät) – jedenfalls hierzulande – zu einer energiewende führten. offenbar ist gelegentlich die störung auch notwendig, um grenzen zu zeigen, die besonders blinde beobachter gerne geflissentlich übersehen. oft macht die störung auf blinde flecke aufmerksam. das ist viel wert. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? „störungen haben vorrang.“ dies ist ein zentrales postulat der themenzentrierten interaktion (tzi) nach ruth cohn (vgl. cohn 1975 und cohn/farau 2001). das bedeutet, dass es im gruppenprozess einen zustand gibt, der diesen prozess behindert, z.b. durch das innerliche aussteigen von teilnehmer*innen, einen plötzlich auftretenden streit zweier gruppenmitglieder oder eine sachlich-fachliche differenz usw. „störung“ ist damit im sinne der tzi alles, was die mitglieder einer lern-/arbeits- oder projektgruppe daran hindert, sich am gemeinsamen prozess zu beteiligen. störungen fragen nicht nach erlaubnis – sie sind da: als schmerz, freude, angst, zerstreutheit usw. ihnen vorrang einzuräumen bedeutet, die wirklichkeit des momentanen geschehens anzuerkennen und wertzuschätzen. mir ist durch das störungsverständnis der tzi viel klar geworden für meine rolle als systemischer berater und begleiter. deshalb beginne ich die _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 164

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ transferüberlegungen mit einem tzi-gemäßen-störungsverständnis (vgl. dazu rubner u.a. 1992). es ist im folgenden auf gruppen bezogen formuliert – tzi gilt als „die kunst sich selbst und eine gruppe zu leiten“ (löhmer/standhard 2008) -, ist aber in nahezu allen punkten leicht anschlussfähig an andere beratungskontexte. der wert liegt darin, eine diagnostische folie – als landkarte - im manchmal unübersichtlichen gelände der störungen zu haben. eine (gruppen-) störung bedeutet meist: ➢ dass der momentane prozess angehalten wird, ➢ dass die interaktion in der gruppe sich auf das gestörte individuum bzw. die an der störung beteiligten personen zentriert, ➢ dass die bearbeitung eines gegebenen themas unter- bzw. abgebrochen wird, ➢ dass das die gruppe zusammenhaltende (scheinbare) gemeinsame (zeitweise) aufgehoben wird, ➢ dass sich die von der/dem leiter*in bzw. der gruppe beabsichtigte (→) planung verändert. die vielfältigen ursachen für störungen lassen sich nach ihrem entstehungsort einteilen: sie können – gedacht in der tzi-modellhaftigkeit - vom ich ausgehen, von der gruppe, von der leitung, vom thema oder von der umwelt. individuelle ursachen die ursache der störung liegt bei der person bzw. der persönlichkeit eines gruppenmitgliedes, die im hier-und-jetzt des gruppenprozesses aktuell wird. da jedes individuum in verunsichernden und ängstigenden situationen auf einmal gewonnene muster zurückgreift, werden mitgebrachte persönlichkeitsstörungen bzw. individuelle bearbeitungsmuster oft in verunsichernden und irritierenden (gruppen-) situationen relevant. personen aktivieren angesichts von für sie relevanten auslösern (ich spreche manchmal von „roten knöpfen“) ihre „schutz- und abwehrhaltungen“ (satir 1994). sie beschwichtigen, beschuldigen sich selbst (1), sie klagen an bzw. beschuldigen andere, rationalisieren (3) oder sie lenken ab (4). diese „überlebenshaltungen“ entstehen aus einem zustand geringer selbstachtung und des ungleichgewichts, in dem menschen ihre kraft an andere oder an etwas anderes übergeben. menschen nehmen diese schutzhaltungen an, um ihr selbstwertgefühl gegen verbale und nonverbale, wahrgenommene und vermutete bedrohungen zu schützen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 165

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ weil es nicht wirklich gelungen sei, die bedeutsamkeit und den einfluss des globes auf den lehr-/lernprozess zugänglich zu machen. am nächsten tag kam ich von meiner täglichen laufrunde zurück und sah im fernseher, der im zweiten stock im seehaus im flur stand, immer wieder zwei flugzeuge in zwei hochhäuser fliegen. als ich am abend meine kollegin wieder traf, meinte sie, das mit dem einfluss des globes auf lehren und lernen sei jetzt klar. es war der 11. september 2001. zudem können umfeldursachen zu störungen führen, z.b. nationale, sprachliche eigenarten, besondere traditionen und normen bei einzelnen teilnehmer*innen, interkulturelle, ideologische oder politische differenzen, betriebliche veränderungs- oder umbruchsituationen, zukunfts- und existenzbedrohliche veränderungen in organisationen usw. insofern stellen sich zuallererst für systemische interventionist*innen viele (→) fragen: was genau ist die störung? was hat sie ausgelöst? wie ist sie eskaliert? und wodurch? (…) wichtigste frage: mit bezug auf was genau handelt es sich um eine störung? und: welche relevanz hat die störung für die funktionsfähigkeit bzw. die arbeitsfähigkeit des jeweiligen systems? derart gestört, geht es für systemische berater*innen und leiter*innen anschließend darum, den systemischen mehrwert der störung zu nutzen. das gelingt, wenn es nach bearbeitung der emotionalen resonanzen und der auswirkungen auf die beziehungsqualität möglich ist, gemeinsam mit dem betroffenen system herauszuarbeiten, welchen nutzen die störung für die zukunft haben könnte. weil der lösung die geschichte des problems egal ist, ist es häufig hilfreich, nicht allzu lange „ursachenforschung“ zu betreiben, also sich in warum-fragen zu verlieben und ungünstigsten falls in eine problemtrance zu verfallen, sondern diesen blick eher zukunfts- und lösungsorientiert auszurichten. wozu können wir die störung künftig nutzen? was zeigt sie – und was bedeutet dies konkret für mehr resilienz in zukunft? usw. oft ist der störungsbegriff negativ besetzt, das ansprechen der störung wird vermieden oder die eingehende bearbeitung wirkt ungewohnt. dann geht es vorab bzw. im prozess darum, den blick auf die zusätzlichen ressourcen und den erwartbaren nutzen zu richten. und zuallererst häufig: die störung zu thematisieren und zur (→) sprache zu bringen. die störung ist eine wichtige diagnostisch bedeutsame ressource. sie zeigt etwas, das sonst nicht gezeigt werden hätte können. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 168

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ „störungen und betroffenheiten haben vorrang, ob wir es wollen oder nicht! es kommt darauf an, wie wir mit ihnen umgehen – darin liegt ein teil unserer freiheit.“ ruth cohn (löhmer/standhardt 2008, s. 49) zurück zum inhalt storytelling lebendig erzählte (→) geschichten emotionalisieren. das geschieht einerseits über das was, also das thema und oder den verlauf der geschichte und andererseits über das wie, also wie der erzähler die geschichte sprachlich und nonverbal aufbereitet, indem er oder sie beispielsweise mit metaphern arbeitet oder mit bildern, mit (→) fragen, eigenen erlebnissen usw. geschichten leben durch eine dramaturgie, der die zuhörer folgen können, die für sie – auf ihre je eigene weise – nachvollziehbar wird und die bei ihnen nachwirkt. wenn zuhörer*innen sich die geschichte aneignen, erzählen sie diese weiter, verändern sie womöglich, machen sie etwas spannender oder fügen eine eigene im pädagogischen bereich genutzt. es gibt geschichte hinzu. im „storytelling“ wird die form des geschichtenerzählens seit vielen jahren auch in organisationen und „storytelling- in der kommunikation und zur organisationen“, mitarbeitermotivation das „storylistening“: neben dem storytelling stehen dabei das zuhören und der ergebnisoffene dialog für die lösungssuche zur verfügung. „der lösung ist die geschichte des problems egal.“ so sagen systemiker gerne (und ich: oft ;-). und hören sich (trotzdem oder deshalb) gerne geschichten an, die viel über muster hergeben, die dann für die erfindung in denen geschichten gezielt genutzt werden. zudem entdecken unternehmen lösungsorientierter geschichten zur verfügung stehen. damit die neue story auch anschlussfähig daran ist, was man sich so erzählt in der organisation. und wie. angeblich gibt es auch bereits „narrative unternehmen“, in denen sich führungskräfte und mitarbeiter*innen bewusst sind, dass narrative strukturen hinter allem stecken, was da in strukturen und prozessen zurechtgebastelt wird. alles, was man sich so im unternehmen erzählt – auch in aufgehübschten präsentationen – folgt bestimmten grundmustern. ein _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 169

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ solches muster kann beispielsweise die empörung sein, die regelmäßig über die unvollständige oder fehlerhafte kommunikation in changeprozessen aufflammt und die sich dann in den geschichten in den kaffeeküchen verdichtet, die sich dann wellenartig in die großen büros und dann „runter in die fertigung“ ergießen. dass systeme „sinnbasiert“ sind, und dass dieser sinn kommunikativ gemacht wird, hieße mit der brille des narrativen beobachtet, dass geschichten (→) sinn machen. dieser sinn schaut dann meist anders aus als derjenige, der sich auf schicken powerpointfolien in animierten aufzählungen und schicken bildchen verflüssigt und verdünnt hat zu einer oberflächenstruktur. der sinn, der aus geschichten kommt und den geschichten neu erfinden, ist näher dran an den (→) emotionen derer, die mit organisationalen systemen gekoppelt sind, an den personen, den menschen. das macht geschichten so interessant, so spannend, so bewegend, dass auch beratungskreise sich so ihre geschichten erzählen über den wert des geschichtenerzählens. das ist nachvollziehbar, denn wollen wir nicht alle teile einer guten – oder zumindest einer gut erzählten – geschichte sein? in ihren geschichten verdichten sich die „bilder der organisation“. es sind meist diejenigen, die sie sich von sich selbst erzählt und manchmal auch solche, die andere über sie erzählen. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? die geschichte der „methode“ storytelling kann nur damit begonnen werden, dass es auf die haltung des storylisteners und -tellers ankommt. sonst wird das eine langweilige oder eine nichtssagende g’schicht … mit dieser (→) haltung erstmalig in eine organisation zu gehen, heißt zum beispiel, erst mal zu hören, was da so erzählt wird – in den raucherecken, den kaffeeküchen, rund um die ambitioniert aufgestellten tischfußballspiele und auf den sofas, wo kreative geister so ihren ideen haben sollen. es heißt auch, eigene geschichten zu erzählen und zu schauen, ob diese dazu führen, dass ich auch die geschichte meiner gegenüber zu hören bekomme. um herauszufinden, ob es eine kultur gibt, sich geschichten zu erzählen – und wenn ja welche (kultur bzw. geschichten). werden da mythen, gründergeschichten, heldenepen, erfolgsstories von großartigen menschen, zentralen geschäftsideen und - erfolgen, tragödien oder jammer- oder empörungsgeschichten erzählt. und wie? von wem? _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 170

