zeitumstellung © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
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frank michael orthey zeitumstellung für einen guten umgang mit der zeit 1. auflage haufe gruppe freiburg · münchen · stuttgart © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
bibliografische information der deutschen nationalbibliothek die deutsche nationalbibliothek verzeichnet diese publikation in der deutschen nationalbibliografie; detaillierte bibliografische daten sind im internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. print: isbn 978-3-648-10427-9 bestell-nr. 10228-0001 frank michael orthey zeitumstellung für einen guten umgang mit der zeit 1. auflage 2017 © 2017 haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg www.haufe.de info@haufe.de produktmanagement: jürgen fischer lektorat: helmut haunreiter, marktl am inn satz: kühn & weyh software gmbh, satz und medien, freiburg art buying: guter punkt, münchen | www.guter-punkt.de illustrationen (—zeitgeister™): claudia lieb, münchen umschlag: red gmbh, krailling druck: beltz bad langensalza gmbh, bad langensalza alle angaben/daten nach bestem wissen, jedoch ohne gewähr für vollständigkeit und richtigkeit. alle rechte, auch die des auszugsweisen nachdrucks, der fotomechanischen wiedergabe (einschließlich mikrokopie) sowie der auswertung durch datenbanken oder ähnliche einrichtungen, vorbehalten. © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
inwaltsverzeicwnis zur zeitumstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 teil eins: wissenswertes zur zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 zeit-gescwicwten: die zeiten ändern sicw . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 17 zeit eine konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 relative zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . und wenn es die zeit gar nicht gibt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 knappe zeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 funktion und nutzen von zeitmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 veränderte zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 urzeiten: überlebenszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 entstehung von zeit- und zukunftsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 zeit zum überleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 antike zeiten: kulturzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 entwicklung von kultur- und zeitenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 zeitrechnung und -messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (zeit-)geschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 vormoderne zeiten: naturzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 zeit und sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 rhythmen der natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 wiederkehrende zyklen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 moderne zeiten: uhrzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 lineare zeitmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 die macht der zeit: zeit ist geld! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 maschinen der zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 immer schneller: beschleunigung! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 ein erfülltes leben! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 postmoderne zeiten: gleichzeitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 im nu von der moderne in die postmoderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 alles geht! gleichzeitig! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 zeitvielfalt im möglichkeitsüberschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 allerlei zeiten im plural . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 zeit als erklärungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 5
inhaltsverzeichnis zeiten im netz: störungen haben vorrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 mehr zeiten im netz: bilder- und sprachfluten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 die vergleichzeitigungsformen der simultanten . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 ist es denn die möglichkeit? die zukunft wird uns enteignet. . . . . . . . 70 entfremdung und wiederaneignung der zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 zeitlicher möglichkeitssinn für zeitliche vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 teil zwei: anregendes zur zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 zeitformen: zeiten wie wir sie erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 augenblick mal bitte! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 warten: was wir tun, wenn wir nichts tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 nichts tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 planung und warten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 was beim warten passiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 die macht beim warten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 schöner warten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 schnelligkeit: wart mal schnell! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 nie zufrieden immer schneller! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 politische schnelligkeitsgewinnler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 schnelle rekordfahrten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 die stromlinie als ästhetik der schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 ambivalenzen der schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 schnelligkeit, die in die langsamkeit führt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 marketing mit schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 mehr schnelles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 schnelligkeit und macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 relative schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 die funktionen von schnelligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 schnelligkeit wiederentdecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 wiederholung: wiederholen sie das nicht noch mal! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 wiederholung eine fragwürdige geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 die anderen seiten der wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 professionelle wiederholer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 vom nutzen der wiederholungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
inhaltsverzeichnis takte und rhythmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 abschlüsse und anfänge: erst wer am ende ist, kann
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zur zeitumstellung jährlich wird hierzulande zweimal die zeit umgestellt. genau genommen stimmt das natürlich nicht, denn es ist die uhr, die eine stunde vor- bzw. zurückgestellt wird. das ist eine beliebte verwechslung heutzutage, dieje- nige zwischen zeit und uhr. einzelheiten zur uhrzeitumstellung regelt das ¨gesetz über die einheiten im messwesen und die zeitbestimmung© (einhei- ten- und zeitgesetz einhzeitg). der nutzen ist umstrit- ten, die menschen sind alljährlich verwirrt, entrhythmi- siert. manche nutzen die vermeintlich ¨gewonnene©, schlaflose stunde womöglich auch, um über sich selbst und das eigene verhältnis zur zeit nachzudenken. vielleicht mit einem eher ratlosen ergebnis, das sich in der frage zuspitzt: ticke ich noch richtig? ticke ich noch richtig? wenn sie zweifeln, ob sie noch oder nicht mehr richtig ticken, sind sie ver- mutlich nicht alleine. soviel trost soll sein zumindest am anfang. viele zeitgenossen, so ist anzunehmen, fühlen sich heutzutage von der frage an- gesprochen. das macht nicht nur die alltägliche und allgegenwärtige hetze deutlich, sondern auch der sprachgebrauch der vielen rastlosen: ¨zeit© steht auf der liste der am häufigsten gebrauchten worte ganz oben. meist verweist der sprachgebrauch auf einen mangel an zeit, auf deren knappheit oder ihr fehlen. da kann frau und man sich schon fragen: woran liegt das? und: ticke ich denn noch richtig? ja, ich gehetzte und ich getriebener, ich, der nie zeit hat und immer im stress ist, ich, die es trotz aller finessen der selbstoptimierung nicht hinbekommt, die täglichen to-do-listen abzuarbei- ten, alle anforderung des lebens und arbeitens unter einen hut zu bringen, mir meine zeit zu nehmen und zu geben? ich, lost in time? wenn sie angesichts dieser fragen und beschreibungen ratlos sind, dann sind sie auch mit dieser ratlosigkeit nicht alleine. sie brauchen vielleicht eine ganz persönliche ¨zeitumstellung©. anregungen dazu finden sie in diesem buch. aber es sind kaum solche, die auf dieselbe schlichte art wie die uhrum- stellung umsetzbar wären. ratlosigkeit, bezogen auf das eigene ticken in der zeit, ist aber schon mal ein guter ausgangspunkt, um etwas zu verändern. © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 9
zur zeitumstellung vor den karren der ebenfalls ratlosen lassen sich viele prominente zitate- und wortspender spannen. am beliebtesten ist der spätantike kirchenlehrer augustinus, der eigener auskunft zufolge wusste, was zeit sei solange er nicht danach gefragt wurde. sobald er aber gefragt wurde, hatte er es nicht mehr auf dem schirm. womöglich hat er sich dann auch gefragt, ob er noch richtig tickt ... wir sind also in bester gesellschaft. dass es heute nicht ganz unüblich ist, sich die frage zu stellen, ob wir noch richtig ticken, und dann ratlos zu bleiben, kann wohl als folge gesteigerter fähigkeit zur selbstbeobachtung gewertet werden. denn der unbedarfte beobachter bekommt ja so einiges zu sehen heutzutage nicht nur an sich selbst: nurmehr hastende und rastlose menschen, die sich immer und überall nicht nur gehetzt, sondern auch vernetzt irgendwie durchwursteln. damit das besser klappt, verfeinern sie ihre kompetenzen zur vergleichzeitigung. sie werden zu immer besseren und besesseneren ¨simultanten©. nein, das ist kein druckfehler, es sind keine simulanten sondern simultanten, meister des simultanen, künstler der vergleichzeitigung von unterschiedlichem, so hat sie karlheinz geißler zutreffend betitelt (geißler 2007). sie stauen sich in ihrem klimatisierten fahrzeug, das häufig ein stehzeug ist, von termin zum nächs- ten meeting, nutzen die zeit mit zahlreichen vernetzungshelfern zum tele- fonieren, mails abarbeiten oder simsen, vertwittern sich dabei gelegentlich und tauchen aus den untiefen von facebook irgendwo wieder auf. sie haben immer mehr vor als überhaupt geht und freuen sich, wenn sie es mal wieder geschafft haben, schneller als der kollege von nebenan zu sein. oder wenn sie mehr gleichzeitig gemacht haben als er oder sie. manchmal tricksen sie die werkzeuge des outlook-terminsynchronisierungs-wahnsinns gerissen aus, in- dem sie termine simulieren, die es dann nicht wirklich gibt (dann sind in der tat simultanten auch simulanten). vielleicht schnaufen sie dann mal durch auf ihrem stepper im fitnessstudio oder tun sich irgendwas anderes gutes. bei solchen gelegenheiten oder schlechtestenfalls, wenn es sie dann ge- sundheitlich umhaut, im krankenbett taucht die eingangs gestellte frage wieder auf, ob man oder frau noch richtig tickt. und hinterlässt auch dies- mal wieder ratlosigkeit. im weiteren verlauf dieses buches finden derart zeitgeplagte und diejeni- gen, die davor stehen, es zu werden, anregungen für ihre persönlichen ant- 10 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
zur zeitumstellung worten auf die frage, ob sie denn noch richtig ticken. seriöse antworten darauf, was denn ¨richtig© ist, kann sich jede und jeder sowieso nur selbst geben. denn unser ticken ist nicht verallgemeinerbar, es ist menschlich, und das heißt: wir ticken ganz unterschiedlich, haben ganz spezielle zeitgefühle. das zeigt beispielsweise der knurrende magen, der immer noch ein zuverlässigerer informant darüber ist, wann es zeit zum essen ist, als die auf der uhr angezeigte zeit. mit an der uhrzeit orientierten verallgemeinerten hilfestellun- gen für die rast- und ratlosen scheitert häufig das klassi- sche zeitmanagement meist übrigens nach ersten ach- tungserfolgen. weil aber jede und jeder anders tickt, sind zeiten-gemäße lösungen der zahlreichen dilemmata von person zu person unterschiedlich und höchstpersönlich. statt um schnelle rezepte, geht es um eine reflexion der eigenen haltung und womöglich um deren anpassung, damit das ticken wieder zur eigenen person passt. der titel ¨zeitumstellung© steht für diesen zugang. gemeint ist etwas ganz per- sönliches, das günstigstenfalls von anregungen profitieren kann, wie sie in diesem buch angeboten werden. das thema ist persönlich, nicht abstrakt. kein thema für erstens, zweitens, drittens alles gut; für alle. nein, so (ein- fach) ist das nicht mit der zeit. und weil das mit der zeitumstellung etwas höchstpersönliches ist, deshalb ist dies auch ein persönliches buch zum mit- machen. zur persönlichen annäherung an die eigene zeitliche stimmigkeit. wir ticken ganz unterschiedlich, haben ganz spezielle zeit- gefühle. im ersten teil finden leserinnen und leser wissenswertes zur zeit: erzählt werden ¨zeit-geschichten©, denn wahrnehmung, erleben und bewusstsein von dem, was wir verlegenheitshalber ¨zeit© nennen, haben sich im laufe der kulturentwicklung verändert. zunächst gehe ich der frage nach: was ist eigentlich zeit? ich gebe mich dabei nicht mit der einzig richtigen antwort zufrieden, die ich kenne. diese ist diejenige der germanisten. sie antworten auf die frage ¨was ist zeit?© mit der überzeugten inbrunst der wissenden mit dem nicht zu widerlegenden satz: ¨ein einsilbiges substantiv!© so eindeutig ist es nämlich gar nicht, dass es ¨die© zeit ist, die wir verleben oder erleiden oder genießen oder absitzen oder verplempern. die zeit gibt es eigentlich nur im plural. wir bemerken das im alltagsleben daran, dass wir der zeit durch beistellungen ¨qualitäten© beimischen. da gibt es arbeits- und freizeit, mittagszeit, die zeit gibt es nur im plural. © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 11