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ in diesem sinne ist storytelling (als haltung und auch wenn es methodisch strukturiert ist) zuallererst ein diagnoseinstrument. es regt dazu an, die organisation bezogen auf ihre oft verborgenen themen und muster zu erforschen. dass dies das klientensystem macht, ist klar - geschichtenerzählen ist narrative selbsterforschung bzw. selbstbeobachtung. narrative elemente im rahmen der organisationsberatung und -entwicklung (vgl. müller 2017) zu verwenden, ist immer eine spezielle geschichte, die bestenfalls mit den geschichten, die so erzählt werden in der organisation korrespondieren – oder die sie manchmal auch kontrastieren. ich erinnere mich an eine geschichte aus der organisationsberatung für ein großes medizinisches labor. da war die kommunikation der leitung nach der unternehmensweiten mitarbeiter*innenbefragung „unterirdisch“, die wertschätzung … - welche wertschätzung denn? katastrophe. geschichten wurden schon reichlich erzählt, unaufgefordert und sehr leidenschaftlich. dabei war viel von leiden die rede … einer umfassende diagnosephase folgte eine aktionsphase mit kommunikationsräumen für im rahmen der auftragsklärung führungskräfte und mitarbeiter*innen, teamentwicklungen, leitungscoaching und allen diesen sachen eben. und immerzu wurden geschichten erzählt, die wir – meine kollegin und ich – nutzten. bis dahin, zum schluss (in anlehnung an eine geschichte von heinz kersting) eine verfremdete geschichte der beraterixe über das intervenierte system zu erzählen. auch berater*innen haben so ihre geschichten – und können sie nutzen als gezielte intervention - wie hier geschehen beim abschlussforum mit allen mitarbeiter*innen des labors. wie so oft bei solch speziellen geschichten bietet sich ein mix aus verschiedenen methodischen elementen an. so können geschichten in „appreciative-inquiry“-prozessen erhoben und in großgruppenkonferenzen eingebracht werden, um auf basis der positiven geschichtsenergien neue zukunftsorientierte geschichten erfinden zu lassen. eine weitere charmante kombinationsmöglichkeit ergibt sich mit formen des interaktiven unternehmenstheaters (vgl. berg u.a. 2002). hier werden themen aus der organisation unter beteiligung des publikums auf die bühne gebracht und zu geschichten gemacht. wenn die geschichte in kleingruppen lösungsdrehbücher entwickelt werden, auf der bühne angeschaut und mittels für die anwesenden, können „stimmt“ improtechniken verändert und verbessert werden. es geht doch nix über „a guade g’schicht“ … _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 171

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ➢ weisen hinsichtlich ihrer strukturen und prozesse ordnung auf ➢ sind autonom und autopoietisch ... das system arbeitet sich an der (→) grenze zu seiner umwelt auf und ab zugleich – es oszilliert (→ oszillieren) in einem zustand äußerster unruhe, um sich seiner und dessen, was es unterscheidet, gewahr zu werden und zu bleiben. dadurch gewinnt es kontur, unverwechselbarkeit, zusammenhalt, ordnung. der systembegriff ist auf selbstreferentielle und selbstorganisierte veränderung zur bestandserhaltung, nicht auf statische bestandserhaltung hin konzipiert. dies macht ihn angesichts als dynamisch beobachteter umweltbedingungen als selbstbeschreibungsbegriff attraktiv. der systembegriff ist ein dynamischer begriff und er umfasst ein systemgeschehen, wie es angesichts des versagens der großen erzählungen und der machbarkeitsillusionen zur selbstbeschreibung, aber auch zur beschreibung der eigenen steuerung als selbststeuerung, gerade recht kommt. zudem öffnet der begriff den blick auf die komplexität des geschehens, er erlaubt, die „oben-unten- unterscheidung“ aufzugeben zugunsten einer vielzahl von unterscheidungen zu unterschiedlichen relevanten systemen der umwelt. das „gerede“ um das system „macht“ das system zum system. wer dies weiterdenken will, endet in der (→) differenz. das ist eine zulässige verkürzung des neuen mehrwertes des systemdenkens: das lange gepflegte system ist die differenz. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? der systembegriff kann für interventionist*innen in beratung, training und gruppenleitung hilfreich sein, um kontexte zu unterscheiden, zu ordnen und sie differenziert in den blick zu nehmen. so können wir z.b. mittels des systembegriffes eine lerngruppe beobachten – und zwar: ➢ auf den sinn hin, aus dem sie bindung gewinnt, ➢ auf relevante beziehungen zwischen personen und deren sozialen auswirkungen hin, ➢ mit blick auf personenbezogene, soziale, interaktionsbezogene, thematische, kulturelle oder organisationale anteile an der gruppenstimmung und –kultur, ➢ auf den umgang mit komplexität hin, ➢ auf vereinfachungen hin _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 174

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ➢ usw. „“systemisch“ arbeiten bedeutet, sich auf die anwendung der unterscheidung „system/umwelt“ einzulassen.“ (grossmann/bauer/scala 2015, s. 27) zurück zum inhalt systemarten niklas luhmann (1993, s. 16) unterscheidet folgende systemarten: systeme maschinen organismen soziale systeme psychische systeme interaktionen organisationen gesellschaften was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? die von mir für den anwendungskontext beratung und training ausgewählten relevanten systemarten sind: ➢ (→) personale systeme ➢ (→) (soziale) kommunikationssysteme ➢ (→) organisationale systeme zudem sind für unseren anwendungsfall folgende „systemarten“ relevant, nämlich: ➢ das klient*innensystem, z.b. eine einzelperson, ein team, eine gruppe, ein unternehmen ➢ das berater*innensystem, z.b. ein externer berater/eine beraterin oder eine beratergruppe ➢ das beratungssystem, in dem klient*innen- und berater*innensystem verbunden sind dabei handelt es sich um soziale bzw. personale systeme, die in ihrem überschneidungsbereich des beratungssystems strukturell gekoppelt sind. dort soll lernen, entwicklung, veränderung möglich werden. auch diese unterscheidung kann _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 175

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ diagnostisch hilfreich sein, um unterschiedliche logiken und sinnvorstellungen abgrenzen und vergleichen zu können. die saubere unterscheidung unterschiedlicher systemarten stellt uns möglichkeiten zur verfügung, präzise zu sein – ohne dabei allzu stark zu vereinfachen. zurück zum inhalt systemisches denken ansätze der (→) systemtheorie haben in den vergangenen jahren ihre pragmatisch motivierte verdichtung im „systemischen denken“ gefunden. ich schließe mich mit meinem verständnis hierzu dem therapeuten kurt ludewig an: „systemisches denken verstehe ich als allgemeine denkmethode, die grundfragen menschlicher und natürlicher existenz zum gegenstand macht. im hinblick auf das problem des erkennens stellt diese denkweise den beobachter bzw. das beobachten an den anfang weltbeschreibung.“ (ludewig 1999, s. 39) systemisches denken beinhaltet somit die aufgabe jeglicher vorstellung von objektivität jeder zugunsten der verantwortung des beobachters/der beobachterin und der brauchbarkeit von (→) kommunikationen. zudem verwehrt es sich gegen eindimensionale ursache- wirkung-erklärungen und stellt stattdessen zirkuläre erklärungen, relationen, vernetzungen, die systemeigene (→) komplexität, kommunikationscodes und die (→) sinnfrage in den mittelpunkt des verstehens. systemisches denken verwendet dazu erklärungen aus der (→) systemtheorie. ein solches „systemdenken“, wie es heute gerne gefordert und proklamiert wird, ermöglicht es, die welt durch eine neue brille zu sehen. peter senge hat es denn auch in seinem gleichnamigen klassiker als eine neue „fünfte disziplin“ benannt. diese zielt darauf ab, dass „ganzheiten“ erkannt werden und wechselbeziehungen statt unbeweglicher dinge und veränderungsmuster statt statischer „schnappschüsse“ wahrgenommen werden können (senge 1996, s. 88). ein weiterer aspekt, der das projekt „systemdenken“ z.b. für unternehmen attraktiv macht, ist seine unabhängigkeit von exklusiv an den menschen gekoppelten machbarkeitshoffnungen. denn: nicht menschen „machen“ systeme, sondern diese „entstehen“, in kommunikationen von allem anderen (ihrer umwelt) unterschieden werden und sich dann funktional weiter ausdifferenzieren. menschen indem sie _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 176

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ gehören damit in die umwelt des sozialen systems. so entsteht beispielsweise durch die kommunikationen und den dadurch anschlussfähig werdenden system-sinn das lehr- /lernsystem als soziales interaktionssystem einer lern-gruppe. und es wird durch kommunikationen des sozialen systems der lerngruppe weiter ausdifferenziert. die beteiligten menschen werden „nur“ als umwelt (z.b. als rezeption ihrer individualität durch das system) im lehr-/lernsystem intern sinn-haft berücksichtigt. sie konstituieren den anschlussfähigen sinn des systems, also auch seine (→) identität, mit - aber eben nur, indem die psychischen bewusstseinssysteme der menschen mit dem sozialen system des lehr-/lernprozesses gekoppelt sind. der mensch bleibt umwelt des systems - und das entlastet von der gefahr der überanstrengung des menschen und seiner möglichkeiten als „subjekt“. systemisches denken bezieht sich insofern auch auf die verstricklungen des menschen und seine wechselwirkungen mit anderen systemarten. so wird eine veränderung nicht notwendigerweise daran gekoppelt, dass personen ihr verhalten ändern, sondern systemisches denken spürt neben den personenbezogenen anteilen auch denjenigen der relevanten interaktionen und sozialen beziehungen, der organisationalen, kulturellen, der gesellschaftlichen und inhaltlichen bedingungen des kontextes sowie der situativen rahmenbedingungen nach. veränderungs-„steuerung“ auf personale veränderungen zu beschränken, würde den systemischen blick unnötigerweise verengen – obschon dies momentan beobachtbaren psychologisierungsversuche des „systemischen“ deuten darauf hin. durchaus „trendy“ scheint. sein die zu was bedeutet dies für systemisches handeln? „lernen“ auf anpassungs- und veränderungserfordernisse systemisches handeln in beratung und training heißt nicht unbedingt, dass mit dem reflex systemisches handeln ist immer auf eine perspektivenerweiterung der beobachter*innen angelegt – entlang der frage: wie könnte es auch anders sein? und: welche anteile sind relevant für dieses „anders sein“? systemisches denken und handeln ist damit eher ein labyrinth mit unterschiedlichen reagiert wird. zugängen und neu entdeckbaren quer- und ausgängen, denn ein geschlossenes modell. das macht systemisches denken für pädagogisch motiviertes handeln attraktiv, denn es begegnet dessen komplexität mit adäquaten, ebenfalls komplexen (denk-) strukturen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 177

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ fritz b. simon (2008, s. 112 – 116), selbst ein urgestein „systemischen denkens“ formuliert für systemische denker*innen 10 gebote, die orientierungen in den labyrinthen systemischen denkens und handelns ermöglichen: 1. „mache dir stets bewusst, dass alles, was gesagt wird, von einem beobachter gesagt wird. 2. unterscheide stets das, was über ein phänomen gesagt wird, von dem phänomen, über das es gesagt wird. 3. wenn du informationen (be) schaffen willst, triff unterscheidungen. 4. trenne in deiner inneren buchhaltung die beschreibung beobachteter phänomene von ihrer erklärung und bewertung. 5. der status quo bedarf immer der erklärung! 6. unterscheide elemente, systeme und umwelten! 7. betrachte soziale systeme als kommunikationssysteme, d.h., definiere ihre kleinsten einheiten (elemente) als kommunikationen! 8. denke daran, dass die überlebenseinheit immer ein system mit seinen relevanten umwelten ist! 9. orientiere dein handeln an repetitiven mustern! 10. betrachte paradoxien und ambivalenzen als normal und erwartbar.“ „systemisch“ – wie andere das beschreiben ... „das wörtchen „systemisch“ ist mittlerweile zu so etwas wie einem „projektiven test“ psychosozialer professionen geworden: alle führen es im munde und meist tun zwei, die darüber reden, als meinten sie damit das gleiche. bei genauerem hinhören zeigt sich aber oft eine babylonische bedeutungsvielfalt des begriffs. die sprachliche nähe zu „systematisch“ lässt manche hoffe, systemisches denken könne ordnung und struktur in das chaos menschlicher beziehungen bringen. andere versprechen sich davon vor allem eine ganzheitliche blickrichtung, beschreibungen, wie alles vernetzt ist. ...“ (von schlippe/schweitzer 1999, s. 49) „zu erklären, was systemisch-konstruktivistisches danken nun wirklich ist, begründet bereits einen widersprich in sich: es gibt wohl unendlich viele unterschiedliche definitionen von konstruktivismus ebenso wie von systemischer arbeit – definitionen, die hauptsächlich aus dem blickwinkel des individuellen tätigkeitsbereiches festgelegt werden.“ (radatz 2000, s. 31) _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 178