zur zeitumstellung sommer- und winterzeit, zeit zum gehen, zum verweilen, zum auf stehen oder um zu bett zu gehen, zeit zum lesen, zeitnot und zeitwohlstand. und viele andere zeiten mehr. eine ganze vielfalt von zeiten und ganz unterschiedliche qualitäten, die die zeit dadurch bekommt, wie wir sie erleben und benennen. zudem haben sich die zeitgefühle, das zeitdenken, die zeitwahrnehmung und der umgang mit zeit im laufe der zeiten geändert. zeit, das war und ist immer auch ein kulturprodukt. deshalb spanne ich einen zeitlichen bogen von der urzeit über die antike, die vormoderne und die moderne hin zur post- moderne, in der ja alles irgendwie zu gehen scheint. aber es geht auch alles irgendwie vorbei immer schneller, wie es vielen scheint. und alles gleich- zeitig, versteht sich. da lob ich mir die guten alten zeiten oder doch nicht? das, was wir zeit nennen, besteht aus einer vielfalt von zeiten, aus unter- schiedlichen zeitformen, denen sich der zweite teil des buches annimmt und dabei hoffentlich anregendes zur zeit anbietet. diese formen oder qua- litäten, die die zeit annimmt, sind übrigens etwas anderes als die uhrzeit, denn die zeit ist eben nicht die uhr. auf dieser grundlage widme ich mich zeitlicher vielfalt, die unter anderem aus augenblicken, dem warten, aus der oft favorisierten und zugleich gescholtenen schnelligkeit, der wieder- holung, aus takten und rhythmen und aus bewusst gestalteten anfängen und abschlüssen entsteht. wenn leserinnen und leser sich dann von der zeitform der langeweile ge- quält oder je nachdem verwöhnt fragen, was das alles für sie bzw. für ihre frage, ob sie denn noch richtig ticken, bedeutet, dann gibt es dazu im dritten teil einige angebote zur ¨zeitumstellung©: nützliches zur zeit. wie gehe ich mit zeit um? wie gehe ich mit zeit um? dazu gibt es ein modell und sehr persönliche anregungen zum umgang mit allfälligen zeitproblemen. denn wenn zeitum- stellungen angemessen sein sollen, dann müssen sie zual- lererst zur jeweiligen person, zu ihren besonderheiten und bedürfnissen passen. und die entstehen aus den eigenhei- ten der jeweiligen person, ihren beziehungen, ihren (ar- beits-)aufgaben, der jeweiligen organisation, in der sie ihre zeiten verbrin- gen, den (inter-)kulturellen bedingungen und denjenigen, die uns die natur vorgibt. innerhalb der naturzeiten ergeben sich im fünfeck vernetzte zeit- 12 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
zur zeitumstellung geflechte aus eigen-, sozial-, aufgaben-, organisations- und kulturzeiten. und wir sind mittendrin, statt nur dabei. aufgabenzeiten organisationszeiten sozialzeiten person kulturzeiten eigenzeiten naturzeiten und irgendwann ist die zeit abgelaufen. schluss, finis, amen und aus. am ende dieses buches geht es um das thema endlichkeit. na endlich. um den persönlichen nutzen von leserinnen und lesern zu steigern, gibt es in diesem text nicht nur wissenswertes über die zeit, sondern er wird zu- dem themenbezogen mit ¨impulsen zur zeitumstellung© angereichert. da- bei handelt es sich um angebote zum mitmachen, sprich zum weiterdenken, mit bezug zur eigenen person und zur verbesserung der stimmigkeit des eigenen zeithandelns für die eigene höchstpersönliche zeitumstellung. eine solche kann dieses buch anregen. wenn sie gelingt, dann endet sie günstigstenfalls jenseits von pragmatischen handwerkszeugen im selbst und in einer persönlichen zeitlichen weisheit. soviel zeit muss sein. ach übrigens: ich bin der (cid:143)zeit-geist(cid:160) und ich störe sie schon mal zwischendurch beim lesen. vielleicht kann ich auch mal zur (cid:143)erleuchtung(cid:160) beitragen ;-) ich hab’ keine zeit zum lesen! geht das nicht auch online? oder als app? © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 13
wissenswertes zur zeit s e t r e w s n e s s w i t i e z r u z z u r z e i t i w s s e n s w e r t e s wissenswertes zur zeit © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
teil eins: wissenswertes zur zeit zeit-gescwicwten: die zeiten ändern sicw ԃ zeit eine konstruktion ԃ urzeiten: überlebenszeit ԃ antike zeiten: kulturzeit ԃ vormoderne zeiten: naturzeit ԃ moderne zeiten: uhrzeit ԃ postmoderne zeiten: gleichzeitigkeit © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 15
teil eins: wissenswertes zur zeit wozu braucwt der menscw die zeit? ¨probieren sie es doch mal ohne© wäre eine etwas provokante antwort. sie zeigt, wo es enden wird: in der zeit. denn in der aufforderung ¨probieren sie es doch mal …© steckt ja schon eine zukunftsvorstellung. und damit ein un- terschied: heute mit zeit, morgen probieren wir es mal ohne. das ist ein unter- schied: der von heute und morgen oder von jetzt und gleich. würden wir keine unterschiede machen, dann könnten wir die welt nicht erkennen und erklären. dann wäre ¨nichts© mehr und selbst das ist ohne einen unterscheid zum ¨nicht nichts© nicht zu erklären. wir brauchen also unterschiede, um uns eine vorstel- lung von uns in raum und eben auch in der zeit zu machen. ohne zeit gibt es keine vorstellungen von der welt. jedenfalls keine alltagstauglichen. die theorie der quantengravitation lässt in ihren gleichungen zeit (t) weg und behauptet, dass die welt auf einer fundamentalen ebene zeitlos sei. alltagstauglich ist das nicht gerade. ob es zeit gibt oder nicht, sei dahingestellt. klar scheint aber, dass wir etwas als vorstellung brauchen, das wir ¨zeit© nennen, um uns die welt und uns in dieser welt vorstellen, ¨konstruieren© zu können. insofern ist zeit, wie auch immer sie konstruiert wird, etwas, das wir brauchen, um aus dieser welt etwas für uns brauchbares zu machen. wir nennen das ¨sinn©. zeit ist insofern ein ¨sinnhori- zont©, sagt der soziologe luhmann. wir brauchen ihn, um die welt in eine für uns sinnvolle abfolge von vergangenheit, gegenwart und zukunft zu bringen. wir nennen das ¨geschichte©. und insofern kann die antwort auf die frage, wozu die menschen die zeit brauchen, auch lauten: wir brauchen die zeit, um uns unsere geschichten zu erzählen von uns selbst, von den anderen, von der welt. und weil das etwas ganz subjektives ist, gibt es die zeiten, die wir brauchen, nur im plural. 16 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
teil eins: wissenswertes zur zeit postmoderne zeiten: gleicwzeitigkeit unsere hauptthese ist im ersten anlauf einfach zu formulieren. sie besagt, dass komplexere gesellschaftssysteme weitere, abstraktere und in sich differenziertere zeithorizonte bilden als einfache gesellschaften. sie erreichen damit eine höhere, möglichkeitsreichere weltkomplexität, die ihnen das erreichen höherer selektivität im erleben und handeln ermöglicht. niklas luhmann 1972, s.86 blick in die zeit: eine vorstellung noch während die s-bahn-tür vor mir öffnet und die angestrengt auf ihr mobil- gerät starrenden morgendlichen aussteiger an mir vorbeiströmen, wische ich über das display meines smartphones. mache ich immer so, ist ein ritual quasi und gerade auch eine günstige gelegenheit. beim ein- und aussteigen, meine ich. ich checke die sms, meine whatsapp gruppen, tippe auf ein video, das ich bekommen habe und das mich ausnahmsweise wirklich mal zum schmunzeln bringt, gehe schnell in meine google-kreise und als höhepunkt des morgendlichen s-bahn-aufenthalts sichte ich die facebook-neuigkeiten. ich klicke einige likes und schreibe zwei, drei kommentare, die ich passend mit smileys verziere. den clip, den ich eben bekomme habe, poste ich und freue mich, dass das bis zu meinem heutigen s-bahn-ausstieg fünf freunden gefällt. das vibrieren meines telefons erinnert mich an den anstehenden arbeitstag. ich nehme kurz an, während ich mich zwischen unzähligen displays und wenigen zeitungen (wer liest sowas heute noch bitte?) auf den bahnsteig dränge und zur u-bahn haste. geschäftliche dinge eben. hatte heute nacht schon einige auf der mailbox von drüben, da wo unsere entwickler sitzen, weil sie dort billiger sind, aber da bin ich radikal. nachts ist mein mobiltelefon stumm geschaltet! nun, während ich auf die u-bahn warte, ist, nach- dem ich kurz meine lieblings-onlineportale geprüft habe, der moment gekommen: ich öffne erstmalig mein outlook, checke die heute anliegenden termine und meetings sowie die eingegangenen mails seit gestern abend bloß 57 an der zahl. lässig. ich verstehe es einfach nicht, weil ich mails so fürchterlich antiquiert finde. 58 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
zeit-geschichten: die zeiten ändern sich aber na ja. um mich abzulenken, chatte ich kurz mit meinen kumpels. wegen dem after-work-bier heute. vielleicht treffen wir uns heute schon gegen sieben im ¨time-out© ist eine oberangesagte bar gerade. oder wir disponieren nochmal um. ist ja kein problem, sind ja alle immer online. outlook blinkt und avisiert telko in 5 minuten. ich stelle die musik ab, die ich mir auf dem weg zur arbeit immer gönne, und starte ein e-book, das ich gestern begonnen hatte, mir reinzuziehen. ein bisschen weiterbildung muss ja sein. es geht in dem buch um ¨verständigung im turm zu babel©, um multichannel-kommunikation und proaktives zuhören so diese sachen eben. ganz witzig. les’ ich während der telko. wär’ für die kollegen vielleicht auch lustiger als dieses ewige alberne sinnfreie rumgeleiere. ich glaube aber, dass alle das beibehalten mit der täglichen telko, weil sie so in der früh in aller ruhe ihre mails abarbeiten können. ich investiere da lieber in bildung. oh, ap- ropos, ich muss noch die abholung vom großen aus der schule organisieren. hat heute früher aus. ich tippe eine sms an max, unseren nachbarn, der ist freiberuf- ler und immer im homeoffice. der kann die jungs aus der schule karren und sie vielleicht noch kurz beim amerikaner verpflegen. ich mach’ das mit dem homeof- fice nur an zwei tagen die woche. ist mir echt zu anstrengend. meine kleine muss zum reiten raus auf den hof, da kümmert sich wie immer ina drum. passt für sie ganz gut. da hat sie auch mal ruhe, um ihren posteingang abzuarbeiten und die wichtigsten telefonate zu erledigen. der kalender meines smartphones blinkt auf. mensch, gut dass ich mir das notiert hatte, heute ist ja unser kennenlerntag. ich jage kurz einen blumengruß raus, während ich aussteige und mich bei der telko anmelde. reserviere schnell noch einen tisch beim japaner beim running- sushi. wir mögen das beide. ich schaue kurz auf meine uhr, weil ich die so herrlich antiquiert und irgendwie klassisch finde. ist ja auch eine ¨automatic© eines sehr angesagten edel-uhrmachers, ein richtiges schmuckstück, finde ich. die zeit- anzeige registriere ich gar nicht mehr, die ist ja sowieso ungenau. ich bekomme meine zeitlichen informationen über mein smartphone und allerlei termingehil- fen. aber die ist schon sehr schick, freue ich mich. auf der rolltreppe blättere ich durch mein e-book. bis ich ins büro geschlendert bin, bin ich sicher wieder drin. dort kann ich mich dann in den text vertiefen bei der telko. man will ja schließlich heute auf allen kanälen klarkommen … im nu von der moderne in die postmoderne von der moderne zur postmoderne kommt man ¨im nu©. in diesem ¨nu© definitionsgemäß einem sehr kurzen zeitabschnitt gipfelte die moderne in all ihrer beschleunigungsdynamik und in den umkippeffekten, die diese produziert. und so kann sie augenblicklich, ¨im nu© in die postmoderne © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 59
teil eins: wissenswertes zur zeit kippen. das kann zur traumatischen erfahrung werden, denn das, was lange so eindeutig daherkam, scheint plötzlich ganz anders. eine solche umkipp- erfahrung machte ein gedankenverlorener passant ende der 1960er-jahre in münchen, das angesichts der nahenden olympiade einen modernisierungs- schub erfuhr. damals verkündeten überall in der stadt große bautafeln ver- heißungsvoll die fortschrittsparole: ¨münchen wird modern!© eines tages las der passant wieder diesen satz, aber er las ihn anders und er ist ihn auch nicht mehr losgeworden seither, wie der philosoph wolfgang welsch berichtet, der diese geschichte erzählt (welsch 1987, s.178/179). alles war wie vorher, die tafeln, die farben, die buchstaben. aber statt der fortschrittsver- heißung ¨münchen wird modern© stand da plötzlich die fäulnisprophetie: ¨münchen wird modern© sich in fäulnis, verwesung, in moder auflösen. so ist es mit dem, was heute verlegenheitshalber ¨postmoderne© genannt wird: im ¨nu©, einer winzigen zeiteinheit, schaut die welt anders aus. ruck zuck. eben noch eine schöne gepflegte utopie, jetzt eine katastrophe: von der modernen stadt zu einer, die verwest. nur weil der beobachter es plötz- lich anders sieht, kippt die welt ins gegenteil. und ist beides gleichzeitig: sie ist modern und am vermodern. alles gewt! gleicwzeitig! alles ist möglich ¨anything goes© á heißt der postmoderne slogan. alles geht. immer. und zugleich. und es geht auch wieder vorbei. ¨man hört reg- gae, schaut western an, isst mittags bei mcdonald’s und kostet am abend die heimische küche, trägt französisches parfum in tokio, kleidet sich nostalgisch in hong kong und als erkenntnis tritt auf, wonach das fernsehquiz fragt.© so hatte françois lyotard, dem die erfindung der postmo- derne gerne angehängt wird, dieselbe bereits 1988 durch- alles ist möglich – »anything goes«. alles geht. immer. schaut (lyotard 1988, s.197). in der postmodernen vielfalt sind denn auch die zeitlichen wirklichkeitskon- struktionen vielfältig, uneindeutig und oft widersprüchlich. und dies gleich- zeitig. dort geht’s um dies, da um das und überall um vieles gleichzeitig. hier dauert’s etwas länger, dort geht’s ganz flink und parallel passiert im- 60 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
zeit-geschichten: die zeiten ändern sich mer auch noch irgendwas zusätzlich. die zeitlichen wirklichkeiten der arbeit und des lebens sind komplex angelegt. nicht mehr so klar gegliedert und planvoll gesteuert wie in der moderne, sondern eher chaotisch und unüber- sichtlich. vielfalt ist die größte ressource der postmoderne. und sie ist die größte herausforderung. gesteuert wird diese komplexität heute meist über selbststeuerung, nicht mehr über große steuerungsapparate. es werden nicht mehr die großen zentralistischen pläne für die steuerung komplexer prozesse und sachverhalte bemüht. diese hatten sich zudem politisch auch nicht wirklich bewährt, sondern den zusammenbruch eher beschleunigt. weil der große plan also ein verfallsmodell ist, wird die steuerung der zu bewältigenden komplexität heute den individuen zugeschrieben und zu- gemutet. die können das am besten, sie haben es gelernt, und wenn nicht, dann müssen sie es jetzt. immerhin ist ja auch die mediale totalverwurstung des selbst in irgendwelchen ¨profilen© in sozialen netzwerken selbstge- steuert. ebenso wie die sogenannten flexiblen arbeitszeiten. im gesteckten rahmen ist die arbeitszeit heute meist selbstorganisiert zu verteilen und zu gestalten. die verantwortung für deren ¨management© oder heute auch wegen höherer sozialverträglichkeit gerne genommen die ¨balance© von leben und arbeiten wird radikal individualisiert. zuständig ist die einzel- person. ¨der mensch ist©, so sigmund freud, zwar ¨nicht herr im eigenen haus©, herr seiner zeiten soll er aber sein, bitte. vielfältige, von der natur und auch von den organisationen entgrenzte zeit- maße und rhythmen bestimmen sein leben. mediale wirklichkeiten, soziale netzwerke und der globale hype verstärken dies. immer arbeiten, immer lernen, immer online, die abholung der kinder aus dem kindergarten organisieren, parallel mal eben die hundert- tausend mails checken, die freizeit unterkriegen und das familien- und beziehungsleben managen, wellness zum er- holen mit dazupacken und den täglichen waldlauf mit smartphone, versteht sich, das die zeit misst, die schritte, die entfernung und neben den ganzen vernetzungen auch das nächste fast-food-restau- rant anzeigt, denn essen muss ja dann gelegentlich auch noch sein. auch wenn es diverse apps als (vermeintliche) hilfsmittel gibt, um ordnung zu schaffen, bleibt der einzelne zuständig. ¨der große zwang zur kleinen frei- heit© (geißler/orthey 1998) ist die folge zunehmender möglichkeiten, die wir der große zwang zur kleinen freiheit. © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 61