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ „systemisches denken heißt zirkulär denken.“ (radatz 2000, s. 62) „systemisches denken bedeutet, in auswirkungen zu denken.“ (radatz 2000, s. 67) „systemisches denken ist ziel-, nicht „ursachen“- und vergangenheitsorientiert.“ (radatz 2000, s. 69) „systemisches arbeiten bedeutet prozessarbeit.“ (radatz 2000, s. 76) „systemische intervention in der organisationsberatung bedeutet (...) zielgerichtete beraterische kommunikation in organisationen – wobei diese als soziale systeme verstanden werden und der gesamte prozess der beratung methodisch unter gesichtspunkten der modernen systemtheorie reflektiert und angeleitet wird.“ (königswieser/exner 1999, s. 17) „systemisches denken verstehe ich als allgemeine denkmethode, die grundfragen menschlicher und natürlicher existenz zum gegenstand macht. im hinblick auf das problem des erkennens stellt diese denkweise den beobachter bzw. das beobachten an den anfang jeder weltbeschreibung.“ (ludewig 1999, s. 39) zurück zum inhalt systemtheorie dieses stichwort vermittelt womöglich, dass es so etwas wie „die systemtheorie“ gibt. systemtheorie ist allerdings, so niklas luhmann (1993, s. 15), „heute ein sammelbegriff für sehr verschiedene bedeutungen und analyseebenen. das wort referiert keinen eindeutigen sinn“. insofern stellt sich „die systemtheorie“ nicht als ein klar konturiertes und abgegrenztes denkgebäude dar – dies wäre übrigens auch ein widerspruch zu ihren grundaussagen. denn systeme – auch „erkenntnissysteme“ – „oszillieren“: das macht sowohl ihre lebendigkeit aus, als auch die unmöglichkeit, sie überzeitlich zu „erfassen“. dies bedingt ein verändertes verständnis von „wirklichkeit“. der „joker“ der systemtheorie ist – wie dirk baecker in seinem buch „wozu systeme?“ (baecker 2002, s. 83) feststellt – das prinzip der nichtlinearität. dies konfrontiert eine bereits bestehende relation mit einer „parasitären beziehung“. insofern eignet sich die systemtheorie gemeinsam mit ihrer erkenntnislehre, dem (→) konstruktivismus, zur beobachtung, beschreibung, erklärung und deutung von solchen phänomenen, die sich ebenfalls durch nichtlinearität und nicht- trivialität auszeichnen (so denken und sagen es die einschlägigen „wollen“ _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 179

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ beobachter*innen). das mag ihre starke rezeption im beratungskontext mitbegründen. der joker „systemtheorie“ schafft insofern überraschende möglichkeiten, selbst wenn das derart beschriebene und erklärte (→) „system“ es sich bereits bequem gemacht hatte mit den bestehenden verhältnissen. der joker schafft eine „neue verzweigung“ (baecker 2002, s. 84). relevante denkansätze dessen, was da im systemtheoretischen „kontext“ oszilliert, sind für diese texte die theorie sozialer systeme, wie sie niklas luhmann in seinem verzweigten theorie-labyrinth angelegt hat (zentral: luhmann 1993, 1997a), nebst deren auf unternehmen bzw. die organisation bezogenen ausformulierungen und „übersetzungen“ von dirk baecker (baecker 1993, 1994, 1999, 2003) und helmut willke willke 1991, 1994, 1995). diese nehmen u.a. bezug auf das konzept der autopoiesis der chilenischen biologen maturana (1985) und varela (maturana/varela 1987) und werden in ihren zentralen figuren und auf der erkenntnistheoretischen ebene vom (radikalen) konstruktivismus befruchtet (von foerster 1981, von glasersfeld 1997), den hierzulande insbesondere horst siebert für die pädagogische praxis zugänglich gemacht hat (siebert 2003). anschlüsse gibt es – insbesondere bezüglich des lernens - zu gregory batesons denkgebäude einer „ökologie des geistes“ (bateson 1992) sowie – bezogen auf interventionen auf der mikroebene – zur systemischen therapie (vgl. die beiträge bei kersting 1999, simon/simon 2000, simon 2004) der sogenannten „heidelberger schule“, die sich durch eine rezeption der systemtheorien im hinblick auf therapeutische praxis besonders auszeichnet und die ihrerseits (u.a.) bezüge zur „mailänder schule“ hat (vgl. selvini-palazzoli u.a. 1977). was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? den „joker systemtheorie“ nutzen, um neue verzweigungen für das intervenierte system zugänglich zu machen. an der frage von identität und differenz arbeiten, um dem intervenierten system zugänge zu „sich selbst“ (und dem unterschied zu seiner umwelt) und seinen (selbst-) beobachtungen zu ermöglichen (→ beobachtung). systemisch denken und handeln! (→ systemisches denken) zurück zum inhalt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 180

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ umdeuten auf die auseinandersetzung mit der frage, ob es nicht doch auch anders sein könnte – und das heißt: bezogen auf die auseinandersetzung mit kontingenten möglichkeiten (→ kontingenz) - soll all jenes hinauslaufen, was als wirkung der (→) irritation entwickelt wurde. die irritation stört etablierte muster und macht alternative deutungen möglich oder notwendig. dafür ist alles brauchbar, was zu hilfreichen „umdeutungen“ anregen und führen kann. ist ein umdeuten erfolgreich, hat sich der mögliche (→) sinn für die (→) haltung und für das verhalten einer person, für dynamiken, mechanismen, muster oder regeln von interaktionen in sozialsystemen bzw. für verfahren, routinen, strukturen oder prozesse in einem organisationskontext verändert oder erweitert. es sind andere unterscheidungen in anschlag gebracht worden: „jede art der umdeutung bedeutet, eine andere unterscheidung vorzunehmen.“ (kersting 1996, s. 34) insofern ist das umdeuten das zentrale „brauchbare basiskonstrukt schlechthin für jede psychosoziale veränderung“ (kersting 1991, s. 116) – und mehr als eine bloße „methode“. umdeuten ist, die wirksamkeit von psychotherapeutischen, pädagogischen und supervisorischen verfahren zu erklären. ein ist ein konstrukt, das geeignet umdeuten beinhaltet notwendigerweise eine veränderung oder erweiterung der sinngrundlage von denken, deuten und handeln. es ist durch das konzept der neurolinguistischen programmierung als „reframing“ populär geworden und insbesondere von rolf arnold und horst siebert (arnold/siebert 1995) in den erwachsenenpädagogisch konstruktivistischen begriffsbildungskontext übernommen worden. „beim umdeuten bleibt das vorhandene, wie es ist, ihm wird jedoch eine andere bedeutung gegeben.“ (simon/rech-simon 2000, s. 280) dadurch können beispielsweise verhaltensweisen, die als defizite oder schwächen etikettiert waren, als stärken, ressourcen oder kompetenzen „entdeckt“ werden. in einer gruppencoaching-situation arbeitete ich mit führungskräften am „problem“: „ich bin immer so rational, kann keine emotionen zeigen!“ erst die umdeutung von „rationalisierung“, das beim protagonisten bis dahin als „verkopft“-distanzierte zugangsweise ausschließlich negativ besetzt war, als „schatz“ und kompetenz-ressource im hinblick auf klar strukturierte beobachtung und situationsdiagnose, ermöglichte es dem fallbesitzer, emotional zu werden – und dies auch (lauthals!) zu zeigen. dadurch, dass er sich selbst und seinem anteil des „rationalisierers“ gegenüber emotionale nähe und wertschätzung entgegenbringen konnte, wurde es auf basis dieser umdeutung auch möglich, anderen nahe zu kommen _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 181

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ und gefühle zu zeigen. die umdeutung des problems zur qualität hatte zugleich das „problem“ gelöst. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? methodisch kann ein umdeutungsprozess unterschiedlich angestoßen werden, z.b. im feedback durch mitteilung von wahrnehmungen, wirkungen und wünschen oder in inneren rollenspielen und dialogen, die kontakt zwischen dem teil der person herstellen, der für das aktuelle verhalten und seine deutung „zuständig“ ist und demjenigen teil, für den das verhalten und seine alternative deutung auch (einen anderen) sinn machen könnte. dadurch entstehen neue perspektiven und sinnhorizonte, indem das verhalten einen neuen rahmen (frame) zugeschrieben bekommt, in dem es einen anderen sinn bekommt. häufig ist das umdeutende hervorheben der funktionalität des beklagten verhaltens ein „gegenmittel gegen kritisch-abwertende sichtweisen und kommunikationsmuster“ (simon/rech-simon 2000, s. 280). aber auch die umdeutung eines verhaltens, das bislang als nützlich und positiv bewertet wurde, als problematisch (z. b. weil es aufgrund häufiger wiederholungen selbst zum problem geworden ist) ist möglich. lernprozesse werden durch interventionen, die auf umdeutungen hin angelegt sind, zwischen aktualität und potenzialität oszilliert. sie beziehen sich auf einzelpersonen, gelegentlich auch auf gruppen und teams, die ja auch verhaltensweisen und mechanismen konserviert und mit einem bestimmten sinn hinterlegt haben, der umdeutungsfähig und gelegentlich auch –bedürftig ist. personale und soziale systeme mehrere profitieren umdeutungserfahrungen dadurch, dass von sie deutungsmöglichkeiten für bestimmte situationen vorhalten können. umdeutungen regen den „möglichkeitssinn“ an, den robert musil in seinem „mann ohne eigenschaften“ vom „wirklichkeitssinn“ unterscheidet für mögliche wirklichkeiten. wenn organisationale systeme tatsächlich „lernende systeme“ (vgl. orthey 2006) sein oder werden können, dann dadurch, dass diese unterschiedlichen deutungsmöglichkeiten (musil 1978). dies ist ein sinn für organisationale herausforderungen genutzt werden, indem sie aktualisiert werden, um die strukturkonservatismen und bewährten routinen der organisation befragen zu können oder sie in ihrer „eigentlichen“ funktion (z.b. bestandswahrung statt problemlösung durch in der veränderung) deuten zu können. lernende systeme würden sich _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 182

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ organisationsdimension dadurch auszeichnen, dass sie einerseits eine vielzahl von deutungsmöglichkeiten vorhalten könnten, andererseits aber insbesondere solche formen in strukturen und routinen konserviert hätten, die es – quasi als „umdeutungsagenturen“ - ermöglichen, die eigenen strukturen und routinen immer wieder auch aus anderen und neuen sinnperspektiven beobachten und daraus strukturelle rückschlüsse für die organisation ableiten zu können. dies käme z.b. in institutionalisierten reflexionsstrukturen wie einzelcoaching, gruppencoaching oder organisationsberatung zum ausdruck: selbstorganisierte selbstirritation zwischen stabilität und irritation. oder (umgedeutet?!): routinen des routinierten routinebrechens. das ist für systemische interventionist*innen eine wichtige perspektive in der organisationsberatung. zurück zum inhalt umwelt (→ system) „umwelt“ - das ist die gesamtheit der systeme, ereignisse und handlungen, an deren grenzen sich ein system konstituiert. jedes system hat seine eigene umwelt. es ist aber als system auch teil der umwelt anderer systeme. „umwelt ist ein systemrelevanter sachverhalt. jedes system nimmt nur sich aus seiner umwelt aus.“ (luhmann 1993, s. 249) die umwelt ist demzufolge immer komplexer als das system. die unterscheidung von system und umwelt verdeutlichen die mitwirkenden eines von peter fuchs (1993) beschriebenen privatissimums über systemtheorie: „siebenschwan: wir wollen uns nicht streiten. indem ich system und umwelt als eine unterscheidung auffasse, ist zugleich klargestellt, dass ich das eine ohne das andere nicht haben kann. gestatten sie mir einfach die formulierung, dass diese unterscheidung deutlich macht, dass system und umwelt zueinander gehören, einander so bedingen wie die zwei seiten einer münze. woltersbeck: die form des systems ist also differentiell, oder anders gesagt: zweiseitig. das system ist es selbst durch das nicht-es-selbst, eine spur in der welt, die als spur nur kenntlich wird durch das, was die spur nicht ist, das jenseits ihres randes, ihr negativprofil. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 183

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ frederik: (mittlerweile wieder an seinem platz) kann man das nicht eine spur weniger pompös haben? frieda: die umwelt eines systems ist alles ohne das system. und umwelt und system zusammengenommen, ist immer die welt. woltersbeck: so kommt man zu vielen welten, wenn man viele systeme unterstellt. dr. hasso von beben: zu einer pluralen ontologie, ich seh‘ schon. zu einer komplizierten fassung des sprichworts, dass das, was dem einen sein uhl, dem anderen sein nachtigall ist.“ (fuchs 1993, s. 90/91) was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? wenn sich systeme von ihrer umwelt unterscheiden, sich an den grenzen zu ihrer umwelt abarbeiten, dann ist die kategorie der umwelt interessant für die (mögliche) identität, die ein system für sich generiert. welche sicht der umwelt lässt das system so erscheinen, so werden, wie es sich sieht – und gesehen werden will? was wird als umwelt beobachtet, welche sicht der umwelt ist für das sich unterscheidende system brauchbar? das, was das system als seine umwelt beschreibt, sagt insofern viel über seine (→) identität aus. denn auch wenn umwelt systemtheoretisch als totalitätskategorie daherkommt, gibt es sie nur beobachterabhängig, sobald sie aus systemsicht beschrieben wird. wenn umwelt als global, ökonomisch, bedrohlich, flüchtig und riskant beschrieben wird, dann hat das auswirkungen auf das, was dem system möglich wird. das ist etwas anderes als das, was angesichts von beschreibungen wie natürlich, ökologisch, anregend, interessant und einladend möglich werden könnte. insofern hat die umwelt – häufig unterschätzte – einflüsse auf die innenkonstitution des systems, auf das, was es tun, lassen, sehen und nicht sehen kann. sie ist für systemische interventionist*innen in dem ausschnitt, der aus systemsicht beschrieben wird, von hohem informationswert. wenn das system sich schwertut mit einer selbstbeschreibung, dann hilft manchmal der weg über die beschreibung der anderen seite, der umwelt weiter. interessant ist z.b. in der beobachtung von organisationen, welche relevanten umwelten es für das überleben des systems gibt (vgl. simon 2007, s. 32f). und wie diese das jeweilige system „sehen“. sinn machen insofern systemerkundungen aus sicht von systemen der relevanten – und manchmal auch der nicht-relevanten – umwelt. phantasiereisen können solche perspektivwechsel ermöglichen, z.b. in coachingsettings. hätten die dinosaurier solche _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 184

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ möglichkeiten gehabt und genutzt, wären sie womöglich nicht ausgestorben. ebenso wenig wie so manches ambitioniert – und frei von einschätzungen der umwelt – zusammengeschusterte unternehmenskonstrukt. erfahrungsgemäß helfen auch mauern nicht besonders viel, um ein system von der umwelt „zu schützen“. systemisch kompetente systeme holen sich gezielt die irritationen der umwelt ins innere des systems. neulinge, seiten- und quereinsteiger oder kundenvertreter in projekten bringen (für einen gewissen zeitraum jedenfalls) einen hauch von umwelt ins system hinein. und natürlich systemische berater*innen. die leben ja davon. zurück zum inhalt veränderung mit „veränderung“ wird die differenzbeobachtung zwischen zwei zuständen zu unterschiedlichen zeitpunkten beschrieben. im kontext von beraten, trainieren und leiten wird diese beobachtung zumeist als ergebnis von lernprozessen gedeutet. veränderung und (→) lernen hängen also zusammen. in einer zeit, die von change-einredungen (vgl. doppler 2017) und anderen schicken veränderungsbegrifflichkeiten dominiert wird, scheint es, als gelte nichts mehr als der abgewandelte bekannte kommunikations-satz von paul watzlawik: „man kann (sich) nicht nicht verändern“. dass dies so erscheint, ist zuallererst indiz dafür, dass heutzutage unterscheidungen konjunktur haben, die veränderungen beobachtbar machen (wollen). dies ist die dynamik einer „zeit der modernisierung“ (orthey 1999), die sich dadurch auszeichnet, dass immer schneller immer andere und neue unterscheidungen zur beobachtung von veränderung angelegt werden. die heutigen veränderungseuphorien sagen also zunächst einmal etwas aus über diejenigen, die sich selbst, andere und deren beziehungen, unternehmen, organisationen, kulturen „change management“ (vgl. doppler/lauterburg 2014) ein dauerbrenner religionen, politik oder die gesellschaft gerne als verändert beobachten wollen. insofern ist in unternehmen, der vor allem dafür steht, wie sie gerne beobachtet werden wollen. weil „veränderung“ insofern ein beobachtungskonzept ist, muss immer auch mitgefragt werden, was die proklamation von veränderungsabsicht über die beobachtenden aussagt – und was sich letztlich tatsächlich als veränderter zustand beobachten lässt bzw. auch, was die angestrebte veränderung auch an (anderer) veränderung verhindert. denn alle _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 185

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ veränderungswünsche entstehen notwendigerweise auf der basis derjenigen deutungsmuster, die gerade verfügbar sind. das bedeutet noch lange nicht, dass das ziel des angestrebten veränderungsprozesses, z.b. in einem coaching, bereits klar ist. diagnostisch interessant ist aber zunächst der veränderungswunsch als solcher. die annahme allerdings, dass damit bereits der angestrebte zielzustand klar markiert sei, wäre systemisch gesehen kurzschlüssig und oftmals wenig zutreffend bzw. auch nicht hilfreich. denn hinter einer geäußerten veränderungsabsicht kann auch das streben nach der erhaltung oder wiederherstellung eines bestimmten – manchmal gar: krankhaften – systemzustandes stehen. klare veränderungsziele vorauszusetzen, würde also in diesem falle bedeuten, einen beitrag zur weiteren stabilisierung des systems auf anderem niveau zu leisten. zudem ist mit einzubeziehen, dass die genaue (→) steuerung von lern- und veränderungsprozessen nicht möglich ist, weil es sich um nicht-triviale prozesse handelt (→ nicht-trivialität). diesen bekannten schwierigkeiten von veränderungen wird heute in systemischen kreisen u.a. mit den in diesem text angesprochenen interventionen, designs und architekturen begegnet. neben der systemischen binsenweisheit, dass - den basisannahmen von (→) autonomie und (→) autopoiesis folgend - wirkungsvolle veränderung nur selbstveränderung sein kann, wird veränderung in der regel als prozess konzipiert. dies folgt der erkenntnis, dass veränderung (→) zeit benötigt und – je nach interveniertem system – ganz unterschiedlichen zeitlichkeiten bzw. systemzeiten folgt. kurt lewin hat den grundsätzlichen prozess in drei phasen strukturiert: das nötige auftauen („unfreezing“) festgefahrener verhaltensmuster ist voraussetzung einer phase der veränderung („changing“), der dann die stabilisierung neuerworbenen verhaltens („refreezing“) folgt (vgl. geißler/hege 1992, s. 138ff). in der ersten phase wird dabei – gelegentlich schmerzlich – deutlich, dass vorhandene denk- und verhaltensweisen den anforderungen der situation nicht mehr entsprechen. setzt sich dies mehr und mehr durch, gedeiht die einsicht, dass es eine veränderung braucht. diese phase ist notwendigerweise mit vielen störungen und mit (→) irritation verbunden, das system gerät immer wieder ins ungleichgewicht, (→) oszilliert innerhalb von differenzen. personen in veränderungsprozessen sind häufig emotional ambivalent, hin- und hergerissen zwischen lust und frust. setzt sich schließlich veränderungsbereitschaft durch, wird in der zweiten phase experimentiert und probiert. verhaltensweisen werden im experimentierstil _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 186

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ entworfen und auf ihre passung, stimmigkeit und brauchbarkeit bezogen auf die anforderungen der situation hin getestet. auch hier sind prozesse des oszillierens zwischen aneignung und ablehnung notwendig – was meistens mit anstrengungen ist diese phase erfolgreich gewesen, kann das erfolgreiche verbunden ist. anpassungswissen und -verhalten integriert werden in den verfügbaren sinnbestand. es ist ein deutlich veränderter zustand empirisch beobachtbar, der dann eingefroren werden kann. diese prozesshaftigkeit beinhaltet bei personen das auftauchen unterschiedlicher gefühlslagen, z.b. schock, nicht-wahrhaben-wollen, wut, aggression, trauer, aufbruchstimmung, euphorie – und manchmal auch ein durcheinander von alledem. wie dies idealtypischer weise abläuft, wird oft mit veränderungskurven erklärt, die meist auf die sterbekurve von elisabeth kübler-ross (2020) bzw. die trauerphasen von verena kast (2013) zurückgehen. solche modellhaftigkeiten können für systemische interventionist*innen hilfreich sein, um veränderungen beobachten und deuten zu können. wichtig zu berücksichtigen ist es, dass solche phasen individuell unterschiedliche zeitlichkeiten haben. manche/r ist schnell (oft: vermeintlich) in der neugier, während andere kaum aus dem tal der trauer herauskommen wollen. systemisch wichtig ist es, dass die (manchmal auch anders) benannten phasen ein wichtige funktion haben, um im veränderungsprozess fortschreiten zu können, es also wichtig ist, die vorherigen phasen zu durchleben. berater*innen haben hier oft die rolle von begleitenden, die wahrnehmungen und bewusstheit der jeweiligen dynamik fördern. wirklichkeiten halten sich nicht immer an modellhaftigkeiten. insofern es auch zwischen den phasen plötzliche wechsel und rückschritte geben kann. gelegentlich ist auch ein spiralförmiger verlauf beobachtbar, wenn manche phasen auf einem anderen ausgangsniveau zu einem späteren zeitpunkt wieder auftauchen. insofern ist eine solche kurve eine hilfreiche beobachtungs- und deutungsschablone – auch bezogen auf abweichungen vom modell, die ja immer auch systemisch interessant sein können, weil sie etwas über die muster im system zeigen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 187

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ auch auf der ebene des designs von veränderungsprozessen können solche modellhaftigkeiten wichtige orientierungen geben – unter anderem über zu erwartende personale dynamiken, aber auch über die zeitlichkeiten, die ja gerne von ambitionierten changemanagern etwas überoptimistisch eingeschätzt werden. denn ja, gerne soll der angestrebte zustand möglichst schnell erreicht werden und wirksam werden. dass es da ablösungsarbeit, verlernen und auch trauer braucht, ist vielen fremd (was auch schon eine systemisch interessante information - oft auch über die kultur in der organisation - sein kann). ganz pragmatisch kann es in (der begleitung von) veränderungsprozessen sinn machen, ➢ positive einstellungen und energien gegenüber den veränderungen zu unterstützen und zu anbieten ➢ ziele und vorhaben in kleine teilprojekte zu unterteilen und damit leichter erreichbarer zu machen ➢ das alte, das vergangene zu würdigen und zu verabschieden. und ja: dass betroffene bestenfalls beteiligte sein sollten – und zwar von anfang an – ist zwar eine systemische binsenweisheit, wird aber trotzdem (oder deshalb?) gerne vergessen. da diese dynamiken systembedingt eigentümlich und eigenartig sind, lautet die aller erste konsequenz für wirkungsvolle veränderungsinterventionen die konsequente miteinbeziehung des intervenierten systems in den veränderungsprozess. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 188

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ und dann: „willkommen widerstand“ (doppler 2017, s. 138)! changemanagement ist widerstandsmanagement. wenn widerstände ausbleiben oder fehlen, dann schrillen die alarmglocken. „bewerte widerstand als realitätskontakt.“ (groth 2017, s. 74 mit bezug auf niklas luhmann) denn widerstand ist energie! was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? zuallererst benötigt beabsichtigte veränderung einen geklärten und förderlichen rahmen. das beginnt mit dem kontrakt über die beabsichtigte veränderungsarbeit, deren zweck und (möglichst!) ziel aus jetziger sicht, ihre form (z.b. coaching oder team- bzw. organisationsentwicklung), die zeitlichen, räumlichen, rechtlichen, organisationalen, pekuniären rahmenbedingungen usw. und endet bei der schaffung eines rahmens, der lernen und veränderung unterstützt, also eines anregenden und entlastenden „kleinen clobe“ bzw. einer ebensolchen „lernumgebung“. da jeder veränderungsprozess spezifisch ist, hat auch jedes vorhaben ein eigenes design. folgende elemente bieten sich als orientierungshilfe für systemische veränderungsarchitekturen an (orthey 2006, s. 749). „suchen“ auftragsklärung (1) (cid:112) diagnose bilden (2) (cid:112)(cid:110) hypothesen entwickeln (3) (cid:112) „erfinden“ irritationsebene entscheiden (kontext, inhalt, beziehung, person, …) (4) irritationsdesign oder –intervention(en) planen (5) (cid:112)(cid:110) (cid:112) „gestalten – beobachten -verändern“ intervention/einblendung der irritation ins systemgeschehen (6) (cid:112) rückkoppelung durch beobachtung (ggf. mehrfach) (7) (cid:112) _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 189