teil eins: wissenswertes zur zeit immer gerne gehabt hätten. und nun, da sie da sind, wird eben das zur her- ausforderung. ¨möglichkeitsüberschuss© nennen das sozialwissenschaftler. manchmal ist er auch ein überfluss. und manchmal ist er auch überflüssig. ¨das aufgelöste subjekt und seine freunde© (orthey 2008) sind heute pau- senlos online auf facebook zu fi nden. ¨gefällt mir© das? was zu den ganzen möglichkeiten hinzukommt: die menschen jedenfalls reden sie sich das hierzulande ein sind auf einem niveau von freiheit und reflexion angekommen, das eine totalrationalisierung des gesamten le- bensraumes weiter befördert. das heißt, alles, wirklich alles, unterliegt der überprüfung des verstandes. kaum noch etwas geschieht aus dem bauch heraus, wenn es wichtig ist. es wird umhergewälzt, reflektiert, überprüft. kein furz mehr aus der mitte heraus ohne kleinen ratgeber und superviso- risch-beraterische stütze. nichts mehr ohne reflexion. erst recht nicht zur zeit! auch das braucht seine zeit. verstehe. so wie dieses buch hier?! zeitvielfalt im möglicwkeitsüberscwuss nichtsdestoweniger werden die folgen von vergleichzeitigung, möglich- keitsüberschuss und dauerreflexionsschleifen als belastend empfunden und machen in der tat häufi g krank. zeitkonstruktionen sind endgültig von knappheitsannahmen her justiert: zeit ist etwas, das knapp ist. das ist klar und weitgehend unumstritten im alltäglichen kommunikativen dauergewu- sel. und sie vergeht immer schneller. daraufhin muss ich den umgang mit ihr anlegen. und dies obwohl die lebenserwartung steigt und statistisch gesehen die arbeitszeit sinkt. aber ach, es gäbe ja noch so viel anderes und neues zu erleben. das liegt daran, dass uns angesichts der vielfältigen erfahrungshorizonte, auf die wir uns als vergangenheiten berufen können, 62 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
zeit-geschichten: die zeiten ändern sich auch die möglichkeiten, die wir zukünftig zu haben scheinen, noch vielfäl- tiger erscheinen. viele vergangenheitserfahrungen produzieren vielfältige zukunftserwartungen. die multimedialen zugänge zu möglichen wirklich- keiten besorgen den rest. alles ist in der postmoderne ¨multi-©. multioptio- nal, multifunktional, multitasking und eben auch multimedial muss es schon sein. drunter geht’s heutzutage nicht mehr. ¨ich bin viele!© besonders scheint das in den sozialen netzwerken zu gelten. verstehe, ich klick’ mich rein in den möglichkeitsrausch! und mache mich zu vielen, weil ich alleine das ja nicht hinbekommen kann. ist ja viel zu viel für einen einzigen, deshalb brauch’ ich viele profi le und identitäten. ja! so muss es wohl sein … dieser möglichkeitsüberschuss ist typisch postmodern. in der zeitdimension zeigt er sich als ¨überforderung des erlebens durch erwartungen©, wie ni- klas luhmann es bereits 1968 vorausschauend und prägnant benannte (vgl. luhmann 1968). ich habe also immer mehr möglichkeiten. daraus mache ich meine erwartungen für das, was ich gerne (noch) erleben möchte. aber das sind viel zu viele, als dass ich sie tatsächlich alle in meinem erleben unter- bringen könnte. ich kann mir also durch den möglichkeitsüberschuss immer mehr und im- mer mehr neue mögliche gegenwarten zusammenbasteln oder, wie ich es eingangs benannt hatte: ¨konstruieren©. und das in dem wissen, das diese möglichkeiten immer auch anders sein könnten. die postmoderne hat die großen ¨einheitserzählungen©, z.b. die von einer ¨vernunft© oder die von der einen einzigen ¨wahrheit© für tot erklärt. an ihre stelle treten nun viele unterschiedliche ¨sprachspiele©, so haben das die postmodernen denker in anlehnung an den großen philosophen ludwig wittgenstein genannt. alle diese sprachspiele, das sind sprachliche sinnkonstruktionen, sind möglich. nicht mehr nur eines, sondern viele. und morgen wieder andere (und wir denken jetzt nicht an einen amerikanischen präsidenten, nein!). und ein an- © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 63
teil eins: wissenswertes zur zeit deres sprachspiel ist immer auch denkbar, recherchierbar, schnell und jeder- zeit herbeizugoogeln. was da alles so im internet vonstattengeht, macht es konkret: es gibt alles, was mann und frau (nicht) braucht einschließlich shitstorms und solcher wahrheiten, die kein mensch braucht (¨hatte hit- ler drei eier?©). vernunft und sinn gibt es nur noch im plural. den menschen auch. das macht manchem von ihnen druck. sie nennen es zeitdruck und sie haben zeitprobleme. dann machen sie zeitmanagement (vgl. teil drei), was die problemwahrnehmung eher verschärft als entlastet. sie versuchen die ¨dichte der handlungs- und erlebnisepisoden pro zeiteinheit© so benennt es der soziologe hartmut rosa (2005) zu steigern. postmoderne zeiten sind am möglichkeitsüberschuss und an einer vielfalt unterschiedlicher bezüge der zeiten orientiert. das leben wird zum ständigen entscheidungsproblem in ge- schrumpften und fragmentierten gegenwarten. allerlei zeiten im plural es geht nicht mehr eindeutig um das überleben wie in der urzeit, nicht mehr um die natur wie in der vormoderne oder um die organisation wie in der moderne als zeit-, rhythmus- oder taktgeber. es geht um das allerlei und vielerlei von zeiten, das sich in der person verdichtet. alles gleichzeitig. und zwar sofort (vgl. geißler 2007). postmoderne zeiten sind vielfältige zeiten. zeiten werden differenziert, ver- vielfältigt, fragmentiert und vergleichzeitigt. arbeitszeiten, beziehungszei- ten, familienzeiten, erziehungszeiten, konsumzeiten und zeiten unterwegs in der ganzen welt. hinterlegt durch die allgegenwärtigen zeiten im netz. die sind immer und über- all, quasi als mitlaufende zusätzliche immerwährende zeit- qualität. postmoderne zeiten sind viel- fältige zeiten. ¨anything goes© so das motto der postmoderne. es heißt um die zeitdi- mension erweitert: ¨anything goes aber it goes auch vorbei!© 64 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
anregendes zur zeit z u r z e i t a n r e g e n d e s s e d n e g e r n a t i e z r u z anregendes zur zeit © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
teil zwei: anregendes zur zeit zeitformen: zeiten wie wir sie erleben ԃ augenblick mal bitte! ԃ warten: was wir tun, wenn wir nichts tun. ԃ schnelligkeit: wart mal schnell! ԃ wiederholung: wiederholen sie das nicht noch mal! ԃ takte und rhythmen: taktlosigkeiten und heiße rhythmen. ԃ abschlüsse und anfänge: erst wer am ende ist, kann von vorne anfangen! © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 81