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ggf. nachjustieren durch folgeinterventionen (ggf. mehrfach) (8) (cid:112) wirkzeitraum (ggf. mehrfach) (9) (cid:112) „anschlussfähig machen – sichern –reflektieren“ reflexion im beratungs- oder steuerungssystem mit dem intervenierten system im hinblick auf veränderungen von alternativen (um-) deutungsmöglichkeiten, veränderten unterscheidungen, neuen sinn- und wissensbeständen, neuen handlungs- und verhaltensmöglichkeiten, veränderten modellen, routinen, mechanismen, strukturen oder prozessen usw. (10) (cid:112) stabilisierung und evaluierung (11) (cid:112) meta-reflexion des prozesses im sinne des lernens zweiter und dritter ordnung im hinblick auf die konservierung von routinen der selbstirritation (12) zudem zu bedenken ist der aspekt der zeitlichkeit: nicht jede veränderung ist jederzeit möglich. ein team in der konflikt- oder differenzierungsphase wird sich z.b. massiv gegen von außen herangetragene regeln abgrenzen, um seine gerade entstehende identität zu schärfen. insofern stehen häufig für eine veränderung nur bestimmte zeitfenster zur verfügung, die günstigstenfalls in der auftragsklärungs- bzw. diagnosephase (1) und (2) identifiziert werden. das heißt auch, dass eine zu einem bestimmten zeitpunkt erfolgreiche veränderungsstrategie zu einem anderen zeitpunkt wirkungslos bzw. sogar kontraproduktiv sein kann. bei der justierung einer passenden und stimmigen zeitlichkeit ist auch eine reihenfolge zu berücksichtigen. zudem benötigen anzugehenden und angegangene veränderungsprozesse (→) mut, ausdauer und entschlossenheit. denn es gibt in einem „guten“ veränderungsprozess notwendigerweise viel unbekanntes, es gibt ängste, widerstände und abwehr, die sich auch gegen die insofern braucht es ruhe, beruhigung, (→) vertrauen - nicht zuletzt in sich selbst - und (→) gelassenheit. zudem interventionist*innen richten können. eine gesunde (→) bescheidenheit und als zentrale erfolgsfaktoren die drei biblischen alten sozialarbeitertugenden: glaube, hoffnung und liebe. wer nicht an die veränderungsfähigkeit seines auftraggebers oder klienten glaubt, sollte sich nicht in einen solchen prozess hineinbegeben, wer nicht begründete erfolgshoffnungen hat, sollte dies _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 190

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ebenfalls besser lassen. (→) liebe als kommunikationsmedium für die gestaltung eines anregenden, schätzenden und auch schützenden rahmens ist indes wohl auch hier ein schlüsselfaktor. und eine brise (→) humor schadet nie. zurück zum inhalt verrücktheit verrücktheit als solche hat den vorteil, dass wir sie ganz gut kennen, ohne sie ganz gut zu kennen. immerhin wissen wir, dass gelegentlich menschen verrückt werden, oder auch tische oder stühle. „in gleicher weise, wie tassen, die nicht alle im schrank sind, zeichen einer gestörten ordnung sind, sagt aber die verrücktheit, dass unordnung entstanden ist – und zwar plötzlich, ohne sanften übergang, ruck, zuck.“ (simon 2004, s. 15) das interessante daran ist die frage, die sich angesichts der wahrnehmung von unordnung stellt: welche ordnung? unordnung im verhältnis wozu? welche ordnung ist - für wen - so „normal“, dass der eindruck von unordnung entstehen kann? fragen also nach den (→) unterscheidungen, die den wahrnehmungen von verrücktheiten zu grunde liegen. auf basis bestimmter unterscheidungen kann sich eine systemische interventionist*in völlig verrückt machen – im sinne von: ihre verrücktheit nachhaltig und wirkungsvoll selbst so zu organisieren, dass sie die zuschreibungen von verrücktheit ernten kann – oder wahlweise für normal gehalten werden kann. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? wenn wir die selbstorganisationsannahme von verrücktheit, die besagt, dass ein system in der lage ist, seine verrücktheit in bezug auf eine bestimmte funktion und reaktion, die ihm nützlich erscheint, selbst zu organisieren, wenn wir diese annahme auf unser thema beziehen, dann hätten kluge systemiker*innen ihre eigene verrücktheit erfunden und organisational konserviert. eine derart „verrückt gemachte organisation“ wäre eine beratungsorganisation, die die „normalität“ organisationaler „krankheit“ zum konzept ihrer reproduktion gemacht hätte. verrückte organisationen sind völlig normal (das können nicht nur viele klient*innen bestätigen), nicht aber solche, die sich die unterscheidung von normalität und verrücktheit zunutze machen. eine verrückte (beratungs-) organisation _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 191

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ hätte gelernt, dass den spielarten von normalität und verrücktheit das gleiche strukturierungsprinzip zugrunde liegt: das unterscheiden. sie hätte gelernt, die ihr eigenen, „normalen“ organisationalen verrücktheiten konsequent auf sich selbst anzuwenden. damit könnten sie zum beispiel verrückt genug sein, die bequemlichkeit einer eigenen (→) geschichte, die sich über das wiederholte erzählen gleicher geschichten tradiert und verfestigt, zu (zer-) stören. so würden sie sich „kontrolliert“ verrückt machen, die verrücktheit als ressource abschöpfen, statt sie zu bekämpfen. systemiker*innen brauchen dazu nur das zu tun oder zu lassen, was sie selbst hervorbringen: ordentlich unordnung. sie müssten nur die fähigkeit etablieren, dies anders zu beobachten. via lernen und entwicklung. um zu unterscheiden, was sich unterscheidet, was sich unterscheidet usw. wer kann so verrückt sein, wer ist verrückt genug oder kann sich so verrückt machen, dass die unmögliche möglichkeit von beratung, leitung und steuerung im fünfeck (→ pentagrammatik) sinnvoll möglich wird? das ist eine frage, die bei der berufswahl und der auswahl von berater*innen, trainer*innen und coaches unbedingt gestellt werden müsste. gewinner in einem solchen assessment würden wohl diejenigen werden, die lustvoll freude daran hätten, solche verrücktheiten mitzugestalten. nicht allzu sehr getrübt von erdrückenden spezialistenkenntnissen, sondern nur versehen mit dem nötigsten, mit sensibilität, zugewandter achtsamkeit und wertschätzung und einer portion kreativer ignoranz. wo endet das? es könnte bei denjenigen enden, die heutzutage vergessen oder mindestens verkannt werden: bei den privatiers, den amateuren, den müßig- und spaziergängern oder den dilettanten. wie bitte? ja, der „dilettant“ als gegenbild des omnipotenten und allgegenwärtigen profis der beratungsgewerke, der mit vergnügen so manches erledigt, was sich als aufgabe für die zahllosen professionellen nicht rechnet. und der in zeiten der totalverzweckung des subjekts (geißler/orthey 1998), seiner lückenlosen erfassung und ökonomisierung, seiner professionalisierung und totalrationalisierung und seiner völligen erschöpfung im uniformen besonderheitshaschen der heutigen beratungsmarktlichen ästhetik ein wenig leben in die bude bringt. aber bitte ..., „dilettanten“ ...? wer hat die glühbirne erfunden, die relativitätstheorie, das internet aufgezogen? alles dilettanten! _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 192

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ natürlich wissen wir profis heute meist nicht mehr, dass der dilettant, den wir mittlerweile mehr oder weniger zum pfuscher gemacht haben, sich von „diletto“, der freude, ableitet. avanti dilettanti! zurück zum inhalt vertrauen im vertrauen: „als die arbeit unvertraut wurde – wurde vertrauen zur arbeit“ (geramanis 2002, s. 107). heute wird angesichts unvertrauter arbeit, also einer arbeit mit wenig routinen und hohen unsicherheitsniveaus, vertrauen als konzept der organisationsgestaltung entdeckt. vertrauen ist richtiggehend in mode gekommen. wir von zugunsten „vertrauensgleitzeit“. wenn bemerken das an offenen managertüren, die offenheit symbolisieren sollen, wir bemerken es an „vertrauens-vollen“ arbeitsformen wie selbstorganisierter team- oder gruppenarbeit – und wir bemerken es an dem abbau von kontrollmechanismen, wie z.b. zeiterfassungssystemen im „führungsgespräch” eines großkonzerns, das für alle führungskräfte verbindlich ist und eine vertrauensvolle rückmeldekultur etablieren soll, gefragt wird „wie vertrauensvoll erleben sie die zusammenarbeit mit ihrem vorgesetzten?” dann steht das (dies war ende der 1990-jahre) für einen paradigmenwechsel bezüglich des kontrollthemas. kurz gesagt lautet der trend: weniger „fremd“, mehr „selbst“ und für den kontext der arbeit systemischer interventionist*innen heißt es: vertrauen ersetzt kontrolle. denn: „vertrauen gewinnt“ (cichy/matul/rochow 2011) – das ist jedenfalls die hoffnung. vertrauen kann als ressource verstanden werden, die (→) komplexität reduziert (vgl. geramanis 2002). das macht angesichts von komplexitätsüberschüssen auch den charme der kategorie für systemische rationalisierungsstrategien in den organisationen aus. „im falle des vertrauens nimmt diese komplexitätsreduktion durch subjektivierung besondere formen an. sie könnte beschrieben werden als veränderung des niveaus, auf dem unsicherheit absorbiert bzw. tragbar gemacht wird. das system setzt innere sicherheit an die stelle äußerer sicherheit und steigert dadurch die unsicherheitstoleranz in externen beziehungen.“ (luhmann 1989, s. 27/28) insofern ist vertrauen ein soziales kapital, das transaktionskosten reduziert, weil keine kontrollen mehr nötig sind oder weil verträge nicht geschlossen werden müssen. damit es _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 193

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ diese funktion erfüllen kann, ist es zunächst nötig, dass es entstehen kann. denn vertrauen kann nicht einfach verfügt werden, es kann sich nur entwickeln, braucht zeit und entsprechende emotionale voraussetzungen. letztlich hängt die entstehung von vertrauen doch ab vom treuegeber, der entscheidet, ob vertrauen geschenkt wird oder nicht. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? vertrauen ist für die arbeit systemischer interventionist*innen einerseits eine arbeitsgrundlage. in beratungs-, coaching oder trainingssituationen ist vertrauen notwendige voraussetzung im beratungs- bzw. lernsystem. andererseits ist die entwicklung von vertrauen häufig auch der gegenstand der arbeit, z.b. in der arbeit mit teams, gruppen oder organisationen. systemische interventionist*innen sind insofern vertrauens-entwicklungshelfer: sie können dazu einen geschützten rahmen schaffen, der vertrauensentwicklung unterstützt, sie können durch sich selbst, ihre wirkung als person, ja: auch über ihren eigenen vertrauens-vorschuss vertrauensbildung unterstützen, sie können durch authentisch gestaltete begegnungen, nahe, gut balancierte beziehungen, in verbindung mit (→) interesse und zuhören, durch kompetenz durch echtes bescheidenheit und geduld vertrauensbildend wirken. letztlich müssen sie auf ihre klient*innen vertrauenswürdig wirken. das was sie in diesem sinne tun können, basiert auf echter zuwendung, echtem interesse – letztlich auf (→) liebe. und es braucht: (→) zeit. damit sich vertrauen „bilden“ kann. vertrauen hat insofern viel mit bildung zu tun. „vertrauen und bildung sind aber qualitative dimensionen. sie brauchen spielräume jenseits eines ausschließlich ökonomisch gestalteten raumes.“ (geramanis 2002, s. 231) interventionist*innen gestalten solche spielräume – und ernten systemische günstigstenfalls vertrauen. das ist die (→) kunst. zurück zum inhalt werte (der interventionist*innen) „werte“ erscheinen für die umsetzung in handlung bedeutungsvoll, weil sich im je individuellen wertekonstrukt (→) sinn handlungsleitend verdichtet – werte konstituieren _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 194