teil zwei: anregendes zur zeit zeit gibt es nur im plural. wir erleben und gestalten unsere zeiten ganz unter- schiedlich. daraus entsteht eine große vielfalt von formen, die zeit jeweils für uns annimmt, wie wir sie erleben, spüren oder fühlen. zeit ist das medium, das ganz unterschiedliche formen annimmt bzw. durch uns in ganz unter- schiedliche formen gebracht wird. ähnlich wie das medium sand, das nicht nur in kinder- sondern auch in künstlerhänden ganz unterschiedlich in form gebracht wird. diese formen wirken auf die betrachter ganz unterschiedlich. manche staunen, für andere sind sie keinen blick wert, die formgeber wie- derum sind stolz und kennen nichts anderes, wie es scheint, als ihre liebevoll errichtete sandburg. bis die herannahende flut die form dann der vergäng- lichkeit zuführt. zurück bleibt eine erinnerbare vergangenheit und das me- dium, der bloße sand, der für neue formgebungen verfügbar ist. oder auch für nichts. sand, der einfach nur daliegt, bis jemand kommt und ihn wieder in form bringt. ein kind, eine baggerschaufel, die flut oder ein sandkünstler. ähnlich ist es mit der zeit, die da ist und von uns in formen gebracht wird. diese formen der zeit, verstanden als erfahrbare qualitäten, beeinflussen un- ser zeitbewusstsein. wir kennen das: mal verrinnt die zeit ganz schnell, mal scheint sie zu stehen, mal fasziniert der augenblick, dann nervt oder erfreut die wiederholung. je nachdem eben. um solche qualitäten geht es hier. letzt- lich ist die entstehung dieser qualitäten beobachterabhängig. geht’s dem ei- nen viel zu langsam, überfordert die andere die schnelligkeit. dennoch lohnt sich ein blick auf die ausgewählten formen, die zeit annehmen kann, wenn wir uns derart in der zeit beobachten. ich habe einige ausgewählt, die mich reizten. 82 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
augenblick mal bitte! j et z t zeitformen: zeiten wie wir sie erleben halte immer an der gegenwart fest. jeder zustand, ja jeder augenblick ist von unendlichem wert, denn er ist der repräsentant einer ganzen ewigkeit. johann wolfgang von goethe nehmen sie sich bitte mal einen augenblick zeit für folgende gedanken- gänge. oder ist ihnen das zu viel? haben sie überhaupt einen blick für das, was der ¨augenblick© ist, die kleinste gefühlte und messbare gegenwart, die wir kennen? der augenblick bezeichnet umgangssprachliche eine zeitspanne, die unter- schiedlich wahrgenommen wird. damit ist er ein mehr oder meist weniger ausgedehnter teil der ¨dauer©. meist ist der augenblick wohl von kurzer dauer, eher ein moment, eine bewusste wahrnehmung des gegenwärtigen hier und jetzt. es gibt kostbare augenblicke, solche, in denen man am liebs- ten sterben möchte, andere, die unvergesslich sind, es gibt märchenhafte, lichte augenblicke, wahre, erhabene und erfüllte. wir hoffen auf günstige augenblicke und natürlich gibt es auch augenblicke zum vergessen. sie gewinnen ihre zeitliche markierung als ¨augenblick©, weil eine zeitliche dauer mit einem besonderen emotional wirksamen erlebnis verknüpft wird. wenn etwas als ¨augenblick© erlebt wurde, wird oder werden soll, dann geht es um etwas ganz besonderes, etwas, das sich vom üblichen einerlei unterscheidet. die zeitform des augen- blicks mögen wir deshalb, weil sie uns etwas besonderes vermittelt. ein augenblick ist ein unterschied, der einen unterschied macht. wer erinnert sich nicht an den augen- blick des ersten kusses oder denjenigen des ¨ersten mals©? wir geben einem ereignis ¨unserer augen blick© und damit bekommt es einen anfang und ein ende. das dazwischen, das ist der augen- blick, den wir genießen, erinnern oder herbeisehnen. es gibt den augenblick also als erinnerte vergangene gegenwart, als erhoffte zukünftige und als ein augenblick ist ein unter- schied, der einen unterschied macht. © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 83
teil zwei: anregendes zur zeit faktische aktuelle gegenwart. am liebsten natürlich als solche augenblicke, mit denen wir mit goethe sagen dürfen: ¨verweile doch, du bist so schön!© obwohl jeder augenblick wollen wir leonardo da vinci folgen doch zeit- los ist. was jetzt? im augenblick (des ersten kusses), dieser ereignisbestimmten dauer mit anfang (blickkontakt) und ende (lösen der lippen voneinander), steht die zeit still, sobald er ein ¨augenblick© wird. damit bezeichnet der augenblick eine bestimmte zeit, die zeitlos wirkt. der augenblick ist eine bestimmte form, die zeit annimmt, wenn wir sie (cid:143)augenblick(cid:160) nennen. pechriggl (1993, s.36ff.) benennt den hiermit umfassten widerspruch als die ¨un/er/faßbare momen- tanität© des augenblicks. der augenblick macht die widersprüchliche zeit- liche erfahrung von einer bestimmten ereignisdauer und dem gleichzeitigen gefühl von zeitlosigkeit, von ewigkeit möglich. der augen- im augenblick blick ermöglicht uns damit eine annäherung an die para- fallen zeit und doxie der zeit. sie verstehen das nicht? denken sie einfach zeitlosigkeit an ihren ersten kuss zurück! im augenblick fallen also zeit und zeitlosigkeit zusammen gefühlt ist das jedenfalls so. zusammen. und da eben dieser widerspruch den augenblick offenbar zu besonders wirkungsvollen und nachhaltigen zeitlichen erfahrungen macht, erscheint es lohnenswert, sich gut mit ihnen zu versorgen besonders angesichts der augenblickslosigkeit des ganzen hektischen getues heut- zutage, das eher einem hintergrundrauschen ohne rhythmus und melodie gleicht. da lobt man sich die abwechslung, die unvergessliche augenblicke bietet. also mehr davon! dieser sehnsucht folgte eine welle, hinter der eine ganze augenblicks- industrie steht. jeder urlaub, jeder ¨event©, jedes wellnessangebot ver- spricht sie, die unvergesslichen oder besser noch die unvergleichlichen augenblicke. obwohl die begriffsverwendung sicher nicht immer im hier beschriebenen sinne reflektiert stattfindet, sondern eher sprachlichen moden folgt, zeigt die augenblickliche angebotsdynamik, dass der verlust von bewussten augenblicken angesichts der postmodernen anfangs- und end losigkeit zu einer verstärkten sehnsucht führt, die das geschäft belebt. mangel ist eben der antrieb für verstärkte nachfrage. insofern kann die ganze erlebnisgeschäftigkeit als ergebnis zu kurz kommender augenblick- lichkeiten gedeutet werden. wenn ich keine kostbaren augenblicke mehr 84 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
zeitformen: zeiten wie wir sie erleben habe, dann kaufe ich mir welche beim jumpen, biken, raften oder anderen augenblicksverdächtigen aktivitäten, die mich mit hoher wahrscheinlich- keit aus meinem üblichen zeitlichen erleben herausreißen. immerhin lautet die versprechung: genieße den augenblick! ob dabei immer die ersehnten augenblickserfahrungen herauskommen, sei dahingestellt, aber einen ver- such ist es ja wert. wert ist es die einzigartigkeit von augenblicken aber allemal, sich mit sol- chen zeitlichen erfahrungen gut zu versorgen, besonders dann, wenn sie im alltags-(er-)leben zu kurz kommen. denn wenn es gelingt, zeiterfahrungen als augenblicke zu beobachten, dann entsteht so etwas wie eine ¨erfüllte© zeit. zudem wird uns mancherorts verheißen: ¨wenn wir den augenblick genießen, merken wir gar nicht, wie schnell die zeit vergeht.© diese kombi- nation macht uns an: die kombination von erfüllter zeitwahrnehmung und der aussicht, der flüchtigkeit und schnelligkeit der zeit zu entrinnen. nicht zuletzt deshalb wünschen wir uns viele lichte augenblicke. jetzt! momentchen mal! ich brauch jetzt mal ein paar augenblicke für mich … © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 85