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ die „haltung hinter der handlung“. werte haben damit (→) komplexitätsreduzierende funktion für das psychische system der interventionist*innen aber auch für die selektion sozialen geschehens in gruppen und organisationen. werte legen fest und reduzieren das, was in bestimmten kontexten mit einiger wahrscheinlichkeit an inhaltlichkeit und verhalten erwartet werden kann. niklas luhmann (1993, s. 433): „werte sind allgemeine, einzeln symbolisierte gesichtspunkte des vorziehens von zuständen und ereignissen.“ über werte – so die zuschreibung bzw. hoffnung – wird das kommunikativ zu erwartende erwartbarer. das gibt den an der kommunikation beteiligten sicherheit. wenn heutzutage von einem „wertewandel“ die rede ist, wird damit vor allem eine verunsicherung zum ausdruck gebracht, weil im traditionellen wertekontext erwartbares nun offenbar nicht mehr mit letzter sicherheit erwartbar ist. heutzutage ist es u.a. möglich, mit flugzeugen in hochhäuser zu fliegen, geflüchtete hungern zu lassen, den schönen begriff des „querdenkens“ auf den kopf zu stellen usw. wenn die gesellschaftlich und sozial geteilten wertvorstellungen sich verflüssigen, bedeutet dies, dass die konstruktion von wertvorstellungen zunehmend auf die individuen verlagert werden. damit entsteht für jene eine zusätzliche anforderung und es entsteht aufgrund des erwartbaren „wertepluralismus“ kommunikationsbedarf über werte, weil ja abgeglichen werden muss, was ich berechtigterweise erwarten kann und was nicht. an dieser stelle schließt sich die interessante frage der werthaltungen der interventionist*innen an, die insbesondere angesichts einer ausrichtung am paradigma systemischer funktionalität brisanz gewinnt. diese frage ist wenig diskutiert. harald geißler (2004) plädiert für einen „systemisch-wertrationalen imperativ“. ich halte es bezogen auf diese frage mit den positionen, die ruth cohn als begründerin der themenzentrierten interaktion (tzi) als ansatz zu einer humanistischen gesellschaftstherapie (z.b. cohn 1975, cohn/farau 2001, s. 334ff) vertritt: ➢ begegnung in partnerschaft im sinne einer existentiellen gleichheit von berater*in und klient*in mit größtmöglicher authentizität sich selbst gegenüber und in klarer kommunikation umgesetzt, ➢ betonung des hier-und-jetzt, ➢ betrachtung des menschen als „ganzheitliches wesen“ und als psychosomatische einheit, ➢ überprüfung von situationen in- und außerhalb der sitzungen im hinblick auf ihren „wirklichkeitsgehalt“ (in welchem sinne, für wen, wozu?), _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 195

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ ➢ orientierung am „subjektiven“, ➢ förderung nicht-hierarchischer wertmaßstäbe, ➢ orientierung am potenzial und an den ressourcen, nicht an „defiziten“, ➢ respektierung und förderung autonomer entscheidungen (z.b. ebd., s. 278/279). und dann sollte die erkenntnis bzw. das ergebnis gang- und brauchbar sein – viabel. was darunter noch bleibt, das sind glaube, hoffnung und liebe. die bibel fügt im hohelied der liebe (1. korinther 13) hinzu: „die liebe aber ist das größte.“ (→ liebe) was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? ich halte es für sinnvoll, anhand solcher sehr konkreter, individuell konstruierter und überprüfter werte und haltungen systemisch-funktionale überlegungen in anschlag zu bringen – und beides im rahmen eines permanenten professionellen prozesses jeweils gegenüberzustellen und zu (immer wieder neuen, anderen) system-spezifischen positionierungen (bezogen auf das beratungssystem, das klient*innensystem, die organisation) zu kommen. damit wird auch das systemisch-konstruktivistische prinzip der „viabilität“ (gangbarkeit) anhand von werten überprüft. und auch der wert der werte wird ständig einer reflexiven prüfung unterzogen. für das handeln auf der mikroebene bedeutet der wahrgenommene wertepluralismus, dass hierfür zunehmend zeiten und räume zur verfügung gestellt werden müssen, um die unterschiedlichen wertvorstellungen auszutauschen, transparent zu machen und ggf. abzugleichen. zurück zum inhalt „wirklichkeit“ „die gesamte wirklichkeit ist die welt.“ (wittgenstein 1988, s. 15) (→ konstruktivismus/konstruktion) zurück zum inhalt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 196

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ unter den gegenwärtigen beobachtungsbedingungen einer „zeit der modernisierung“ (vgl. orthey 1999) führt die zunahme möglicher referenzfähigkeit (potentialitäten) zur zunahme zeitlicher selektions- und synchronisationsprobleme. vielerlei optionen – auch in virtueller und globaler dimension - müssen zunächst einmal auf anschlussfähigkeit hin abgeklopft werden. das braucht – und so die wahrnehmung vieler zeitgeplagter: „kostet“ – zeit. der erneuerungsbedarf als „geschrumpft“ wahrgenommener gegenwarten nimmt immer schneller zu. systeme, z.b. (→) organisationen, begegnen dieser herausforderung mit der ausdifferenzierung von strukturen und prozessen und mit formen der (→) planung – entgehen damit aber kaum, und wenn dann nur zeitlich begrenzt, der paradoxie der zeit: der stau an der scannerkasse oder auf der neu ausgebauten vierspurigen autobahn stehen für diese widersprüchlichkeiten. zeitknappheit und unausgefüllte zeit, beschleunigung und verlangsamung hängen offenbar untrennbar zusammen: die beschleunigung von verfahren produziert z.b. verlangsamungen, weil die verfahren eingerichtet, erlernt, erprobt, evaluiert und modifiziert werden müssen. nichtsdestoweniger versuchen systeme über strukturen und prozesse zeitautonomie herzustellen. das macht für sie sinn. das führt heutzutage tendenziell zur abkoppelung von natürlichen rhythmen und zur entwicklung höchst eigenzeitlicher und eigentümlicher systemeigener rhythmen. „die richtigen zeitpunkte folgen dann nicht mehr aus der natur, sondern aus problemen der synchronisation, aus der logistik der zeit selbst." (luhmann 1993, s. 256) zudem lösen systeme heutzutage zeitprobleme über versuche der vergleichzeitigung. der multi-tasking-fähige mensch ist die alltagssprachliche verdichtung dieser illusion (jedenfalls schaut’s so aus sicht des gehirns aus). wurde komplexität traditionell durch geordnete und oft beschleunigte verteilung im zeitlichen nacheinander – im sinne traditionellen zeitmanagements – reduziert, so soll sie im neuen paradigma technikgestützten vergleichzeitigungsmöglichkeiten quasi punktzeitlich übereinander gelegt und komprimiert werden. diese illusion der vergleichzeitigung, die durch die technischen vergleichzeitigungsmöglichkeiten weiter geschürt wird, erhöht indes den verarbeitungs- und orientierungsbedarf für bewusstsein und kommunikation. kurzum: die unsicherheitsniveaus in den intervenierten personalen, sozialen und organisationalen systemen erhöhen sich auch deshalb, weil sie sich in einer spezifischen (postmodernen?) art und weise in der zeit bewegen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 198

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ das sind die „zeitzeichen“ (orthey 2019), mit denen es systemische berater*innen zu tun bekommen – und die individuelle, soziale und organisationale „zeitumstellungen“ (orthey 2017) brauchen. was bedeutet dies für systemisches denken und handeln? zeit ist nicht von ungefähr eines der meist verwendeten substantive der deutschen sprache. das wird in beratungs- und lernsituationen ebenfalls beobachtbar. nicht nur, dass das wort auftaucht, auch die oben beschriebenen phänomene werden sichtbar: natürlich sollen auch lern- und veränderungsprozesse schneller „funktionieren“ – und gleichzeitig sollen selbstverständlich auch noch telefonate und mails bearbeitet werden. und all die auch noch wichtigen dinge, klar. das, was sich da in beratungs- und lernprozessen beobachten lässt, hat zunächst einmal informationswert für die interventionist*innen: wie ist das jeweilige zeitverhalten? wie ist das verhältnis zur zeit? wie der umgang damit? welche zeitkulturen gibt es z.b. in organisationen oder teams? welche zeiten müssen synchronisiert werden? welche natürlichen, organisationalen, sachlichen, sozialen und subjektiven zeiten spielen eine rolle in einer fall- oder veränderungssituation? usw. ich biete für diagnostische und strukturierende zwecke ein einfaches modell (vgl. orthey 2017) an, das angesichts der heute oft wahrgenommenen zeitlichen dilemmata und der erwartungsüberfrachtungen an unsere zeit helfen kann, ordnung herzustellen und eine brauchbare orientierung zur verfügung zu stellen. es handelt sich um eine vereinfachende darstellung des zeitlichen geschehens. solche vereinfachungen sind gelegentlich hilfreich, wenn die zu ordnende wirklichkeit allzu unübersichtlich daherkommt. hilfreich bleiben vereinfachungen aber nur, solange klar ist und bleibt, dass es sich um vereinfachungen handelt. diese sollen die komplexität dessen, was wir jeweils als „wirklichkeit“ erleben, reduzieren. durch solche vereinfachungen kann dann bestenfalls neue komplexität handhabbar gemacht werden, die hilft, komplexe situationen zu bewältigen. in diesem falle also: das eigene zeiterleben, die eigenen zeitlichen muster selbst so zu verstehen, dass daraus konkrete handlungsalternativen für der jeweiligen person angemessene „zeitumstellungen“ ableitbar werden. dadurch kann sich dann wieder mehr zeitliche vielfalt statt zeitlicher einfalt im hektischen „immer-schneller-immer- mehr-gleichzeitig“ modus entwickeln. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 199

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ zu diesem zweck macht das modell der zeitdimensionen die unterschiedlichen bezüge der zeit deutlich – und damit auch unterschiedliche „qualitäten“, die zeit annimmt, wenn sie ➢ der inhaltlichkeit der aufgabe angemessen ist, ➢ der zeitstrukturierung der organisation folgt, ➢ an der kultur, ➢ den eigenen bedürfnissen, ➢ an beziehungen und am kommunikativen orientiert ist ➢ bzw. an dem, was die natur (als umwelt) vorgibt. (vgl. orthey 2013, s. 167ff). einerseits gibt das modell der zeitdimensionen antworten auf die frage, „aus welcher ecke“ die zeitqualitäten kommen – oder die jeweiligen zeitlichen herausforderungen. kommen sie also vom inhalt der aufgabe, ein buch zu schreiben (aufgabenzeit), mit abgabeterminen und festgelegten prozessen beim verlag (organisationszeit)? oder kommen sie von der kultur, in der ich mich bewege und wo es etwas eigentümliche vorstellungen von pünktlichkeit gibt (kulturzeit) oder von dem, was jetzt gerade meine eigenen bedürfnisse brauchen (eigenzeit)? oder von dem, was die familiären beziehungen so von mir an präsenz fordern (sozialzeit) oder von dem, was die jahreszeitlichen bedingungen in meinem schlaf-/wach-rhythmus bewirken (naturzeit)? damit kann klarheit hergestellt werden, woher die zeitlichen qualitäten oder auch anforderungen kommen und auch, wie sie aufgeteilt und wie sie miteinander verbunden und vernetzt sind. auf basis dieser klarheit ist es dann möglich, änderungen zu justieren, die stimmig und für die jeweilige person in einer bestimmten situation passend sind und „sinn machen“. kurzum: das modell der zeitdimensionen ordnet jene zeiten, die auf das jeweilig zeithandeln einfluss nehmen. _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 200