teil zwei: anregendes zur zeit impulse zur zeitumstellung augenblicke, an die ich gerne zurückdenke … ..................................................................................................................................... ..................................................................................................................................... ..................................................................................................................................... ereignisse, mit denen ich diese augenblicke verknüpfe … ..................................................................................................................................... ..................................................................................................................................... ..................................................................................................................................... orte, personen, begegnungen, themen, die als ereignisse besonders häufig in meinen augenblickserinnerungen auftauchen … ..................................................................................................................................... ..................................................................................................................................... ..................................................................................................................................... folgerungen daraus für künftige augenblicke, mit denen ich mich versorgen will: was brauche ich für das bewusste, besondere erleben zukünftiger augenblicks- erfahrungen? ..................................................................................................................................... ..................................................................................................................................... ..................................................................................................................................... wenn sie möchten, bilden sie sich aus den erinnerten augenblicken und ereignissen eine für sie reizvolle augenblicksabfolge und erzählen sie sich selbst eine geschichte besonders schöner und intensiv erlebter augenblicke. was, welche augenblicke, braucht diese geschichte, um augenblicklich wirklichkeit zu werden? ..................................................................................................................................... ..................................................................................................................................... 86 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
nützliches zur zeit z u r z e i t n ü t z l i c h e s s e h c i l z t ü n t i e z r u z nützliches zur zeit © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
teil drei: nützlicwes zur zeit zeitumstellungen: wie wir unsere zeiten umstellen können ԃ und nun? vom zeitmanagement zur zeitumstellung eine neue zeit-ordnung im fünfeck aufgabenzeiten organisationszeiten kulturzeiten eigenzeiten sozialzeiten naturzeiten die person im zentrum ԃ was nun, was tun? möglichkeiten der zeitumstellung im fünfeck ԃ was nun, was noch (nicht) tun? ԃ ԃ schattenspiele: ums eck gedacht. haltungsnoten für mehr zeitliche gelassenheit aufgabenzeiten organisationszeiten sozialzeiten person kulturzeiten eigenzeiten naturzeiten © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 151
teil drei: nützliches zur zeit wir sollen nicht aus der vita activa in die vita contemplativa fliehen, noch umgekehrt, sondern zwischen beiden wechselnd unterwegs sein, in beiden zu hause sein, an beiden teilhaben. hermann hesse und nun? vom zeitmanagement zur zeitumstellung es liegt heute im trend, nahezu allem, was rätsel aufgibt, durch koppelung mit dem managementbegriff die aura der machbarkeit einzuhauchen. einer- seits kann dies als indiz für die völlige durchdringung des lebens und arbei- tens mit einredungen und wirklichkeiten der ökonomie gedeutet werden. an- dererseits verheißt die zugabe einer prise ¨management© die steuerbarkeit des nicht-steuerbaren: wissens-, sozial-, kultur-, kunst-, bildungs- und eben auch zeit-management. das löst reflexartigen speichelfluss aus zuallererst bei denjenigen, die sich für die kompetenzentwicklung solch spannungsge- ladener managementkonstruktionen zuständig erklären. flugs waren von ih- nen zeitmanagementseminare entwickelt und erfreuen sich bis heute gro- ßer beliebtheit und nachfrage. kein wunder bei den nöten der zeitgeplagten. aber auch kein wunder angesichts der beimischung des managementbegrif- fes, der ausreichend garant für berechenbarkeit, kalkulierbarkeit, steuer- und machbarkeit zu sein scheint. die postmoderne (vgl. teil eins) neigt zu steige- rungen und überanstrengungen. unter anderem, indem es besonders reiz- voll zu sein scheint, grundlegend unverträgliches sprachlich zu kombinieren. und damit zu vermitteln, dass es doch irgendwie gehen sprich: gemanagt werden kann. nur: wie kann etwas ¨gemanagt© werden, das uns gar nicht vollends zugänglich ist? etwas, das uns nicht ¨gehört©, das wir nicht besit- zen und auch nicht beeinflussen können? etwas, das konstruktion von be- obachtern (vgl. teil eins) ist, eine jeweils sehr spezifische personenbezogene und situative vorstellung? etwas, von dem es so viele unterschiedliche bilder gibt wie menschen? wie kann dies, wie bitte kann zeit ¨gemanagt© werden? 152 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
zeitumstellungen: wie wir unsere zeiten umstellen können womöglich eben wegen der unmöglichkeit des vorhabens begegnen eilige mar- ketingzeitgenossen den sich aus der vielfalt der lebensmöglichkeiten entwi- ckelnden nicht nur zeitlichen dilemmata mit der gebetsmühlenartigen promo- tion des zeit-¨managements© und sprechen damit offenbar nach wie vor sehr wirkungsvoll eine verbreitete sehnsucht an. unter umständen wird das angebot noch mit einer prise ¨nachhaltigkeit© versehen, denn das geht gerade gut am markt, versteht sich. ebenso wie der passende ratgeber zum pädagogischen angebot (inkludiert in der kursgebühr). zeit- management ist eher ein (erfolgreiches) marketingprodukt auf einem boomen- den markt der selbstoptimierung als eine erfolgsversprechende lösungsstrategie. zeitmanagement entpuppt sich als eine mach- barkeitsillusion. insofern entpuppt sich zeitmanagement in vielen fällen irgendwann doch eher als eine machbarkeitsillusion, die erst mal mit schnellen standardisier- baren lösungen blendet und vermeintliche anfangserfolge aufweist. dann allerdings kommt es zum oft kläglichen scheitern, weil die angebotenen ¨werkzeuge© von günstiger baumarktqualität nicht zur qualität der situa- tionen passen, die eher hochwertiger spezialwerkzeuge bedürfen, die auch zum handwerker, zu seinen bedürfnissen und kompetenzen, zu seinen spe- ziellen mustern und marotten passen. letztlich läuft zeitmanagement ja auf planung hinaus. wenn ich beginne, zeit als etwas zu beobachten, das geplant werden kann, dann erscheint eben dies erst mal als entlastende lösung: yes we can, wir schaffen das, zeit ist plan- bar! und die dilemmata, in denen ich mich zeitlich befinde, sind auch planbar (obwohl sie oft gar nichts mit zeit zu tun haben, sich nur in der zeitdimension auswirken, aber egal: planbar sind sie!). und ein plan gibt sicherheit. und ist mach- und handhabbar. als plan. und wenn ich dann sogar noch den viel herbeigerufenen ¨plan b© habe meist so eine vorrichtung für den fall, dass plan a nicht klappt , dann kann gar nichts mehr passieren! also wird eif- rig geplant. die pläne wirken durchdacht, blenden mit übersichtlichkeit und einer systematischen abfolge von to-dos. schicke tools und apps steuern diejenige ästhetik bei, die wir kennen und brauchen heutzutage, und erhö- hen die glaubhaftigkeit des schier unglaublichen. das tut erst mal gut. oft wird vergessen, dass ein plan das eine, seine umsetzung aber etwas anderes ist. na ja. der plan steht erst mal. es ist ein zeitplan. den blinden fleck die- ses planvollen gedankengangs bringt uns ein satz von immanuel kant nahe: © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 153