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ die person im zentrum im zentrum dieser unterschiedlichen zeitqualitäten und ihrer veränderungen steht der mensch, die person, und ist heraus- und manchmal überfordert durch die anforderungen der jeweiligen zeiten einerseits und die erwartungen an die jeweiligen zeitformen andererseits. „alles hat seine zeit, nur ich hab‘ keine“ (karlheinz a. geißler) – so das motto. manchmal zerreißt es ihn und sie auch. dann bekommen wir in der regel ziemlich viel eigenzeit geschenkt oder wohl besser „eingeschenkt“. manchmal findet die in der reha-klinik statt. folgende grobe perspektiven für einen stimmigen umgang mit der zeit lassen sich im fünfeck wie folgt zusammenfassen – und können zeigen, wohin die jeweilige „zeitreise“ gehen kann. perspektiven für einen angemessenen umgang mit der zeit im fünfeck aufgabenzeiten perspektive: der inhaltlichkeit der eigentlichen (kern-) aufgabe ihre zeit einräumen! sozialzeiten person perspektive: sozial-zeiten anregen und gestalten! organisationszeiten perspektive: die organisation einfach, stabil und kalkulierbar halten. selbstorganisationspotenziale nutzen! kulturzeiten perspektive: kulturen verbinden zeiten und menschen! eigenzeiten perspektive: eigenzeitbedürfnisse achten! naturzeiten perspektive: sich selbst naturgemäß führen! alles weitere ist dann jeweils systemspezifisch zu klären und in konkreten, an die jeweiligen sinnkonstrukte angedockten handlungsalternativen zu verdichten. wenn zeit für systeme „sinn macht“, muss sie notwendiger weise auch in der intervention eine rolle spielen. leitlinie dabei ist im sinne des prinzips der anschlussfähigkeit, dass sich das zeitliche sinn-muster des intervenierten systems in der intervention spiegeln sollte: entweder indem es reproduziert oder aber auch, indem es mit einem alternativen _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 201

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ „denn bei allem, was wir tun, denken und fühlen, möchten wir manchmal bis zum äußersten gehen. der wunsch wird in uns wach, die grenzen zu überschreiten, die uns gesetzt sind. nicht um mich zu widerrufen, sondern um es deutlicher zu ergänzen, möchte ich sagen: es ist auch mir gewiss, dass wir in der ordnung bleiben müssen, dass es den austritt aus der gesellschaft nicht gibt und wir uns aneinander prüfen müssen. innerhalb der grenzen aber haben wir den blick gerichtet auf das vollkommene, das unmögliche, unerreichbare. sei es in der liebe, der freiheit oder jeder reinen größe. im widerspiel des unmöglichen mit dem möglichen erweitern wir unsere möglichkeiten. dass wir es erzeugen, dieses spannungsverhältnis, an dem wir wachsen, darauf, meine ich, kommt es an; dass wir uns orientieren an einem ziel, dass freilich, wenn wir uns nähern, sich noch einmal entfernt.“ ingeborg bachmann: die wahrheit ist dem menschen zumutbar. (bachmann 2011) systemisches denken und handeln ist mit diesem abc ein labyrinth mit unterschiedlichen zugängen und neu entdeckbaren quer- und ausgängen, kein geschlossenes modell. selbst in der recht geschlossen wirkenden form ist es leicht möglich, diese zugänge zu erweitern. wo etwa sind beiträge zu den stichworten erklärungsprinzipien, passung, rauschen, referenz, reflexivität, rückkoppelung, selbstreferenz, stimmigkeit, symbolisierungen, zirkularität? denken sie über dieses und jenes (weiter) nach. systemisch denken, beraten und leiten ist kein werkzeugkasten, sondern eine (→) haltung der welt gegenüber. zurück zum inhalt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 204

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ doppler, klaus/lauterburg, christoph: change management. den unternehmenswandel gestalten. campus verlag, 13. auflage, frankfurt/new york 2014 duttweiler, stefanie: bröckling, ulrich/krasmann, susanne/lemke, thomas (hrsg.): glossar der gegenwart. suhrkamp-verlag, frankfurt am main 2004, s. 23 – 29 fuchs, peter: niklas luhmann - beobachtet. eine einführung in die systemtheorie. verlag für sozialwissenschaften, 2. aufl., opladen 1993 fengler, jörg: feedback geben. 5. auflage, beltz verlag, weinheim basel 2017 foerster, heinz von: das konstruieren einer wirklichkeit. in: watzlawik, paul (hrsg.): die erfundene wirklichkeit. piper verlag, münchen 1981, s. 39 – 60 foerster, heinz von: abbau und aufbau. in: simon, fritz b. (hrsg.): lebende systeme. wirklichkeitskonstruktion in der systemischen therapie. springer verlag, berlin, heidelberg, new york, london, paris, tokyo 1988, s. 19–33 foerster, heinz von: entdecken oder erfinden. wie lässt sich verstehen verstehen? in: einführung in den konstruktivismus. mit beiträgen von heinz von foerster u.a. piper- verlag, münchen, zürich 1992, s. 41–88 foerster, heinz von: kybernethik. merve verlag, berlin 1993 frenzel, karolina/müller, michael/sottong, hermann: storytelling: das harun-al-raschid- prinzip, die kraft des erzählens fürs unternehmen nutzen. carl hanser verlag, münchen 2004 geißler, karlheinz a./hege, marianne: konzepte sozialpädagogischen handelns. beltz verlag, 6. auflage, weinheim 1992 geißler, karlheinz a./orthey, frank michael.: der große zwang zur kleinen freiheit. berufliche bildung im modernisierungsprozess. hirzel verlag, stuttgart 1998 geramanis, olaf: vertrauen. die entdeckung einer sozialen ressource. hirzel-verlag, stuttgart 2002 glasersfeld, ernst von: radikaler konstruktivismus. ideen, ergebnisse, probleme. suhrkamp verlag, frankfurt am main 1997 glasl, fritz: konfliktmanagement. ein handbuch für führungskräfte, beraterinnen und berater. 8. aufl., haupt verlag, bern, stuttgart, wien 2004 grossmann, ralph/bauer, günther/scala, klaus: einführung in die systemische organisationsberatung. carl-auer-verlag, heidelberg 2015 groth, torsten: 55 gebote systemischen denkens und handelns in management und beratung. carl-auer verlag, heidelberg 2017 heitger, barbara/doujak, alexander: harte schnitte, neues wachstum: die logik der gefühle und die macht der zahlen. managerseminare-verlag, frankfurt/wien 2002 höfner, e. noni; glauben sie na nicht, wer sie sind! grundlagen und fallbeispiele des provokativen stils. carl-auer verlag, heidelberg 2011 _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 206

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ hoeg, peter: der plan von der abschaffung des dunkels. roman. hanser verlag, münchen, wien 1995 kast, verena: trauer. phasen und chancen des psychischen prozesses. kreuz-verlag, freiburg im breisgau. 35. gesamtauflage (neuauflage) 2013 kersting, heinz j.: intervention – die störung unbrauchbarer wirklichkeiten. in: bardmann, theodor m./kersting, heinz j./vogel, hans chr./woltmann, bernd: irritation als plan - konstruktivistische einredungen. wissenschaftlicher verlag des instituts für beratung und supervision aachen, aachen 1991, s. 108-133 kersting, heinz j: supervision, die hohe kunst der unterscheidung. was ist supervision? was will supervision? was kann supervision? in: kersting, heinz j./neumann-wirsig, heidi und organisationsentwicklung. wissenschaftlicher verlag des instituts für beratung und supervision aachen, aachen 1996, s. 19 – 40 perspektiven systemische supervision (hrsg.): der in kersting, heinz j. (hrsg.): der zirkel des talos. gespräche mit systemischen therapeuten. wissenschaftlicher verlag des instituts für beratung und supervision aachen, aachen 1999 königswieser, roswitha/exner, alexander: systemische intervention. architektur und design für berater und veränderungsmanager. klett-cotta, 4. aufl., stuttgart 1999 königswieser, roswitha/exner, alexander/pelikan, jürgen: systemische intervention in der beratung. in: organisationsentwicklung 2/1995, s. 52 – 65 kübler-ross, elisabeth: über den tod und das leben danach. verlag „die silberschnur“, 40. auflage, güllesheim 2020 kühl, stefan: wenn die affen den zoo regieren. die tücken der flachen hierarchien. 3. aufl., campus-verlag, frankfurt/new york 1995 kühl, stefan: sisyphos im management. die vergeblichen versuche nach der optimalen unternehmensstruktur. weinheim 2002 lampedusa, guiseppe tomasi: der leopard. roman. r. piper & co verlag, münchen 1959 langthaler, werner/schiepek, günter (hrsg.): selbstorganisation und dynamik in gruppen. lit-verlag, münster 1995 ledoux, joseph: das netz der persönlichkeit. wie unser selbst entsteht. patmos verlag, düsseldorf und zürich 2003 littmann, peter/jansen, stephan a.: oszillodox. virtualisierung – die permanente neuerfindung der organisation. klett-cotta-verlag, stuttgart 2000 löhmer, cornelia/standhardt, rüdiger: tzi – die kunst sich selbst und eine gruppe zu leiten. einführung in die themenzentrierte interaktion. klett-cotta-verlag, zweite auflage, stuttgart 2008 _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 207

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ loebbert, michael: storymanagement. der narrative ansatz für management und beratung. schäffer-poeschel verlag, stuttgart 2003 ludewig, kurt: systemische therapie in deutschland – rückblick und bestandsaufnahme. in: kersting, heinz j. (hrsg.): der zirkel des talos. gespräche mit systemischen therapeuten. wissenschaftlicher verlag des instituts für beratung und supervision aachen, aachen 1999, s. 39 - 26 luhmann, niklas: vertrauen. ein mechanismus zur reduktion sozialer komplexität. 3. aufl., enke-verlag, stuttgart 1989 luhmann, niklas: die form „person“. in: soziale welt. zeitschrift für sozialwissenschaftliche forschung und praxis. jahrgang 42, 1991, heft 2, s. 166-175 luhmann, niklas: die wissenschaft der gesellschaft. suhrkamp verlag, frankfurt am main 1992 (a) luhmann, niklas: beobachtungen der moderne. opladen 1992 (b) luhmann, niklas: soziale systeme. suhrkamp verlag, 4. aufl., frankfurt/main 1993 luhmann, niklas: liebe als passion. zur codierung von intimität. suhrkamp verlag, frankfurt am main 1994 luhmann, niklas: takt und zensur im erziehungssystem. in: luhmann, niklas/schorr, karl eberhard (hrsg.): zwischen system und umwelt. fragen an die pädagogik. suhrkamp verlag, frankfurt am main 1996, s. 279-294 luhmann, niklas: die gesellschaft der gesellschaft. zwei bände. suhrkamp-verlag, frankfurt am main 1997 (a) luhmann, niklas: die kontrolle von in: ahlemeyer, heinrich w., königswieser, roswita (hrsg.): komplexität managen: strategien, konzepte und fallbeispiele. springer gabler, frankfurt am main 1997, s. 51 – 76 (b) intransparenz. luhmann, niklas: liebe. eine übung. suhrkamp verlag, frankfurt am main 2008 maturana, humberto r.: erkennen: die organisation und verkörperung von wirklichkeit. 2. aufl., vieweg verlag, braunschweig/wiesbaden 1985 maturana, humberto r./varela, francisco: der baum der erkenntnis. 2. aufl., goldmann verlag, bern, münchen, wien 1987 maturana, humberto r.: was ist erkennen? piper-verlag, münchen 1994 maturana, humberto r./pörksen, bernhard: vom sein zum tun. die ursprünge der biologie des erkennens. carl auer-systeme verlag, heidelberg 2002 maturana, humberto r./verden-zöller, gerda: liebe und spiel. die vergessenen grundlagen des menschseins. carl-auer verlag, heidelberg 2005 müller, michael: einführung in narrative methoden der organisationsberatung. carl auer- systeme verlag, heidelberg 2017 _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 208