teil drei: nützliches zur zeit ¨pläne machen ist mehrmalen eine üppige, prahlerische geistesbeschäfti- gung, dadurch man sich ein ansehen von schöpferischem genie gibt, indem man fordert, was man selbst nicht leisten kann, und vorschlägt, wovon man selbst nicht weiß, wo es zu finden ist.© sah trotzdem gut aus, der plan. bei den planungen des klassischen zeitmanagements wird zudem oft die lö- sung mit dem problem bekämpft: so wird zum beispiel zeitlich aufwendiger planung mit zeitlich (noch) aufwendigerer planung begegnet. auch die to-do- oder prioritätenliste braucht ihre zeit, ganz zu schweigen vom ¨controlling© und der meist erforderlichen umplanung, wenn das leben mal anders läuft, als es die schöne liste vorsieht. dadurch ist zeitmanagement oft ein beschleu- niger für das hamsterrad, in dem wir uns gefangen fühlen. schade eigentlich. zudem leben wir ja nicht nur in der zeit, sondern auch im raum. aber wer käme bitte auf die idee, für sein leben ein ¨raummanagement© zu ma- chen? also festzulegen, in welchen räumen er sich (wann) aufhält: toilette, u-bahn, büro, wohnzimmer, terrasse … wir bewegen uns eher flexibel in denjenigen räumen, die zu dem passen, was wir wollen oder was gerade ansteht oder notwendig oder sinnvoll erscheint. und klar ist dabei, dass wir nicht überall gleichzeitig sein können. die zeit wollen viele aber mana- gen womöglich auch, damit sie möglichst viele räume und sehnsuchtsorte erleben, besuchen und entdecken können. nichtsdestoweniger wählen wir orte und räume aus, die wir mögen oder die wir besuchen wollen. wir tref- fen räumliche und örtliche entscheidungen, die zu uns passen. günstigsten- falls jedenfalls. die zeit aber soll in einer art und weise gemanagt werden, als hätte sie nichts mit uns, mit unserer person, unseren bedürfnissen und vorlieben zu tun. wir wollen ihr eine verlässliche ordnung geben. das ist nachvollziehbar, aber es kann nur dann gelingen, wenn diese ordnung zu uns als person passt, also zu dem, wie wir ticken und wie wir ticken wollen. das kann eher gelingen, indem wir unsere einstellung zur zeit überprüfen, sie als ressource und nicht als zu bewirtschaftendes gut begreifen. und sie dabei wieder oder anders neu entdecken. war also nichts mit dem zeitmanagement wird aber immer noch gerne genommen … 154 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
zeitumstellungen: wie wir unsere zeiten umstellen können wenn also das zeitmanagement nicht funktioniert, was ist dann mit den herausforderungen und problemen der zeit? und wie? und wann? in der folge biete ich einige möglichkeiten für persönliche zeitumstellungen an. günstigstenfalls können sie damit ihr ganz persönliches zeitliches navi- gationssystem füttern, das sie dann sicher durch die zeit begleitet. schade, das klang zuerst so vielversprechend, dass zeit etwas ist, dass gemanagt werden kann. die alternative hört sich verlockend an, ist aber irgendwie unpraktisch. wie soll das bitte konkret gehen? © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 155
teil drei: nützliches zur zeit eine neue zeit-ordnung im fünfeck vor der frage ¨was nun?© ist es hilfreich, dass sich die von den widersprü- chen der zeit geplagten darüber klar werden, wie ihre eigene zeitliche situa- tion ist. wir haben ja kein organ für die zeit. trotzdem haben wir manchmal das gefühl, ganz viel zeit zu haben, z.b. am anfang des langen urlaubs und oftmals fühlen wir uns gehetzt und empfinden zeitnotstände. deshalb biete ich in der folge ein einfaches modell an, das angesichts der wahrgenomme- nen zeitlichen dilemmata und der erwartungsüberfrachtungen an unsere zeit helfen kann, ordnung herzustellen und eine brauchbare orientierung zur verfügung zu stellen. es handelt sich um eine modellhafte darstellung des zeitlichen geschehens, die vereinfacht. solche vereinfachungen sind gelegentlich hilfreich, wenn die zu ordnende wirklichkeit allzu unübersicht- lich daherkommt. hilfreich bleiben vereinfachungen aber nur, solange klar ist und bleibt, dass es sich eben um vereinfachungen handelt. diese sollen die komplexität dessen, was wir jeweils als ¨wirklichkeit© erleben, reduzie- ren. durch solche vereinfachungen kann dann bestenfalls neue komplexität handhabbar gemacht werden, was hilft, komplexe situationen zu bewäl- tigen. in diesem falle also: das eigene zeiterleben, die eigenen zeitlichen muster so zugänglich zu machen, dass daraus konkrete handlungsalterna- tiven für ¨zeitumstellungen© ableitbar werden, die der jeweiligen person angemessen sind. zu diesem zweck macht das modell der zeitdimensionen die unterschied- lichen bezüge der zeit oder die unterschiedlichen ¨systemzeiten© (orthey 1999, cd, systemzeiten und störungen.doc) deutlich und damit auch un- terschiedliche ¨qualitäten©, die zeit annimmt, wenn sie ԃ der inhaltlichkeit der aufgabe angemessen ist, ԃ der zeitstrukturierung der organisation folgt, ԃ ԃ den eigenen bedürfnissen, ԃ ԃ bzw. an dem, was die natur (als umwelt) vorgibt. (vgl. orthey 2013, s.167ff.). an beziehungen und am kommunikativen orientiert ist an der kultur, einerseits gibt das modell der zeitdimensionen antworten auf die frage, ¨aus welcher ecke© die zeitqualitäten kommen oder die jeweiligen heraus- forderungen. kommen sie also vom inhalt der aufgabe ein buch zu schrei- 156 © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg
zeitumstellungen: wie wir unsere zeiten umstellen können ben, mit einem abgabetermin beim verlag? oder kommen sie von der kultur, in der ich mich bewege und wo es etwas eigentümliche vorstellungen von pünktlichkeit gibt oder von dem, was jetzt gerade meine eigenen bedürf- nisse brauchen? oder von dem, was die familiären beziehungen von mir an präsenz fordern oder von dem, was die jahreszeitlichen bedingungen in mei- nem schlaf-wach-rhythmus bewirken? damit kann klarheit darüber hergestellt werden, woher die zeitlichen qua- litäten oder auch anforderungen kommen und auch, wie sie aufgeteilt und wie sie miteinander verbunden und vernetzt sind. auf basis dieser klarheit ist es zudem möglich, änderungen zu justieren, die stimmig und für die jeweilige person in einer bestimmten situation passend sind und ¨sinn machen©. kurzum: das modell der zeitdimensionen ordnet jene zeiten, die auf das je- weilig individuelle zeithandeln einfluss nehmen. aufgabenueiten organisationsueiten souialueiten kulturueiten eigenueiten naturueiten © haufe-lexware gmbh & co. kg, freiburg 157