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ musil, robert: der mann ohne eigenschaften. erstes und zweites buch. roman. rowohlt verlag, reinbek bei hamburg 1978 nadolny, sten: er oder ich. roman. büchergilde gutenberg, frankfurt am main 1999 orthey, frank michael: zeit der modernisierung. zugänge einer modernisierungstheorie beruflicher bildung. hirzel verlag, stuttgart 1999 (mit umfangreicher cd-rom-version) orthey, frank michael: betriebe – lernen – systeme. wie unternehmen sich durch lernen verändern. beobachtungen und perspektiven zwischen theorie und praxis. veröffentlicht unter: http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/frontdoor.php?source_opus=859, 12.06.2006 orthey, frank michael: systemisch führen. grundlagen, methoden, werkzeuge. schäffer- poeschl-verlag, stuttgart 2013 orthey, frank michael: zeitumstellung. für einen guten umgang mit der zeit. hau-fe- lexware, freiburg 2017 orthey, frank michael: zeitzeichen. ein abc unserer zeit. texte und impulse für gute zeiten. bod, norderstedt 2019 piaget, jean: meine theorie der geistigen entwicklung. s. fischer verlag, frankfurt am main 1983 radatz, sonja: beratung ohne ratschlag. systemisches coaching für führungskräfte und beraterinnen. verlag systemisches management, wien 2000 radatz, sonja: einführung in das systemische coaching. carl auer systeme verlag, heidelberg, 4. auflage 2010 rauen, christopher: „systemisches coaching“, in: coaching-newsletter, jg. 2, mai 2002, http://www.rauen.de/coaching- 29.09.2009/24.10.2019, download artikel/systemisches_coaching.htm vom rubner, eike u.a. (hrsg.): störung als beitrag zum gruppengeschehen. zum verständnis des störungspostulats der tzi in gruppen. matthias-grünewald verlag, mainz 1992 thomann, christoph/schulz von thun, friedmann: klärungshilfe 1. handbuch für therapeuten, klärungshelfer und moderatoren in schwierigen situationen. rowohlt taschenbuch verlag, reinbek bei hamburg 1988/2003 radatz, sonja: beratung ohne ratschlag. systemisches coaching für führungskräfte und beraterinnen. verlag systemisches management, wien 2000 roth, gerhard: das gehirn und seine wirklichkeit. kognitive neurobiologie und ihre philosophischen konsequenzen. suhrkamp verlag, 2. aufl., frankfurt am main 1998 roth, gerhard: fühlen, denken, handeln. wie das gehirn unser verhalten steuert. suhrkamp verlag, frankfurt am main 2003 roth, gerhard: möglichkeiten und grenzen von wissensvermittlung und wissenserwerb. in: caspary, ralf (hrsg.): lernen und gehirn. 6. auflage, freiburg 2009, s. 54 – 69 _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 209

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ satir, virginia: kommunikation, selbstwert, kongruenz. konzepte und perspektiven familientherapeutischer praxis. junfermann-verlag, paderborn 1994 scharmer, c. otto: essentials der theorie u. grundprinzipien und anwendungen. carl- auer-systeme-verlag, heidelberg 2019 schattenhofer, karl: selbstorganisation und gruppe. entwicklungs- und steuerungsprozesse in gruppen. westdeutscher verlag, opladen 1992 schattenhofer, karl/weigand, wolfgang (hrsg.): die dynamik der selbststeuerung. westdeutscher verlag, opladen/wiesbaden 1998 was schattenhofer, karl: ist eine gruppe? verschiedene sichtweisen und unterscheidungen. in: schattenhofer, karl/edding, cornelia (hrsg.): handbuch alles über gruppen: theorie, anwendung, praxis. beltz verlag, weinheim und basel 2009, s. 16 – 83 schimank, uwe: biographie als autopoiesis - eine systemtheoretische rekonstruktion von individualität. in: brose, hans-georg/hildenbrand, bruno (hrsg.): vom ende des individuums zur individualität ohne ende. verlag leske und budrich, opladen 1988, s. 55 – 72 schlippe, arist/schweizer, jochen: lehrbuch der systemischen therapie und beratung. vandenhoeck & ruprecht, 6., durchgesehene auflage, göttingen 1999 schlippe, arist/schweizer, jochen: systemische interventionen. vandenhoeck & ruprecht, göttingen 2009 schmidt, siegfried j.: was wir vom lernen zu wissen glauben. in: quem-report. heft 82: von lernkultur und ich wissen? theorie und geschichte kann was kompetenzentwicklung. berlin 2003, s. 11 – 25 schöppe, arno: theorie paradox. kreativität als systemische herausforderung. carl-auer- systeme-verlag, heidelberg 1995 schulz von thun, friedemann: praxisberatung in gruppen. beltz-verlag, weinheim 1999 schwanitz, dietrich: bildung. alles, was man wissen muss. wilhelm goldmann verlag, münchen 1999 selvini-palazzoli, maria/boscolo, luigi/cecchin, gianfranco/prata, guiliana: paradoxon und gegenparadoxon. ein neues therapiemodell für die familie mit schizophrener störung. klett-cotta, stuttgart 1977 selvini-palazzoli, maria/cirillo, stefano/selvini, matteo/sorrentino, anna m.: die psychotischen spiele in der familie. klett-cotta, stuttgart 1992 senge, peter m.: die fünfte disziplin. theorie und kunst der lernenden organisation. klett- cotta, stuttgart 1996 siebert, horst: vernetztes lernen. systemisch-konstruktivistische methoden der bildungsarbeit. luchterhand, wolters kluwer, münchen/unterschleißheim 2003 _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 210

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ simon, fritz b.: meine psychose, mein fahrrad und ich. zur selbstorganisation der verrücktheit. carl-auer-verlag, heidelberg, 10. aufl. 2004 simon, fritz b.: einführung in die systemische organisationstheorie. carl-auer-verlag, heidelberg 2007 simon, fritz b.: einführung in systemtheorie und konstruktivismus. carl-auer-verlag, heidelberg 2008 simon, fritz b.: formen. zur koppelung von organismus, psyche und sozialen systemen. carl-auer-verlag, heidelberg 2018 simon, fritz b./rech-simon, christel: zirkuläres fragen. systemische therapie in fallbeispielen: ein lernbuch. carl-auer-verlag, 3. aufl., heidelberg 2000 simon, fritz b./weber, gunthard: vom navigieren beim driften. „lost aus der werkstatt“ der systemischen therapie. carl-auer-systeme-verlag, heidelberg 2006 spencer-brown, george. laws of form. gesetze der form. bohmeier verlag, 4. auflage, leipzig 2004 varga von kibéd, matthias/sparrer, insa: ganz im gegenteil. tetralemmaarbeit und andere formen systemischer strukturaufstellungen für querdenker und solche, die es werden wollen. vierte, erweiterte auflage, carl-auer-verlag, heidelberg 2003 watzlawick, paul: wie wirklich ist die wirklichkeit? wahn, täuschung, verstehen. piper verlag, münchen 1978 wallner, irmgard: widerstand und akzeptanz im gruppencoaching von führungskräften. ein praxisbericht. in: gruppendynamik und organisationsberatung. 34. jahrgang, heft 2, 2003, s. 147 – 165 willke, helmut: strategien der intervention in autonome systeme. in: baecker, dirk u.a. (hrsg.): theorie als passion. niklas luhmann zum 60. geburtstag. suhrkamp verlag, frankfurt am main 1987, s. 333-361 willke, helmut: systemtheorie. 3. aufl., utb verlag, stuttgart, new york 1991 willke, helmut: beobachtung, beratung und steuerung von organisationen in systemtheoretischer sicht. in: wimmer, rudolf (hrsg.): organisationsberatung: neue wege und konzepte. gabler verlag, wiesbaden 1992, s. 17 – 42 willke, helmut: systemtheorie: interventionstheorie: grundzüge einer theorie der intervention in komplexe systeme. utb verlag, stuttgart, new york 1994 willke, helmut: systemtheorie iii: steuerungstheorie. utb verlag, stuttgart, new york 1995 wimmer, rudolf: oe am scheideweg. hat die organisationsberatung ihre zukunft bereits hinter sich? in: organisationsentwicklung 1-04, s. 26–39 _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 211

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ wirth, jan v./kleve, heiko (hrsg.): lexikon des systemischen arbeitens. grundbegriffe der systemischen praxis, methodik und theorie. carl-auer-systeme-verlag, heidelberg 2012 woltmann, bernd: planen, autopoiese und sozialpädagogik – ausführungen zu einer in: bardmann, theodor epistemologie didaktischer wirklichkeitskonstruktionen. - m./kersting, h. j./vogel, hans chr./woltmann, bernd: konstruktivistische einredungen. wissenschaftlicher verlag des instituts für beratung und supervision aachen, aachen 1991, s. 64 - 107 irritation als plan wittgenstein, ludwig: tractatus logico philosophicus. bertelsmann verlag, lizenzausgabe, gütersloh 1988 zirkler, michael: wissen, lernen, wirklichkeit. systemisch-konstruktivistische theorien und ihre bedeutung für lehre, lernen und beratung. dissertation, universität hamburg. online verfügbar via: www.sub.uni-hamburg.de/disse/514/dissertation.pdf, 2001 zurück zum inhalt textnachweise ich habe in diesem abc folgende texte und textteile aus meinen veröffentlichungen verwendet: orthey, frank michael: zeit der modernisierung. zugänge einer modernisierungstheorie beruflicher bildung. hirzel verlag, stuttgart 1999 (mit umfangreicher cd-rom-version) orthey, frank michael: betriebe – lernen – systeme. wie unternehmen sich durch lernen verändern. beobachtungen und perspektiven zwischen theorie und praxis. veröffentlicht unter: http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/frontdoor.php?source_opus=859, 12.06.2006 orthey, frank michael: systemisch führen. grundlagen, methoden, werkzeuge. schäffer- poeschl-verlag, stuttgart 2013 orthey, frank michael: zeitumstellung. für einen guten umgang mit der zeit. hau-fe- lexware, freiburg 2017 orthey, frank michael: zeitzeichen. ein abc unserer zeit. texte und impulse für gute zeiten. bod, norderstedt 2019 www.ortheys.de/blog/ zurück zum inhalt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 212

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ssyysstteemmiisscchh ddeennkkeenn,, bbeerraatteenn uunndd lleeiitteenn eeiinn aabbcc ...... ____________________________________________________________________________________________________________________________ autor frank michael orthey, dr. phil. habil., diplom pädagoge, geboren 1961 in hachenburg im westerwald. in meiner kindheit verbrachte ich viel zeit in der elterlichen zimmerei und auf dachstühlen, dann als jugendlicher in kirchenräumen auf orgelemporen, wo ich in die tasten griff. in einer dreizehnjährigen bundeswehrzeit kam ich während des pädagogikstudiums bei zeitforscher karlheinz a. geißler mit dem thema systemtheorie in berührung, damals insbesondere im ökologisch orientierten verständnis unseres universitätslehrers frederic vester. als wissenschaftlicher mitarbeiter vertiefte ich mich später intensiv in die schriften niklas luhmanns und entwickelte eine eigene perspektive, die ich insbesondere in meiner „zeit der modernisierung“ (orthey 1999) ausformulierte – und über deren unverständlichkeiten ich heute oft staune. als freiberuflicher berater- und trainer wendete ich das thema pragmatisch für meine beratungs-, trainings- und coachingarbeit mit einzelpersonen, teams und organisationen. theoriearbeit und praktische arbeit kamen sich während der vergangenen 30 jahre immer näher. heute ist das „systemische“ zu einer für mich sehr hilfreichen haltung der welt, meinen klient*innen und meiner arbeit gegenüber geworden. in unserer wahlheimat in einem kleinen oberbayerischen dorf beschäftige ich mich mit zeit- und führungsfragen. gemeinsam mit meiner ehefrau astrid, die als trainerin, supervisorin und mediatorin auch eine systemische kollegin ist, verbringe ich viel zeit im tölzer land mit menschen, orgelmusik, in der natur und im historischen motorsport. https://ortheys.de/ zurück zum inhalt _______________________________________________________________________________________________ ffrraannkk mmiicchhaaeell oorrtthheeyy 213